Das Grundgesetz und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schützen die Kunstfreiheit. Insbesondere das Theater gilt dabei als Ort der freien Meinungsäußerung und gerät daher immer wieder in Konflikt mit Machtstrukturen oder gesellschaftlichen Tabus. Ein Stuttgarter Theaterfestival setzt sich nun mit Zensur auf der Bühne auseinander.
- Künstlerische Freiheit in Russland bedroht
- Maulkorb für Ungarns Kulturschaffende
- Donald Trump und die Lorbeeren des Caesar
- Berliner Senat will bei der Kultur den Rotstift ansetzen
Künstlerische Freiheit in Russland bedroht
Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat der Druck auf Theatermacher unter der Regierung von Wladimir Putin drastisch zugenommen. Insbesondere in Bezug auf Werke, die sich kritisch auseinandersetzen mit dem Stalinismus, historischen Verbrechen der Sowjetunion oder dem Krieg in der Ukraine, mit Menschenrechten, Korruption oder LGBTQ+-Themen.
Das im Westen bekannteste Opfer ist der renommierte Theatermacher und Filmregisseur Kirill Serebrennikov. Durch sein Engagement für gesellschaftlich relevante Themen zog er weltweit Aufmerksamkeit auf sich – auch die der russischen Behörden und der Kirche.
Für seine Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ an der Oper Nowosibirsk wurde ihm 2015 Blasphemie vorgeworfen, da Serebrennikov moderne Themen mit religiösen und mythologischen Symbolen kommentierte. Das Stück wurde nach nur wenigen Aufführungen vom Spielplan genommen. Zu groß war der Druck durch öffentliche Proteste und Vertreter der orthodoxen Kirche.
Aus für weltweit renommiertes Gogol-Zentrum
Infolgedessen wurde Serebrennikov 2017 unter Hausarrest gestellt. Ihm wurde vorgeworfen, staatliche Gelder veruntreut zu haben. 2022 wurde auch das von ihm aufgebaute Gogol-Zentrum geschlossen, nachdem es sich mit einer Performance mit dem Titel „Ich nehme nicht teil am Krieg“ gegen den Krieg in der Ukraine positioniert hat.
Das Zentrum verstand sich seit der Leitungsübernahme durch Serebrennikov im Jahr 2014 als Plattform für gesellschaftskritische und experimentelle Kunstformen in den Bereichen Theater, Tanz, Musik und Bildende Kunst.
Unter seiner Leitung hatte sich das Zentrum zu einem der wichtigsten Kulturorte in Russland entwickelt und fand internationale Beachtung. Die Verhaftung Serebrennikovs und die Schließung des Gogol-Zentrums wurden weltweit kritisiert und führten zu Solidaritätsbekundungen in der Kulturszene.
Maulkorb für Ungarns Kulturschaffende
Seit Beginn von Viktor Orbáns zweiter Amtszeit als Ungarns Ministerpräsident im Jahr 2010 zielt die Politik des Landes zunehmend darauf ab, konservative und nationale Werte in der Gesellschaft zu verankern. Dabei spielt auch die Einflussnahme auf die Kulturszene eine große Rolle.
Das international kritisierte Kulturgesetz von 2019 sorgt dafür, dass staatlich subventionierte Theater in ihrer Themensetzung stärker an die Regierung gebunden sind. Ihre Finanzierung obliegt dem Kulturministerium, ein nationales Kulturkomitee entscheidet über die inhaltliche Ausrichtung der Häuser. Dadurch werden kritische Theaterprojekte tendenziell weniger subventioniert.
Nicht zuletzt hat der Staat ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Schlüsselpositionen wie den Intendanzen. Regierungsnahe Kandidaturen werden entsprechend bevorzugt.
Alle Theater, die nicht subventioniert werden, sind auf private Finanzierung und Sponsoring angewiesen. Die Folge ist ein harter Kampf für die freie und alternative Theaterszene, die in Ungarn trotz allem sehr lebendig ist, auch dank vieler Kooperationen und Gastspielen im Ausland.
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Donald Trump und die Lorbeeren des Caesar
In demokratischen Gesellschaften wird der Druck auf die Kunst- und Meinungsfreiheit mitunter subtiler und auf anderen Ebenen ausgeübt – auch mit dem Geldbeutel.
Zu Beginn der ersten Amtszeit von Donald Trump gab es im New Yorker Central Park eine Inszenierung von Shakespeares „Julius Caesar“. Der römische Feldherr wurde als Geschäftsmann mit leuchtend blonden Haaren dargestellt, sprach mit New Yorker Zungenschlag und hatte Ähnlichkeit mit dem US-Präsidenten. Caesars Frau Calpurnia sprach mit slawischem Akzent – eine unmissverständliche Anspielung auf die First Lady Melania Trump.
Die Ermordung des römischen Staatsmannes mit Trump in Verbindung zu bringen, führte zu hitzigen Debatten in den sozialen Medien. Trump-Anhänger starteten Protestaktionen und Sponsoren des „The Public Theatre“, das für die Inszenierung verantwortlich zeichnete, zogen sich mit sofortiger Wirkung zurück, unter ihnen „Delta Airlines“ und die „Bank of America“.
Indirekte Zensur? Berliner Senat will bei der Kultur den Rotstift ansetzen
Da in Deutschland die künstlerische Freiheit und die Meinungsfreiheit durch das Grundgesetz garantiert werden, sind die Theatermacher in ihrer kreativen Arbeit nicht eingeschränkt. Dennoch kann man an mancher Stelle von „indirekter Zensur“ sprechen und das hängt vielerorts vor allem mit den leeren Kassen zusammen.
Mit seinem reichhaltigen Angebot gilt Berlin auch international als das kulturelle Aushängeschild der Republik. Doch da der Landeshaushalt durch die Coronakrise und steigender Ausgaben für Bildung, Soziales und Infrastruktur auf 40 Milliarden Euro im Jahr angestiegen ist, plant der Berliner Senat im kommenden Jahr Einsparungen in Höhe von 5 Milliarden Euro. Auch die Kulturszene ist massiv betroffen.
Durch die möglichen Kürzungen drohten an Opern-, Konzert- und Theaterhäusern, aber auch in anderen Bereichen wie der Club- oder der freien Szene Einschränkungen im Spielbetrieb bis hin zu Insolvenz und Schließung sowie der Verlust von Arbeitsplätzen, so die Befürchtungen in der Kulturszene.
Kultur und Zensur
Forum Filter oder Zensur - Wie frei ist das Internet?
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Prof. Dr. Michael Koß, Politikwissenschaftler, Universität Lüneburg
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur Protest in China: Im Überwachungsstaat schlicht zum Scheitern verurteilt?
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Unerhört – in China skandieren in mehreren Städten gleichzeitig Menschen „Nieder mit der KP“. Das hat in dieser Form wohl niemand kommen sehen. Und doch muss man sich fragen, wie nachhaltig dieser Protest sein kann. Welches Risiko gehen die Menschen in einem autoritären Überwachungsstaat ein, wenn sie ihre Kritik an den politischen Verhältnissen äußern? Werden sie es weiter eingehen, auch wenn sie persönliche Konsequenzen fürchten müssen?
Die Regierung streue Angst und Unsicherheit, sagt Christian Göbel. Der Professor für Sinologie erforscht an der Uni Wien Protestbewegungen in China. Technisch sei nun mal alles möglich. Da sind Drohnen, die im Lockdown durch Häuserschluchten fliegen und Durchsagen verbreiten, erst der Anfang.
Eine dystopische Science-Fiction, die wir mit etwas Schauern näher kennenlernen. Aber wir hören auch, wie kreativ und ironisch einige Chinesen die Zensur umgehen – und was das alles mit Pu der Bär zu tun hat.
Habt ihr weitere Themen, die wir uns dringend anschauen sollten? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de.
Host: Max Knieriemen
Redaktion: Philine Sauvageot und Max Knieriemen
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Sensitivity Reading: Sollen wir verletzende Literatur umschreiben?
In einem der Kinderbücher des britischen Autors Roald Dahl statt fett heißt es nun kräftig, James Bond soll in der Neuauflage der Romane nicht mehr so sexistisch sein: Ist das Zensur oder zeitgemäß? Und was macht diese Debatte mit unserem Verständnis von Literatur und Autorschaft?
“Es gibt Editionswissenschaften, wenn ich die Texte wirklich so lesen will, wie sie ursprünglich erschienen sind, kann ich das machen”, sagt Aşkın-Hayat Doğan. Er ist professioneller Sensitivity Reader, jemand der Bücher mit Blick auf Stereotype und realistische Darstellungen lektoriert - immer nur als Vorschlag, nie als Vorschrift. “Literatur darf immer noch alles.” Aber er betont auch: “Literarische Originalität ist nicht wichtiger als die Verletzung, die der Text bei anderen anrichtet.”
Wenn es um Änderungen an bereits publizierten Texten geht, ist Jens Jessen, ehemaliger Literaturchef der ZEIT, kritischer: “Natürlich dürfen scheußliche Gestalten in Romanen oder Theaterstücken auftauchen. Auf die Spitze getrieben hieße das sonst, wir landen wieder bei einer strengen Zensur wie im 17. Jahrhundert.” Die Autor*innen hätten vor 100 oder 200 Jahren eben nicht so geklungen wie wir heute.
Also alles eine aufgeblasene Debatte oder doch ein Problem für die Kunstfreiheit? Hört rein und bildet euch selbst eine Meinung!
Habt ihr weitere Themen oder Feedback?
Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de
Hosts: Christian Batzlen und Pia Masurczak
Showrunner: Giordana Marsilio
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