Nach dem Freispruch im US-Militärprozess in Spangdahlem

Meinung: Die deutschen und die US-Behörden sollten genau überlegen

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Anna-Carina Blessmann
Anna-Carina Blessmann am Mikrofon

Zwei Wochen nach dem Urteil im Prozess um die Wittlicher Messerstecherei sorgt der Freispruch des Angeklagten für Unverständnis. Die Politik bleibt dazu bisher auffällig still.

Das Wort "Skandal" wird mittlerweile übermäßig benutzt, zumindest in der Boulevardpresse und auf Social Media. Was sich diesen Monat rund um den Prozess auf der Air Base Spangdahlem abgespielt hat, kann man wohl als Skandal bezeichnen. Für die Familie des bei der Säubrennerkirmes 2023 getöteten Wittlichers Michael Ovsjannikov ist es das mit Sicherheit.

Sie hat am 19. August vergangenen Jahres ihren Sohn, Bruder, Cousin verloren. Abschließen kann die Familie nach dem Freispruch nicht. Wäre jemand für diesen Tod verurteilt worden – es hätte Micha nicht zurückgebracht. Und doch ist es eine sehr menschliche Eigenschaft, Ungerechtigkeit nicht zu ertragen.

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Dass Recht und Gerechtigkeit, Rechthaben und Recht bekommen zwei verschiedene Paar Schuhe sind, das ist den meisten klar. Aber das Recht, das am 11. Oktober gesprochen wurde, läuft so krass dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen entgegen, dass kaum vorstellbar ist, wie das wieder gutzumachen wäre.

Hätte es "Im Zweifel für den Angeklagten" heißen müssen?

Einfach ist nichts an alledem: Die achtköpfige Jury im Militärprozess hat sich ihre Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht. Mittwochabend zwei Stunden, dann Donnerstag den ganzen Tag und dann noch einmal Freitag mehrere Stunden hat sie beraten, bevor sie ihr Urteil bekannt gegeben hat. Zuvor hatte sie sich alle Beweise, das Tatmesser, blutige Kleidung, Überwachungsvideos aushändigen lassen.

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Aber im Prozess hatte es kaum Beweise gegen den angeklagten US-Soldaten gegeben: Zeugen waren zum Tatzeitpunkt betrunken und konnten sich nicht richtig erinnern. Ein Zeuge beschuldigte einen zweiten US-Soldaten. Blut auf beider Kleidung kann nicht darauf schließen lassen, wer von beiden der Täter gewesen sein muss. Nach dieser Beweisaufnahme und diesen Zeugenaussagen konnte die Jury wahrscheinlich niemanden schuldig sprechen und womöglich hätte auch ein deutsches Gericht das nicht getan. "Im Zweifel für den Angeklagten" – das ist ein guter Grundsatz in einem Rechtsstaat. Niemand will schließlich, dass Unschuldige bestraft werden.

Die Frage ist aber, ob es diesen Zweifel überhaupt hätte geben müssen. Denn der Knackpunkt ist, dass es ein Geständnis gab, das nicht gewertet wurde. In einem Verhör, das nach Angaben der deutschen Staatsanwaltschaft rechtlich korrekt abgelaufen ist: Der Beschuldigte sei sowohl nach deutschem als auch US-amerikanischem Recht über seine Rechte aufgeklärt worden. Im Verhör hatte er offenbar Täterwissen: Er konnte die Marke des Messers nennen, wo er zugestochen hatte und wo er das Messer in der Lieser entsorgt hat.

Unter der Römerbrücke hat ein Passant die Tatwaffe in der Lieser entdeckt. Von der Brücke bis zum Tatort sind es nur fünf Minuten zu Fuß.
Unter der Römerbrücke hat ein Passant die Tatwaffe in der Lieser entdeckt. Von der Brücke bis zum Tatort sind es nur fünf Minuten zu Fuß.

Nach dem, was die deutsche Polizei damals ermittelt hat und was im Prozess verhandelt wurde, gab es einen Streit oder Kampf zwischen dem Opfer und zwei US-Soldaten. Es gab keinen ominösen Dritten, keinen Anhaltspunkt, dass es sich in Wirklichkeit vollkommen anders abgespielt haben könnte.

Sind die Vorwürfe gegen die Wittlicher Polizei glaubwürdig?

Selbstverständlich hätte ein Beschuldigter sein Geständnis auch vor einem deutschen Gericht zurückziehen können, selbstverständlich gilt in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung, bevor anderes bewiesen wird. Aber in einem deutschen Verfahren hätte das Gericht von dem Geständnis gewusst und bewerten können, was glaubwürdiger ist – die Angaben, die der US-Soldat gemacht hat, oder ob das alles doch nicht sein kann. Auch in der deutschen Justizgeschichte ist es schließlich schon vorgekommen, dass Geständnisse sich später als falsch herausgestellt haben.

Im US-Militärprozess aber kannte die Jury dieses Geständnis gar nicht und konnte es daher auch nicht in ihre Beratungen mit einbeziehen. Weil die Militärrichterin der Ansicht war, der US-Soldat habe es nicht freiwillig gemacht. Die Begründung dafür ist bisher mehr als fragwürdig: Es habe Verwirrung um die Rechtsbelehrung gegeben und der Beschuldigte habe eine "Drohung empfunden", über Nacht festgehalten zu werden. Das sind die dünnen Erklärungen der US Air Base dazu. Die genaue schriftliche Begründung soll dem SWR nachgeliefert werden, wann, ist unklar. Hinzu kommt noch die Behauptung des Verteidigers, sein Mandant habe nicht gewusst, dass er in einem Tötungsdelikt befragt wurde. Das stimmt einfach nicht, sagt die deutsche Staatsanwaltschaft.

Und sind diese indirekten Vorhaltungen, die deutschen Ermittler hätten schlecht gearbeitet, glaubwürdig? Auch die deutsche Polizei kann Fehler machen. Aber aus dem, was der SWR aus Polizeikreisen erfahren hat, sehe ich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Wittlicher Polizei keine ordentliche Rechtsbelehrung erteilt, dem Beschuldigten gar gedroht oder ihm nicht gesagt hat, dass das Opfer an den Messerstichen gestorben ist. So etwas wäre gerade bei der Brisanz dieses Falls rausgekommen, das wissen auch die deutschen Beamten. Zumal auch noch die US-amerikanischen Ermittler dabei waren.

Wie wird in Zukunft nach dem NATO-Truppenstatut vorgegangen?

Was bedeuten also derartige Behauptungen, geradezu Diskreditierungen für die zukünftige Zusammenarbeit von US-Behörden und deutschen? Und was bedeutet es für zukünftige Verfahren, die auch nach dem NATO-Truppenstatut an die USA abgegeben werden?

Wenn ein deutscher Soldat, eine deutsche Soldatin in einem NATO-Mitgliedsstaat beschuldigt werden sollte, würden wir auch wollen, dass sie nach deutschem Recht und Gesetz angeklagt würden. Und ich halte es für abwegig, zu denken, dass das Urteil nun ein Freifahrtschein für alle US-Soldaten in Deutschland wäre, hier ein Verbrechen zu begehen, weil das ohnehin nicht gesühnt werde – wie man es auf der Demonstration gegen das Urteil am vergangenen Freitag teils gehört hat. Menschen, die schlimme Dinge tun, gibt es überall, unabhängig von Nationalität, Religion oder politischer Zugehörigkeit.

Dennoch sollten die US-Behörden sich genau überlegen, wie sie in Zukunft ein solches Verfahren angehen. Dass NATO-Truppen in Deutschland stationiert sind, hat eine lange Tradition, rund um die Flugplätze haben sich Communities gebildet, es geht um unsere Verteidigung. Aber die US-Amerikaner sind hier Gast und das Urteil, das in Spangdahlem gefällt wurde, ist für den juristischen Laien einfach nicht zu erfassen.

Behörden sollten genau überlegen

Bisher ist die deutsche Politik zu dem Thema auffällig still. Sonst übliche Statements von zahlreichen Parteien zu dem Urteil haben uns bisher wenig erreicht. Auch die deutschen Behörden sollten genau darüber nachdenken, ob sie ein solches Verfahren noch einmal abgeben – Möglichkeiten, das nicht zu tun, gibt es theoretisch.

Denn auch, wenn die USA ein Rechtsstaat sind, funktioniert ihr Rechtssystem in gewissen Punkten so anders als das unsere – die Todesstrafe ist nicht überall abgeschafft, Verurteilte können für über 100 Jahre ins Gefängnis gebracht werden, Geständnisse werden einer Jury nicht vorgelegt. So ist es für uns Deutsche schwer, dafür Verständnis aufzubringen.

Es ist ein guter Grundsatz, dass niemand zweimal für dasselbe Verbrechen angeklagt werden kann. Aber in diesem Fall wünscht man sich, dass es noch irgendeine Möglichkeit gibt, dass der Verantwortliche für den Tod von Michael Ovsjannikov – wer auch immer das ist – doch noch zur Rechenschaft gezogen wird. Damit die Familie ihren Frieden machen kann und der Tod ihres Sohnes, Bruders, Cousins gesühnt wird.

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