Ausstellung

„Auftakt des Terrors“: Zwei Ausstellungen zum Nationalsozialismus im Landtag von Rheinland-Pfalz

Stand
Autor/in
Ludger Fittkau

Wer ohne Wohnung war, dem drohte Gefahr: Obdachlose, sogenannte „Asoziale“, gehörten zu den ersten Opfern der Nazis – darunter viele Sinti und Roma. Das zeigt aktuell eine Doppelausstellung im Mainzer Landtag, die klarmacht, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen an diesen Gruppen noch in den Anfängen steckt.

Gezielte Verhaftungen von Wohnungslosen

Dass Obdachlose wie Kriminelle behandelt und eingesperrt werden, ist keine Erfindung des Nationalsozialismus. Das macht die Ausstellung im Foyer des Mainzer Landtags gleich zu Beginn klar.

Bereits seit 1871 gab es im Strafgesetzbuch des Deutschen Kaiserreichs einen Artikel 361, nachdem es möglich war, wohnungslose Menschen „zur Besserung“ – wie es hieß – in sogenannte „Arbeitshäuser“ einzusperren.

Elke Steinwand, Referatsleiterin Erinnerungskultur im Landtag Rheinland-Pfalz, erklärt, welche einschneidende Veränderung der Nationalsozialismus dennoch für Wohnungslose bedeutete: „Man brauchte ein richterliches Urteil, um die Leute festzusetzen und das war dann ab 1933 nicht mehr so. Die wurden dann einfach von der Straße aus verhaftet, ohne einen Richter und auch ohne Anklage vorher.“

Viele Sinti und Roma unter den Opfern

„Aktion Arbeitsscheu Reich“: So nannten die Nationalsozialisten eine ihrer gezielten Verhaftungsaktionen gegen Menschen, die auf der Straße lebten. Sogenannte „asoziale Großfamilien“ wurden ebenso ins Visier genommen wie das „fahrende Volk“.

Sinti und Roma seien unter diese Kategorie gefallen, so Elke Steinwand, aber „auch andere, die im Grunde ihren Lebensunterhalt damit verdient haben: Wandermusiker, Hausierer, zum Teil auch Handwerker, die auf der Walz waren.“

Wer die erlaubte Route verließ, lief Gefahr, inhaftiert zu werden

Die Ausstellung zeigt eine Landkarte der Nationalsozialisten aus Württemberg, auf der Wege für sogenanntes „geordnetes Wandern“ eingezeichnet waren. Wer abseits dieser erlaubten Routen aufgegriffen wurde, lief Gefahr, sofort in ein Konzentrationslager gebracht zu werden.

„Der Terminus, mit dem die Nazis die Wohnungslosen bedacht haben, war ja der der sogenannten ,Ballast-Existenzen‘ und zum Teil wurden die eben auch Zwangssterilisationen unterzogen“, sagt Elke Steinwand. Das habe auch zur Folge gehabt, dass diese Opfergruppe keine direkten Nachfahren hatte, „die Lobby für sie machen konnten“, so Steinwand weiter. „Und das ist auch einer der Gründe, warum dieses Thema bis heute sehr, sehr unbekannt ist.“

Nach 1945 habe es zwar Versuche gegeben, diese Opfergruppe, zu der mindestens 10.000 Menschen gehören, als Opfer des Nationalsozialismus anerkennen zu lassen. Doch es seien nicht zuletzt andere Opfergruppen gewesen, so Elke Steinwand, die das verhindert hätten. Erst 2020 hat der Bundestag diese Verfolgten offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt.

Ein dichtes Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen

Zu spät, um noch Betroffene entschädigen zu können. Neben Wohnungslosen sowie Sinti und Roma wurden auch Prostituierte oder unangepasste Jugendliche in die NS-Konzentrationslager gesteckt. Bei ihrer Verfolgung arbeiteten staatliche, aber auch kirchliche Sozialeinrichtungen, Justiz und Polizei oft zusammen und schufen ein dichtes Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.

Diese reichten weit über das Ende des Nationalsozialismus hinaus, betont Elke Steinwand vom Landtag Rheinland-Pfalz: „Es war so, dass die Arbeitshäuser lange Bestand hatten, bis 1973. Und auch diejenigen, die als Jugendliche in die Fürsorgeeinrichtungen eingewiesen worden sind, weil sie als Landstreicher oder so eingebuchtet worden sind, sind nicht automatisch freigelassen worden. Sie sind ja gegen den Willen zum Teil der Familienangehörigen der Eltern festgehalten worden, bis weit in die 50er-Jahre.“

Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen an diesen Opfergruppen steckt noch in den Anfängen. Mit der aktuellen Ausstellung in Mainz trägt der rheinland-pfälzische Landtag gleich zu Jahresbeginn dazu bei, dies ändern.

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Ludger Fittkau