Auf der Social-Media-Plattform Reddit werden wieder Pixel zu digitalen Gemälden: Bereits zum dritten Mal erstellt die Userschaft im Unterforum r/place ein kollektives Kunstwerk. Doch das Pixel-Spiel wird überschattet von den Konflikten auf der Plattform. Admins zensieren offenbar Kritik an CEO Steve Huffman alias u/spez.
r/place 2023: Brot und Spiele?
Endlich wieder gemeinsam Pixel setzen und Bilder kreieren: Seit dem 20. Juli ist das Pixel-Spiel r/place auf der Foren-Plattform Reddit wieder aktiv. Redditfans aus aller Welt freuen sich, denn die zeitlich begrenzte Digital-Leinwand steht erst zum dritten Mal überhaupt zur Verfügung.
Doch der Zeitpunkt für die diesjährige Ausgabe des beliebten Kunst-Spiels ist brisant: Durch Änderungen in den API geriet die Plattform Reddit extrem unter Beschuss ihrer Nutzerschaft. Hunderttausende User*innen verließen die Plattform, zig Moderator*innen legten ihre ehrenamtliche Arbeit nieder und zeitweise waren große Teile der Forenlandschaft komplett auf Eis gelegt.
Persönlich in der Kritik steht für diesen Prozess der CEO von Reddit, Steve Huffman, der die Änderungen an der Plattform durchsetzte. Er befeuerte die Debatte durch zahlreiche Aussagen, die in der Community als herablassend und vor allem geldgierig aufgenommen wurden. Seitdem ist sein Username u/spez in der Community omnipräsent – mit wenig freundlichen Textbotschaften.
Das Projekt „Place“, das 2017 erstmals als Aprilscherz auf der Plattform stattfand, erfreut sich großer Beliebtheit und startete ohne vorherige Ankündigung. In Anbetracht der turbulenten Phase auf der Plattform ist der Launch des Spiels strittig: User*innen wittern eine Art Ablenkungsstrategie, die von den Missständen und dem Unmut auf Reddit ablenken soll.
Reddit: Kritische Pixel werden überschrieben
Die französischen Redditoren starteten mit einer kontroversen Aktion: Direkt am Anfang errichteten die User*innen von r/france eine gigantische Guillotine auf ihrer virtuellen Landesflagge, die das Reddit-Männchen aus dem Logo köpfte. Brisant: Darauf stand der Username des CEOs, u/spez.
Binnen kürzester Zeit wurde diese drastische Kritik durch einen bunten Haufen aus Pixeln ersetzt. Die Community zeigte sich verwirrt: Wie kann so schnell ein so großes Bild überschrieben werden? Die Antwort ernüchterte, denn es sind Admins der Plattform, die kein fünfminütiges Wartefenster zwischen dem Platzieren von Pixeln haben und so schnell Einfluss auf das Gesamtbild nehmen können. In diesem Fall offenbar auf Geheiß von „ganz oben“.
Die Wut der Redditoren befeuert dieser Eingriff natürlich: Immer wieder tauchen neue, kleinere Guillotinen auf. Einmal mehr versucht die Community, sich gegen die so liebgewonnene Plattform zu wehren, die ihr Hausrecht durchsetzt. Wieder einmal wird der Groll noch ein bisschen größer.
Das Kunstwerk aus 2022 im Verlauf:
Die Deutschen zeigen sich auf Reddit von ihrer produktiven Seite
Doch wie läuft r/place abseits der Kontroverse um u/spez ab? Schon kurz nach Start nahmen, wie in jedem Jahr, Länderflaggen einen großen Teil der Leinwand ein. Besonders stark vertreten: wieder einmal Deutschland, das mit seinem Unterforum r/de über eine Million User*innen beherbergt.
Die deutsche Flagge, die sich einmal quer über das Spielfeld zieht, ist übersät mit kleinen Kunstwerken, die traditionell für Deutschland stehen sollen und immer mit einem Augenzwinkern zu verstehen sind.
Ein Ottifant schlürft genüsslich eine Spezi, ein Fenster steht auf Kipp und kulinarische Köstlichkeiten wie Butterkeks und Currywurst-Pommes sind auch dabei. Aus einem Berliner tropft Marmelade, daneben steht Artikel 1 des Grundgesetzes in gleich drei Sprachen. Typisch deutsche Dinge eben.
Im Ausland lobt man die Produktivität der deutschen Redditoren, die in kürzester Zeit so viele kleine Bildchen erschaffen haben. Man ist belustigt, wie ernst „die Deutschen“ solche Netzspiele nehmen. Tausende User*innen aus dem deutschen Subreddit schalten sich zeitgleich auf Discord zusammen, um pflichtbewusst ihre Kunst zu koordinieren. Sinnbildlich dafür: Auch die Logos von TÜV und DIN haben es auf die deutsche Flagge geschafft.
Spaß gehört auf r/place immer dazu
Auch die Running-Gags von r/place dürfen bei der diesjährigen Ausgabe nicht fehlen. Da wäre beispielsweise Kanada, das traditionell daran scheitert, das Ahornblatt auf der Flagge originalgetreu abzubilden oder der Union Jack, dessen schräge Linien sich eher wellenförmig gestalten. Nicht unwahrscheinlich, dass hier Trolls nachhelfen, um den Gag am Leben zu halten.
Außerdem tritt immer wieder „das alles verschlingende Nichts“ in Erscheinung, eine Art schwarzes Loch, das jegliche Kunst in sich absorbieren möchte. Ferner dominieren zahlreiche Gaming-Communities die Leinwand. Das kreisrunde, rosa Logos des Rhythmus-Spiels „Osu!“ beispielsweise ist eine feste Konstante auf r/place.
Reddit steht weiter unter Beschuss seiner eigenen Community
Trotz allem Spaß und Klamauk: Politische Botschaften und kontroverse Haltungen sind auf r/place nichts Ungewöhnliches. Im vergangenen Jahr etwa dominierte der Angriffskrieg gegen die Ukraine das Spielfeld: Putin wurde scharf kritisiert und Friedenstauben zierten eine gigantische ukrainische Flagge. Auch das ist aktuell ein wiederkehrendes Motiv. Auf der deutschen Flagge prangert mittlerweile der Spruch „Fuck AFD“.
In diesem Jahr kommt die Kritik gegen Reddit dazu, die jedoch mit zunehmendem Spielverlauf von der eher konstruktiven Pixelkunst verdrängt zu werden scheint. Immer mehr schöne Bildchen überlagern die „Fuck u/spez“ Banner. Noch arbeiten verschiedene Usergruppen daran, sich für eine große Pixel-Aktion gegen den Reddit-CEO zusammenzuschließen. Ob das gelingen kann, ist in Anbetracht der Allmacht der Reddit-Admins jedoch fraglich.
Etwas hängen bleibt für Reddit dennoch: Die Kritik an der Plattform selbst, die in diesem Jahr sehr deutlich zum Ausdruck kommt, sollte ein weiterer Warnschuss für Huffman und Reddit sein, dass die Geduld der eigenen Community endlich zu sein scheint. Dass man die Eingriffe von oben weiterhin nicht hinnehmen will. Und dass ein kleines Online-Spiel eben nicht genügt, um die Verfehlungen der vergangenen Wochen wiedergutzumachen.