Eine solche „Elektra“ wie bei den diesjährigen Osterfestspielen gab es schon lange nicht mehr zu hören. Die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Kirill Petrenko sind sensationell, die Sängerinnen und Sänger tadellos. Eine musikalische Ausnahmeleistung, die auch das szenische Textgewitter der Regisseure Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn nicht trüben kann.
Mehr von Hoffmannsthal als Strauss
Wie Ornamente auf Textzeilen sitzen die Figuren der „Elektra“ im Bühnenkasten. Philipp Stölzl und sein Co-Regisseur Philipp M. Krenn inszenieren mehr den Text Hugo von Hofmannsthals im Sinne belebter Buchstaben als dessen Vertonung durch Richard Strauss.
Mal groß, mal klein, mal einzeilig, mal mehrzeilig, hereinfliegend, um die Raumkanten gebrochen, läuft der vollständige Text des Librettos als Dauerprojektion über die technisch ziemlich vertrackte Bühnenmaschine. Die bildet mal eine überdimensionale Treppenrampe, dann wieder Bildflächen und oft Quergänge, deren niedrige Deckenhöhen nur gebücktes Bewegen zulassen.
„Elektra“ ist als wörtliche Vertonung der Dichtung von Hofmannsthal eine sogenannte Literaturoper. Die Komposition frisst die Literatur und gibt sie als musikalischen Text zurück. Der Klangvirtuose Strauss setzt Wörter nicht nur als Stimmmelodien um, sondern legt sie in jedes Instrument des riesigen Orchesterapparats.
Textgewitter lenkt vom Klangdrama ab
Auf der Bühne findet ein Missverständnis statt: Stölzl und Krenn denken sich die szenische Umsetzung eines solchen Musiktheaters als eine Art Textmaschine. Für das Publikum ist die optische Versuchung allzu groß, diesem projizierten Textgewitter folgen zu wollen.
Das lenkt sehr vom eigentlichen Klangdrama ab. Weil die Figuren mit ihren gebückten, geneigten, stehenden Haltungen selbst zu visuellen Zeichen in der Textfläche werden, bleibt kaum Raum mehr für die Umsetzung des angstgeladenen Psychodramas.
Es fehlt eine überlegte Personenregie
So gerät die zentrale Auseinandersetzung zwischen der Gatten- und Vatermörderin Klytämnestra und der rachsüchtigen Elektra zu einer recht statischen Angelegenheit. Feuerrotes Haar scheint das einzige Bildzeichen im Furioso dieser von Freuds Psychoanalyse inspirierten Zwangsneurose der Elektra zu sein.
Für deren Darstellung bräuchte es eine überlegtere Personenregie. Stattdessen dient der Auftritt des rächenden Bruders Orest als körperlich versehrter Heimkehrer aus den Schützengräben des ersten Weltkriegs als unmotivierter Verweis auf die nahe Zukunft der Entstehungszeit.
Tragische Fallhöhe sieht anders aus
Beim Muttermord fällt eine Stuntfrau als Klytämnestra-Double die Treppenstufen hinab: ein auf Effekt zielendes, unfreiwillig komisches Action-Spektakel. Im engen Gang bleibt der auf die Leiche der Mutter zukriechenden Elektra nichts anderes übrig, als zu verenden, während sich die Schwester Chrysothemis unter dem liegengelassenen Mantel der Klytämnestra verbirgt.
Tragische Fallhöhe sieht anders aus. Die ist im Graben zu hören, wenn sich die Klangmassen zu jenem ekstatischen Triumphtanz aufschwingen, an dessen Ende Elektra selbst wie vom Beil erschlagen zusammenbricht, unter dem vom gesamten Orchester intonierten Vaterschrei des Agamemnon-Motivs.
Musikalisch ist der Abend sensationell
Was Kirill Petrenko an Transparenz und struktureller Präzision und sanglicher Schönheit mit den Berliner Philharmonikern hervorzaubert, ist schlichtweg sensationell. Für die Opernsinfonie sind diese Musiker das passende Spitzenorchester. Nina Stemme leistet Heroisches in der mörderischen Titelpartie.
Elza van den Heever als Chrysothemis verkörpert mit Wärme die jüngere Schwester. Michaela Schuster realisiert ergreifend die gequälte Seele der Klytämnestra. Johan Reuter ist als nobler Rächer Orest bei bester Stimme.
Die kleineren Partien tadellos. Die erhabene Wucht der Aufführung ist in erster Linie eine musikalische Ausnahmeleistung. Eine solche „Elektra“ gab es schon lange nicht mehr zu hören.
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