Der Künstler Jean Tinguely ist vor allem für sein beweglichen Skulpturen, die er aus alten Eisenteilen zusammengebaute, bekannt. In Basel am Rhein beherbergt das Museum Tinguely die weltweit größte Sammlung seiner Werke. Zum ersten Mal seit der Gründung des Museums 1996 wird die Werksammlung dieses Pioniers der kinetischen Kunst neu präsentiert.
Eine neue Dauerausstellung für die Werke Jean Tinguelys
Zerschlissene Kleider und kaputte Haushaltsgegenstände wie Teekessel, Pfannen und Tabletts. Ein mit einem roten Strumpf überzogenes Bein einer Schaufensterpuppe. Alles an langen Schnüren aufgehängt.
Werden die Gegenstände in Bewegung versetzt, entstehen Geräusche. Die Skulptur von Jean Tinguely trägt den Titel „Ballet des pauvres“, Ballett der Armen.
Was das Publikum vor 70 Jahren verunsicherte und den Kunst- und Museumsbetrieb in Frage stellte, ist heute essentiell für Tinguelys Kunst: Man möchte sehen und hören, wie sich Räder und Riemen, Metall und Blech bewegen.
Die neue Basler Ausstellung hebt den kollaborativen Charakter von Tinguelys Arbeiten hervor
„Wovon wir unglaublich profitieren ist, dass Tinguelys Werk immer stark am Leben orientiert war“, sagt Roland Wetzel, Direktor des Museums Tinguely in Basel. Er hat die neue Sammlungspräsentation selbst kuratiert.
Aufgebaut ist die neue Schau chronologisch. Dadurch sind die einzelnen Schaffensphasen des Künstlers gut nachvollziehbar: Von den Anfängen mit Drahtskulpturen über erste bewegte Reliefs bis hin zu den Schrottskulpturen und den schwarzen Skulpturen. Die frühesten Werke sind aus der Mitte der 1950er-Jahre.
Mit den 1959 entstandenen „Méta-Matiques“ habe Tinguely den ganzen Kunst- und Künstlerbegriff seiner Zeit in Frage gestellt, sagt Tabea Panizzi, die als wissenschaftliche Assistentin an der neuen Präsentation mitgearbeitet hat. „Diese Maschinen konnten auch von den Besucherinnen der Ausstellung aktiviert werden. Damals schon mit Jetons, die eingeworfen werden konnten.“
„Die Funktion von Rädern ist etwas, was seine Arbeit unglaublich geprägt hat.“
Neu im Museum ist das Werk „Éloge de la folie“ („Lob auf den Wahnsinn“) aus dem Jahr 1966. Es sieht aus wie ein vergrößertes Uhrwerk aus miteinander verbundenen Rädern. Tinguely baute dieses monumentale Wandbild zum gleichnamigen Ballett-Stück von Roland Petit. Es ist also eigentlich ein Bühnenbild und damit ein Zeugnis von Tinguelys interdisziplinärem Schaffen.
Zu Tinguelys Kunstprojekten gemeinsam mit Freunden und Kollegen gibt es historische Filme und Fotos, Briefe und Dokumente, Hörstationen mit Interviews und zahlreiche Konstruktionszeichnungen aus seiner Feder. Alles zusammen steht unter dem Motto „La roue = c’est tout“; das Rad ist alles; eine von Tinguely selbst aufgestellte Gleichung.
„Tinguely hat auch davon gesprochen, dass wir in einer Räderzivilisation leben“, erklärt Museumsdirektor Wetzel. „Die Funktion von Rädern ist etwas, was seine Arbeit unglaublich geprägt hat.“
Eine Ausstellung mit Erlebnischarakter und ein bewegender Totentanz
Das Museum Tinguely hat umgebaut und dadurch neue Fläche gewonnen; die jeweils passend gestaltet ist: Mal sind die Wände weiß, mal dunkel, mal spiegeln sie; der Boden ist mal rot, mal gelb. Die Werke sind so ausgeleuchtet, dass auch ihre Schatten an der Wand sehenswert sind.
„Dieser Erlebnischarakter in einem Museum, das war damals etwas ganz Neues in der Zeit in den 60er-Jahren“, so Tabea Panizzi und verweist auf die Bedeutung, die diese Epoche für unser heutiges künstlerisches Verständnis hat: „Wenn man schaut, auch heute wollen viele Künstler wieder im Kollektiv arbeiten. Da sieht man, wie richtungsweisend diese Projekte in den 60er-Jahren waren.“
Ganz besonders ergreifend ist der „Mengele-Totentanz“ von 1986, der in einem abgedunkelten Raum etwas abseits vom Rest der Präsentation zu erleben ist. Schrott und Tierschädel bewegen sich wie in einer Geisterbahn. Tinguely stellt Makabres und Karnevaleskes direkt nebeneinander, und es bleibt damals wie heute jedem selbst überlassen, in welcher Weise das zu deuten ist.