„Only the river flows“ spielt in einer kleinen Stadt am Fluss in Süd-China. Eine Serie mysteriöser Morde im Jahr 1995 beginnt mit dem Mord an einer alten Frau. Regisseur Wei Shujun zeigt das Kino als Ort von Aufklärung und Erkennungsdienst und schmuggelt verbotene Wahrheiten aus dem China von heute auf die Leinwand.
Regen – gleichmäßig und andauernd prasselt er in diesem Film vom grauen Himmel, verwandelt den Boden in Matsch, die Kleidung in feuchtes, übelriechendes Tuch, setzt nasse Schlieren in die Gesichter der Menschen und verwischt wichtige Spuren. Langsam wird er unerträglich – und weil der Film auch am Ufer eines Flusses spielt, der oft genug in Nebelschwaden getaucht ist, meint man, die permanente Feuchte in der Luft und auf Menschen wie Dingen regelrecht körperlich zu spüren.
Verbotene Botschaften unter der Maske unschuldiger Unterhaltung
Gerade in autoritär regierten Ländern wie China ist das Genrekino oft die perfekte Verpackung, um unter der Maske unschuldiger Unterhaltung verbotene Waren und Botschaften aus dem Land zu schmuggeln. Zugleich sind Shujuns Geschichten oft zeitversetzt: Gerade die 90er-Jahre, für China eine Ära des extremem Wandels aus Wirtschaftsboom, politischer Befreiung und kultureller Öffnung, sind eine Folie, um von den Verwerfungen der Gegenwart zu erzählen.
Der ermittelnde Detective Ma Zhe wird exzellent gespielt von Zhu Yilong
Angesiedelt in einer kleineren Stadt an einem Fluss in Süd-China im Jahr 1995 dreht sich die Handlung um eine Serie mysteriöser Morde, die mit dem Mord an einer alten Frau beginnt. Die eigentliche Figur im Zentrum ist der ermittelnde Polizist. Detective Ma Zhe soll den Killer jagen.
Hauptverdächtige ist zunächst der Dorftrottel
Anfangs hat Ma kaum Hinweise. Der Hauptverdächtige ist zunächst ein geistig behinderter junger Mann, den das Opfer adoptiert hatte, als es zur Witwe wurde, und den bisher alle Nachbarn als eine Art harmlosen „Dorftrottel“ ansahen. Ein leichtes Opfer von Gruppenhass. Es scheint ein einfacher Fall zu werden.
Die Zeugen haben gute Gründe, nicht auszusagen
Doch dann geschehen weitere Morde, und Ma Zhes Fokus muss sich nicht nur einmal verlagern. Bei den Ermittlungen tauchen mit der Zeit immer neue Zeugen auf, die am ersten Tatort, nahe des Flußufers waren, aber die Behörden nicht informiert hatten. Die meisten von ihnen haben ihre guten Gründe, sich von den Vertretern des Gesetzes fernzuhalten: ein Paar, das eine geheime Beziehung führt, der Friseur, der bereits früher wegen „unanständigen Verhaltens“ verhaftet wurde ...
Die Untersuchungen enthüllen eine unterdrückte Gesellschaft, die sich durch das polizeiliche Eingreifen nicht befreit, sondern im Gegenteil, eingeengt fühlt.
Das Kino als Ort von Aufklärung und Erkennungsdienst
Auch ansonsten setzt Regisseur Wei Shujun auf präzise gewählte Schauplätze: So beschließt die Polizei, deren Räume gerade umgebaut werden, zu Beginn des Films, ihre Büros in ein Kino zu verlegen, das gerade geschlossen wurde, weil „die Leute keine Filme mehr sehen wollen“.
Diese Kulisse ermöglicht eine doppelte Metapher: Das Kino als Ort von Aufklärung und als Beispiel für den Ausdehnungsdrang der Sicherheits- und Polizeikräfte. Vor allem aber bietet sie Möglichkeiten für ungewöhnliche Bilder. Bei den Ermittlungen diskutieren die Beamten den Fall vor einer alten Leinwand. Ein anderes Mal sucht die Hauptfigur Hinweise zwischen alten 35mm-Projektoren.
Sorgfältige Darstellung des alten, ländlichen Chinas
Der Regisseur bemüht sich, einen atmosphärischen Film mit einer sorgfältigen Darstellung Chinas zu verbinden, vor allem jenes ländlichen, klassisch-modernen Chinas, das, wie seine Kinos, ebenfalls auf dem Weg zum Verschwinden ist: eine staatliche Fabrik, in der viele Figuren beschäftigt sind, alte Restaurants, denen man ihre Jahrzehnte ansieht, Tischtennis als Freizeitunterhaltung für die Polizisten, die halbverfallenen Häuser, die sich am Flussufer drängen.
Aufregende Einblicke in das „Reich der Mitte“
So bietet der Film aufregende Einblicke in die Verfasstheit des „Reichs der Mitte“ abseits der politischen Schlagzeilen: Die Mordermittlung treibt den Film voran. Der Clou des Ganzen liegt aber darin, dass die aus Perspektive des Ermittlers anfangs scheinbar klaren Fakten immer mehr zwischen seinen Händen zerrinnen.
Ma Zhe wird von dem Bösen verschlungen, gegen das er vorgehen wollte. Alles scheint möglich. Die Wahrheit aber scheint ungreifbar. Solche Unsicherheiten sind im China von heute schon hochpolitisch.
Trailer zu „Only the river flows“:
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