Ein deutsches Filmteam kommt in eine alte Stadt im Nordosten der Türkei, um einen Dokumentarfilm über ein politisch brisantes Thema zu drehen. Bald ist klar: Sie werden beobachtet. Regisseurin Ayşe Polat wagt viel und gewinnt: Ihr ist ein Paranoia-Thriller im Stil von Francis Ford Coppola gelungen.
Ein Kind steht im Zentrum der Geschichte
Ein kleines Mädchen rückt allmählich immer mehr in das Zentrum dieser Geschichte. Man bekommt dies langsam mit: Sie wirft schon früh immer wieder bedeutungsvolle Blicke auf das Geschehen; sie erzählt von sonderbaren Männern, von Geistern.
Das tun die Erwachsenen im Film, aber auch wir Zuschauer zunächst als typische Kinderphantasien ab. Dann aber merkt man allmählich, dass da wirklich irgendwelche Leute sind, die das Kind ansprechen und es benutzen. Das Mädchen hat Dinge gesehen, über die sie nicht sprechen kann.
Paranoia-Thriller im Francis Ford Coppola-Stil
Dieser Film ist ein Polit-Thriller und kein Horrorfilm. Die Geister und Monster, das ist vielleicht die Regierung der Türkei, es sind vielleicht die verschiedenen rivalisierenden Geheimdienste. Regisseurin Ayşe Polat weiß ganz genau, was sie tut, sie wagt viel und gewinnt: Das ist ein Paranoia-Thriller in einer großen Tradition weit entfernt von jeder Krimi-Durchschnittsware.
Man denkt eher an Francis Ford Coppola bei diesem Film, der ein sehr konkretes Ereignis schildert, aber aus mehreren Perspektiven. Jede Perspektive erzählt uns das Ereignis neu und dreht die Handlung weiter. so wie das einst schon der große Akira Kurosawa in „Rashomon" tat.
Die Macht der Geheimnisse
Es geht um Politik, aber nicht nur die der Türkei, sondern auch um grundsätzliche Formen der Überwachung; um die Macht der Geheimnisse, um autoritäre Regimes und um den schleichenden Prozess der Entdemokratisierung, wie ihn die Türkei erlebt hat und andere Staaten jetzt erleben. Diese Gefahren thematisiert die Regisseurin.
Und dann ist dies auch ein Film über das Sehen. Also über das Kino selbst in der Tradition der Werke von Michael Haneke. Für die exzellente Gestaltung der Bilder ist „Toni-Erdmann"-Kameramann Patrick Orth verantwortlich.
Politik und Unsichtbarkeit
Man ist in diesem Film ein Beobachter des Beobachtens. Wir sehen anderen Leuten dabei zu, wie sie etwas entdecken, etwas entziffern, wie sie anderen Leuten zusehen, die das tun. Man sieht darum manchmal auch das gleiche Ereignis aus zwei oder gar drei Perspektiven und der tote Winkel des Titels ist natürlich – abgesehen davon, dass der Tod hier eine Rolle spielt – auch der eine Ort, den man nicht sieht. Genau das, was nicht zu sehen ist in einer Welt, in der alles überwacht wird, alles zu sehen ist, ist ganz offensichtlich äußerst politisch.
Es ist völlig schleierhaft, wieso über diesen herausragenden deutschen Film nicht viel mehr geredet wird, warum er nicht in aller Munde ist? Hier ist der Himmel nicht rot, sondern blau, die Katastrophe ist nicht privat, sondern politisch. Er verlässt die Ferienhäuser, die Lehrerzimmer und die Polizeibüros des deutschen Films und ist so viel überraschender als die allermeisten deutschen Kinowerke.
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