Der Soziologe Felix Leßke hat erforscht, wie Gemeinden mit Flüchtlingsunterkünften umgehen. Im Fall Michelbach kann er die Sorgen der Bürger verstehen und rät zur offenen Debatte.
Der Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft im dörflichen Gerolsteiner Stadtteil Michelbach hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Konflikte wie diesen gibt es auch anderenorts im Land - vor allem in kleinen Orten.
Der Bonner Migrationsforscher Felix Leßke kennt einige der Fälle und hat untersucht, wie Asylbewerber in Gemeinden aufgenommen werden. Das Ergebnis der Befragungen: Nicht jeder, der eine Flüchtlingsunterkunft kritisiert, ist rechtsextrem. Der Soziologe empfiehlt daher verbale Abrüstung und offene Gespräche.
SWR Aktuell: Warum protestieren derzeit Menschen überall im Land gegen Flüchtlingsunterkünfte und speziell auch in Michelbach?
Felix Leßke: Solche Konflikte sehen wir deutschlandweit vor allem in kleinen Orten. Dort fürchten die Leute um ihr Alltagsleben im Dorf. Wenn zum Beispiel in Michelbach zu 90 Einwohnern noch einmal 60 Geflüchtete dazukommen, dann verändert das den Sozialraum. Und auch die Infrastruktur wird überlastet, weil Kapazitäten vor Ort nicht da sind - es gibt keinen Öffentlichen Nahverkehr, keine Schulen und Kitas.
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Ein Michelbacher ist mit seinem Antrag, eine Flüchtlingsunterkunft zu verhindern, zwar vor Gericht gescheitert. Das heißt aber nicht, dass alle rechtlichen Fragen geklärt wären.
Das heißt nicht zwangsläufig, dass eine Integration nicht gelingen kann. Wenn wir in die wissenschaftliche Literatur schauen, ist das aber schon eine problematisch große Anzahl an Geflüchteten für so einen kleinen Ort. Die Menschen in kleineren Gruppen auf mehrere Gemeinden zu verteilen, wäre in jedem Fall günstiger. Insofern kann man schon Verständnis haben für die meisten Akteure in Michelbach.
SWR Aktuell: Wer Flüchtlingsunterkünfte kritisiert, sagen viele, wird direkt in die rechte Ecke gestellt. Ein Fehler?
Felix Leßke: Mein Plädoyer ist, die Kritiker nicht leichtfertig als Rechtsextreme abzustempeln. Das behindert einen Diskurs und führt nur zu einer Verhärtung der Fronten. Denn wer eine Flüchtlingsunterkunft ablehnt, lehnt nicht automatisch die Menschen ab, die kommen. Und man kann auch die aktuelle Migrationspolitik kritisch sehen, ohne rechts zu sein.
Hinzu kommt: Wer die Leute unberechtigterweise als rechts bezeichnet, treibt sie oft erst recht in dieses Spektrum. Die Leute bekommen dann das Gefühl, dass die Rechten die Einzigen sind, die ihre Anliegen vertreten.
SWR Aktuell: Im Fall Michelbach ist die Stimmung inzwischen aber auf beiden Seiten aufgeheizt. Da werden auch Flüchtlingshelfer und die Landrätin scharf kritisiert. Ist das gerechtfertigt?
Felix Leßke: Beide Seiten müssten verbal abrüsten. Vor allem, wenn man sich klarmacht, dass Kommunen oft nur Entscheidungen umsetzen, die höhere Instanzen treffen. Der Kreis Vulkaneifel zum Beispiel hat im Fall Michelbach relativ wenig Spielraum, die Prozesse zu steuern. Er muss eine bestimmte Anzahl an Menschen unterbringen und es herrscht Wohnungsnot.
Am Ende gibt es dann auf lokaler Ebene nur Verlierer, alle sind unzufrieden. Die Geflüchteten leiden darunter, weil ihnen gleich eine Antihaltung entgegenschlägt. Die Michelbacher leiden darunter, dass sich das soziale Gefüge in ihrem Ort verändert. Und Kommunalpolitiker müssen Entscheidungen treffen, die sie selbst oft gar nicht für richtig halten. Dadurch kann im schlimmsten Fall die gegenseitige Solidarität, das Zusammengehörigkeitsgefühl ins Wanken geraten.
SWR Aktuell: Wie können die Akteure diesen Konflikt überhaupt lösen?
Felix Leßke: Der Schlüssel ist Ehrlichkeit. Bisher ist der Diskurs vor allem von Meinungen geprägt und weniger von Fakten. Ich glaube aber, alle Beteiligten sollten mit offenen Karten spielen. Sie sollten positive und negative Perspektiven aussprechen und auch die Argumente der Gegenseite anerkennen oder zumindest versuchen, die Perspektive der anderen zu verstehen.
Es muss geklärt werden, worin die Sorgen der Bürger bestehen. Welche Vorbehalte, welche Ängste gibt es? Und wie lassen sie sich vielleicht zerstreuen oder durch Maßnahmen eindämmen.
SWR Aktuell: Manchmal, belegen Ihre Studien, zerstreuen sich diese Vorbehalte ja auch von selbst, sobald die ersten Menschen eingezogen sind. Woran liegt das?
Felix Leßke: Das liegt daran, dass sich die Vorstellungen und schlimmsten Sorgen der Bürger dann eben doch nicht bewahrheiten. Die Integration kann gelingen, eine Unterkunft kann positive Folgen für ein Dorf haben.
Bei unseren Befragungen haben viele Menschen daher angegeben, dass sie die Asylunterkünfte irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen haben oder auch relativ positiv wahrnehmen. Das ist natürlich der Idealfall, der ehrlicherweise nicht immer eintritt. Insgesamt lässt sich aber schon sagen, dass die aufgeheizte Stimmung sich oft wieder beruhigt, sobald die Menschen da sind und die Einrichtung eine Zeit lang besteht.
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