Auf Social Media kann jede*r seine Meinung äußern. Influencer und Influencerinnen werden zu Kritikern, wie man zum Beispiel beim Trend Booktok sieht, bei dem junge Literaturbegeisterte Bücher rezensieren. Auch im Theater tauchen jetzt neue einflussreiche Kritiker*innen auf, die auf TikTok und Co. ihre Meinung kundtun. Wird dadurch die klassische Theaterkritik überflüssig?
„Hauptberuflich: Theaterinfluencerin“ steht in der Beschreibung der TikTok-Seite von „Ladyameise“. „Manche kennen mich als Deutschlands relevanteste Theaterinfluencerin, andere als die einzige. Soweit ich weiß, ist beides wahr“, sagt sie in einem TikTok-Video.
„Ladyameise“ alias Maya Seidel, ist eine Architektur-Studentin und Theaterbegeisterte, die mittlerweile mehr als 10.000 Follower auf ihrem Kanal hat.
Ihr erstes Video postete sie im November 2022 aus einem einfachen Grund: „Es gehen so wenige junge Menschen ins Theater“, sagt sie. Sie hingegen genieße dieses Erlebnis in vollen Zügen „und ich dachte, sie verpassen etwas“.
Sie sieht sich als „Theaterinfluencerin“ und nicht als „Theaterkritikerin“, denn sie bespricht in gewisser Weise auch ein Stück, aber ihr Ziel sei es vor allem, Leute dafür zu begeistern, die normalerweise mit Theater nichts anfangen können: „Meine Motivation ist, junge Menschen ins Theater zu bringen“. Damit möchte sie die Leute „influencen“, oder „zumindest sie dazu bringen, es auszuprobieren“.
Theaterkritik geht über die eigene Begeisterung fürs Theater hinaus
Janis El-Bira, Theaterkritiker für die Online-Zeitschrift nachtkritik.de, sieht seine Arbeit nicht in Konkurrenz zu Influencern: „Influencer*innen sehen sich vor allem als Botschafter*innen der eigenen Interessen, Leidenschaften und Meinungen“, sagt er, „während die Beschäftigung mit dem Theater für professionelle Kritiker*innen schlicht Arbeit ist.“
Das bedeute auch, sich mit Themen zu befassen, die einen weniger interessieren. Ihre Theaterkritik finde anhand professioneller Urteilskriterien statt, anstelle einer persönlichen Vorliebe. „Die Verantwortung professioneller Kritik besteht in erster Linie gegenüber ihren Rezipient*innen“, ergänzt er, „und nicht gegenüber der eigenen Begeisterung für das Theater.“
Auf TikTok bewusst radikal subjektiv
„Ich bin auf TikTok bewusst und radikal subjektiv“, sagt Seidel, „ich bin einfach Theaterfan und gehe gerne ins Theater“. Ladyameise will also auf ihrem Kanal keine reine Theaterkritik ausüben, sondern ihre persönliche Meinung mit anderen User*innen teilen und mit ihnen in Austausch kommen, das sei ihr wichtig.
„Ich habe viele Leute, die mir schreiben, um Tipps zu bekommen“, erzählt Seidel. Es gibt auch viele User*innen, die mit Kommentaren unter ihren Videos mit ihr über das besprochene Stück ins Gespräch kommen und „diesen Austausch mag ich sehr.“
In den Dialog treten
Dieser Aspekt liegt auch Janis El-Bira am Herzen, denn seit Beginn der Internetrevolution sei nachtkritik.de im Theaterbereich die einzige Stimme geblieben, sagt er, die sich durchgesetzt habe, das auch „weil sie den Dialog mit ihren Leser*innen sucht und gleichzeitig die klassischen Ansprüche an professionelle Kritik erfüllt – eben verlässlich und unabhängig zu sein.“
Theaterkritik auf Social-Media ist noch nicht sehr verbreitet und wenn man auf Kanäle wie TikTok oder Instagram den hashtag #theaterkritik eingibt, gibt es noch nicht viele Einträge.
Im Gegensatz dazu ist ein zunehmendes Phänomen der letzten Jahre „BookTok“. Auf TikTok rezensieren „Bookinfluencer*innen“ ganz kurz in bunten Videos Bücher, hauptsächlich des Genres „New Adult“.
Theaterkritik wird nicht das neue „BookTok“
Zu einem Trend wie „BookTok“ werde Theaterkritik in Social Media wohl eher nicht werden, denn darüber sind sich Maya Seidel und Janis El-Bira einig: Theater sei mit einer begrenzten Zeit und einem Ort verbunden.
„Das wird nicht wie BookTok sein“, sagt Seidel, aber sie fände es schön, wenn in mehreren Städten Menschen ihre Leidenschaft für Theater auch auf TikTok teilen würden.
Theaterkritik nicht von Influencer*innen bedroht
„Die Theaterkritik ist von so manchem bedroht, sicherlich aber nicht von Influencer*innen“, sagt El-Bira. Denn das habe viel mit genau dieser Regionalität von Theater zu tun und der damit fehlenden Abgleichmöglichkeit für die Follower*innen auf YouTube, Instagram oder TikTok.
Anders sei das für Bücher „jede*r kann es selber lesen und somit prüfen, ob der Literatur-Influencer gerade Quatsch erzählt hat“, sagt El-Bira.
Viele Stimmen sind für das Theater gut
Für nachtkritik.de ist Maya Seidel gerade beim Heidelberger Stückemarkt dabei. Sie realisiert Video-Blogs für die Seite. Die herkömmliche Theaterkritik scheint also nicht zu verschwinden, sondern nur etwas dazu zu gewinnen. „Ich glaube, es kann der Theaterkritik und dem Theater selbst auch in Zukunft nur guttun, wenn möglichst viele mitreden, in welcher medialen Form und auf welcher Plattform auch immer“, sagt El-Bira.
Auch professionelle Kritik müsse von Influencer*innen etwas lernen, meint der Theaterkritiker, denn viele von ihnen würden auch aufregende Inhalte produzieren.
„Vieles von dem, was heute in der Zeitung oder in Fachmedien wie nachtkritik.de erscheint, ist zudem für junge Menschen schlichtweg unlesbar geworden“. Daran müssten sie arbeiten und schauen, wie andere es besser machen, meint El-Bira. Ladyameise ist ein Beispiel dafür. Sie erinnert sich auch noch an ihren ersten Post: Dieser war ein einfaches Video, in dem sie nur sagte: „Leute geht ins Theater, das ist cool.“
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