Seine Venedig-Ansichten gleichen modernen Wimmelbildern: Maler Vittore Carpaccio steht im Mittelpunkt der neuen Stuttgarter Ausstellung, die durch Werke seines berühmten venezianischen Konkurrenten Giovanni Bellini ergänzt wird.
Eine Ausstellung mit Krimi-Faktor
Die Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie hat echte Krimi-Qualitäten. Das beginnt schon mit der haarsträubenden Geschichte dieser Sammlung.
Mitte des 19. Jahrhunderts geht Württembergs König Wilhelm I. auf Einkaufstour, weil er endlich auch, wie sein bayrischer Konkurrent, ein eigenes schickes Kunstmuseum haben will.
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Um 1500 zählt Vittore Carpaccio zu den meistbeschäftigten Malern in Venedig. Kräftiges Fleischrot und Detailverliebtheit waren die Markenzeichen des Künstlers der Frührenaissance.
Der Beifang stellt sich erst später als wichtig heraus
In Venedig erwirbt er, mehr oder weniger blind, eine Sammlung mit italienischen Meistern, die sich als Überraschung entpuppt, sagt Christiane Lange, Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie.
„Man hatte klangvolle Namen gekauft: Raffael, Tizian und Leonardo. Und es stellte sich dann doch mit der kunstgeschichtlichen Forschung heraus, dass manches dieser klangvoll erworbenen Hauptwerke der italienischen Kunstgeschichte eigentlich Fälschungen waren. Und so manches, was man damals nur als Beifang mitgenommen hatte, stellte sich eben heraus als wichtige Werke wie die von Carpaccio oder Bellini.“
Die zählten damals allerdings nicht zur ersten Riege der großen Maler, obwohl sie um 1500 zu den berühmtesten und am meisten beschäftigten Künstlern Venedigs gehörten.
Auftragsarbeit mit Folgen
Doch selbst ein so begehrter Maler wie Carpaccio kann schon mal daneben liegen, wie das Altarbild vom Heiligen Thomas von Aquin in der Ausstellung zeigt. Über dem Heiligen schwebt ein fast schon barock anmutender wolkiger Engelshimmel.
Eine Mogelpackung, wie die detektivische Forschungsarbeit an der Stuttgarter Staatsgalerie ergeben hat. Der Altar war eine Auftragsarbeit für einen Glashersteller, weshalb Carpaccio das Bild künstlerisch kreativ mit Butzenscheiben versehen hatte, erzählt Kuratorin Annette Hojer.
Sehr zum Missfallen des Glasfabrikanten, der Kristallgläser mit goldenen Verzierungen herstellte: „Und offenbar hat er es als einen Affront gegen seinen Berufszweig empfunden, dass Carpaccio ordinäre Butzenscheiben in sein Bild gemalt hat und hat den Maler gezwungen, dieses Detail zu übermalen.“
Strahlende und knallige Farben
Das ist das Spannende an dieser Ausstellung: Es gibt viele solcher herrlichen Details zu entdecken. Was allerdings sofort ins Auge springt, das sind die unglaublich strahlenden, fast schon knalligen Farben, die Carpaccios Werke auszeichnen.
Seine Darstellung des Heiligen Georg, der mit dem Drachen kämpft, hat 500 Jahre später den chinesischen Künstler Ai Weiwei so nachhaltig beeindruckt, dass er das Gemälde mit Legosteinen nachgebaut hat.
Ein fröhlicher Zeitgenosse
Carpaccio, der im Mittelpunkt der neuen Ausstellung steht, scheint ein fröhlicher Zeitgenosse gewesen zu sein, ein unkonventioneller, humorvoller Kopf. So variiert er die damals in den venezianischen Haushalten beliebten Madonnenbilder auf seine sehr spezielle Weise, sagt Annette Hojer:
„Er zeigt uns Maria, die mit zwei Kindern betet und den Kindern auch ein Gebetbuch in die Hand gegeben hat. Aber bei Carpaccio ist Maria die einzige, die in dem Bild betet und die beiden Kinder sind völlig abgelenkt, schauen sich an und das Christuskind ist gerade dabei, mit seinen knubbeligen Fingern ein ganz kostbares Gebetbuch zu zerreißen.“
Ebenso unkonventionell ist Carpaccios Darstellung einer lesenden Gottesmutter, die es sich mit einem Buch in der Hand auf dem Balkon gemütlich gemacht hat. Fast schon ein role model für die venezianischen Frauen, die in ihrem Alltag auf Heim und Familie beschränkt waren.
Carpaccios Venedigansichten prägen unsere Vorstellung
Auch der Künstler selbst bezieht seine Inspiration aus Büchern. Venedig ist seit dem späten 15. Jahrhundert das Zentrum europäischen Buchdrucks. Und Carpaccio saugt auf, was er liest.
Daraus schafft er Phantasiewelten, die er gleichzeitig so aussehen lässt, wie das Venedig seiner Zeit. Die Gemälde in der Staatsgalerie gleichen modernen Wimmelbildern, auf denen sich Kaufleute, Handwerker, Seefahrer und Kirchenmänner tummeln.
Auf einem Bild lugt Capriccio selbst aus einer Pilgerschar hervor. Jede Kleinigkeit ist wichtig: der Schiffsmast, die edlen Kleider, der Keramikkrug. Und natürlich das Wasser. Und so prägen Carpaccios Venedigansichten bis heute unsere Vorstellung von der Lagunenstadt, meint Museumsleiterin Christiane Lange.
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