Seit zehn Jahren gibt es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr. Aber noch immer suchen in Rheinland-Pfalz tausende Eltern vergeblich einen Kita-Platz.
Seit August 2013 hat in Deutschland jedes Kind ab einem Jahr ein Recht auf Betreuung, frühkindliche Bildung und individuelle Förderung - und zwar in Kindertageseinrichtungen (zum Beispiel in Kitas) oder in öffentlich geförderter Kindertagespflege (zum Beispiel bei einer Tagesmutter oder einem Tagesvater).
Aber zwischen Theorie und Praxis klafft immer noch eine große Lücke. Im vergangenen Jahr suchten die Eltern in Rheinland-Pfalz für rund 26.500 Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren einen Kita-Platz - darunter auch Misha, der zwei Jahre alte Sohn von Christiane Goulard aus Ludwigshafen.
Chance auf Kita-Platz erst mit vier Jahren
Für Mishas Entwicklung wäre es wichtig, wenn er mit Gleichaltrigen spielen könnte, sagt Christiane Goulard dem SWR. "Es geht mir um das soziale Lernen, diese ganz großen Entwicklungsschritte, die im Kindergarten stattfinden - in eine Gruppe einfügen, den eigenen Platz in der Gruppe finden, sich mit anderen vergleichen."
Darauf muss Misha aber wohl noch lange warten. Bis zu seinem vierten Geburtstag hat er voraussichtlich keine Chance auf einen Kita-Platz. In Ludwigshafen fehlten Anfang dieses Jahres rund 2.000 Kita-Plätze.
Hubig: "Rechtsanspruch ist guter Rahmen"
Dabei hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Die Kommunen bauten zahlreiche neue Kitas. 2013 gab es bundesweit für 29 Prozent der suchenden Familien einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren, 12 Prozent gingen leer aus. 2022 wurden schon 36 Prozent aller Familien mit einem Kita-Platz versorgt, aber 14 Prozent eben auch nicht. In Rheinland-Pfalz lag die Betreuungsquote für die Kinder bis zu drei Jahren bei 30,6 Prozent.
Der Rechtsanspruch habe dem Ganzen einen guten Rahmen gegeben, zeigt sich die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) mit der Entwicklung insgesamt zufrieden. Der Ausbau des Betreuungsangebote gehe voran. "Auch wenn wir uns als Land wünschen würden, dass die Kommunen dabei noch schneller werden, weil wir einfach sehen, dass die Bedarfe enorm hoch sind und die Kinder mittlerweile sehr, sehr früh in die Kita kommen."
GEW zieht negatives Fazit nach zehn Jahren
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht den Ist-Zustand beim Rechtsanspruch kritisch. "Anspruch und Wirklichkeit liegen immer noch weit auseinander. Dieses Fazit müssen wir nach zehn Jahren Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung ziehen", sagt Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied.
Insbesondere bei den Finanzen gebe es Probleme: "Wir erleben die Auswirkungen eines Investitionsstaus von über zehn Milliarden Euro im Bereich der kommunalen, frühkindlichen Bildung. Bund und Länder müssen den Kommunen bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs finanziell unter die Arme greifen", so Siebernik. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz werde das Potenzial gesteigert, die Gesellschaft gerechter und besser zu machen, erklärt Siebernik weiter.
Sell: "Fachkräftemangel bedroht Erfolgsmodell"
Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell, Professor an der Hochschule Koblenz, spricht hingegen von einer gewaltigen Steigerung im Vergleich zu der Situation von vor zehn Jahren. Man müsse "auf der einen Seite von einem Erfolgsmodell Rechtsanspruch sprechen".
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Allerdings: "Gerade in den letzten zwei, drei Jahren sind die Einrichtungen nicht nur konfrontiert gewesen mit der Sondersituation der Corona-Pandemie, sondern auch mit einem eklatanten Fachkräftemangel. Freie Stellen, die da sind, können gar nicht besetzt werden."
Paritätischer Gesamtverband: "Hier darf nicht an den Kindern gespart werden"
Gleichzeitig hat sich die Situation der Mitarbeitenden in Kitas verschlechtert, betont der Paritätische Gesamtverband. "Eltern bekommen keine Betreuungsplätze und Fachkräfte sind am Limit", sagt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. "Wir sind mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs noch längst nicht am Ziel. Wir müssen Geld für eine bessere Kita-Versorgung für alle in die Hand nehmen. Hier darf nicht an den Kindern gespart werden."
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