Sie flohen vor Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit: 1824 wanderten die ersten Bauern und Handwerker aus dem Hunsrück und der Westpfalz nach Brasilien aus, weil sie sich dort ein besseres Leben erhofften. Tausende Deutsche ließen ihre alte Heimat hinter sich und bauten sich jenseits des Atlantiks eine neue Existenz auf.
Die Geschichte klingt unglaublich, ist aber wahr: In seiner Insta-Geschichte für „My Hidden History“ erzählt Philipp Bonato von seiner Mutter, die auf einer Brasilien-Reise zufällig einer Einheimischen begegnete, die ihr verblüffend ähnlich sah.
Viele Brasilianer haben deutsche Vorfahren
Die beiden fanden heraus, dass sie gemeinsame Ur-Ur-Ur-Ur-Großeltern an der Mosel haben. Ihr gemeinsamer Vorfahre Philipp Winter kam 1829 nach einer lebensgefährlichen Reise mit seiner Familie in Brasilien an. Dort gründete seine Familie im Urwald ein Dorf, das heute Bom Principio heißt, im heutigen Bundesstaat Rio Grande do Sul.
Auch in der Familie von Gerhard Franz gibt es eine solche Migrationsgeschichte, die in der Ausstellung „Neuland“ im Hunsrück-Museum in Simmern dokumentiert wird. Er besitzt mehr als 50 Briefe seines Vorfahren Peter Tatsch, der 1827 aus dem Hunsrückdorf Raversbeuren nach Brasilien auswanderte.
Peter Tatschs Reise nach Brasilien dauerte sechs Monate. Er hatte sieben Kinder, nur der älteste Sohn blieb im Hunsrück zurück. Er habe dort für seine Familie keine Perspektive mehr gesehen, sagt sein Nachfahre Gerhard Franz.
Der Traum von einer besseren Existenz
Für die Familie Tatsch war die Auswanderung eine Erfolgsgeschichte, sie gründeten eine Tabakfabrik in Santa Cruz. In seinen Briefen habe es Peter Tatsch nie bedauert, dass er seine Heimat verlassen habe, betont Gerhard Franz.
Am 25. Juli 1824 kamen die ersten deutschen Migranten in der späteren Stadt Sao Leopoldo an. Sie hatten sich vom brasilianischen Kaiser Dom Pedro I. anwerben lassen. Seine Agenturen in Deutschland lockten damals mit eigenem Landbesitz und finanzieller Unterstützung.
Deutsche Einwanderer rackerten sich ab
Nach ihrer Ankunft mussten die deutschen Kolonisten im dünn besiedelten Süden Brasiliens hart arbeiten: Sie rodeten den Regenwald, bauten Straßen, Häuser, Kirchen und Schulen und sorgten damit für eine Infrastruktur. Außerdem betrieben sie Landwirtschaft und Viehzucht.
Bis 1865 gab es insgesamt drei Auswanderungswellen von Deutschland nach Brasilien. In dieser Zeit kamen mehrere Tausend Menschen aus dem deutschen Südwesten, um sich eine neue Existenz aufzubauen.
Edgar Reitz thematisierte die Auswanderung in Kinofilm
Der deutsche Regisseur Edgar Reitz, der selbst aus dem Hunsrück stammt, hat der damaligen Auswanderung mit seinem Kinofilm „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ ein filmisches Denkmal gesetzt. Der Film kam 2013 in die deutschen Kinos und erzählt die Vorgeschichte zu Reitz‘ legendärer Filmtrilogie „Heimat“.
Die Brasilianer erinnern am 25. Juli 2024 mit einem nationalen Gedenktag an die Ankunft der ersten Deutschen vor 200 Jahren. Und auch in Rheinland-Pfalz gibt es zu diesem spannenden Kapitel der Geschichte Ausstellungen und Veranstaltungen. Sie laden dazu ein, über die Bedeutung von Migration, Identität und kulturellem Erbe nachzudenken.