Wer in einer Grenzregion lebt, fühlt sich nicht europäischer als andere Deutsche. Nach einer Studie der Universität Saarbrücken könnte die Region Trier aber eine Ausnahme sein.
Mal schnell zum Tanken nach Luxemburg oder auf den Markt in Malmedy belgischen Käse kaufen - in Grenzregionen wie der Region Trier ist Europa den Menschen näher als anderswo. Aber lässt sich das auch wissenschaftlich beweisen?
Forscher von der Universität des Saarlandes haben eine Umfrage unter 25.000 Deutschen ausgewertet und herausgefunden: Wer in einer Grenzregion lebt, fühlt sich gar nicht europäischer als jeder andere Deutsche. Doch in der Region Trier könnte das anders sein, sagt Politikwissenschaftler Moritz Rehm im SWR-Interview.
SWR Aktuell: Können Sie kurz zusammenfassen, was das Ergebnis Ihrer Studie war?
Moritz Rehm: Ursprünglich war die Idee, dass in Grenzregionen ein überregionales Gefühl entsteht, eine Identifizierung mit etwas, was mehr als der Nationalstaat ist. Und dann haben wir diese Umfrage ausgewertet und die Antworten aus den Grenzregionen mit dem Inland verglichen.
Das Ergebnis war für uns überraschend: Wer an der Grenze lebt, hat nicht unbedingt einen stärkeren Bezug zu Europa. Das Saarland zum Beispiel liegt, obwohl die Wege nach Frankreich nicht weit sind, genau im westdeutschen Durchschnitt.
SWR Aktuell: Wie steht es mit dem Europa-Gefühl in der Region Trier, die im Westen ja an Luxemburg und Belgien grenzt?
Rehm: Ich habe mir die Stadt Trier, den Kreis Trier-Saarburg und den Eifelkreis Bitburg-Prüm dazu noch einmal genauer angeschaut. Da hatten wir etwas mehr als 100 Befragte. Das sind nicht genug für eine wissenschaftliche Statistik.
Aber es lässt sich eine Tendenz ablesen: Die Menschen in der Region Trier haben einen Bezug zu Europa, der über den deutschen Durchschnitt hinausgeht. Die Befragten fühlten sich ihren Angaben zufolge europäischer als zum Beispiel die Saarländer.
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SWR Aktuell: Woran könnte das liegen, dass die Menschen in der Region Trier "europäischer denken"?
Rehm: Ein Grund könnte Luxemburg sein. Luxemburg ist als Staat komplett Grenzregion und auf die Pendler und das Umland angewiesen. Gleichzeitig ist das Land wirtschaftlich stark und bietet attraktive Arbeitsplätze.
Weil das Großherzogtum von den Nachbarstaaten profitiert, hat Luxemburg es vielleicht auch besser hinbekommen, die Gesetze auf den Grenzverkehr abzustimmen.
SWR Aktuell: Liegt das daran, dass in Luxemburg die Wege im wahrsten Sinne des Wortes kürzer sind?
Rehm: Die deutschen Gesetzgeber sitzen in Berlin und in den Landeshauptstädten. Sie sind somit weit weg von den Menschen in den Grenzregionen. Während Luxemburg-Stadt nur 50 Minuten von Trier entfernt liegt.
Sie können die Gesetze entsprechend anpassen und Pendlerströme mitdenken. Die Luxemburger wissen, was die Probleme bei den Nachbarn sind. Nehmen Sie zum Beispiel den kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr. Sie haben da einen Zug, der von Trier aus bis Luxemburg-Stadt durchfährt und Busse, die an den Gewerbegebieten auf dem Kirchberg oder in Esch-Belval halten.
Das findet man nicht überall, das haben die Luxemburger auf den Weg gebracht. Und weil die Zusammenarbeit klappt, könnte es sein, dass die Trierer Europa positiver wahrnehmen.
SWR Aktuell: Ist das in anderen Grenzregionen anders?
Rehm: Im Saarland ist die Situation anders. Im angrenzenden Lothringen sieht es wirtschaftlich nicht rosig aus. Die Region bietet den Saarländern keine so attraktiven Arbeitsplätze wie etwa Luxemburg.
SWR Aktuell: Welche Rolle spielt es, dass man in Luxemburg günstiger tanken kann?
Rehm: Tatsächlich haben Forscher herausgefunden, dass der Tanktourismus auf das Europa-Gefühl keine Auswirkungen hat. Dass man sich für jeden Liter Diesel, den man ins Auto pumpt europäischer fühlt - das ist ja auch eine schwachsinnige Idee. Aber überhaupt haben wir die These, dass viele positiven Aspekte durch Alltagsprobleme an der Grenze überschattet werden.
SWR Aktuell: Welche Probleme meinen Sie damit?
Rehm: Ein Beispiel sind die gesprengten Geldautomaten in Grenzregionen wie dem Saarland oder der Eifel. Die Täter flüchten oft nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande.
Die Grenze wird als Gefahr wahrgenommen. Aber es gibt auch ganz alltägliche Dinge. Wenn die Bus- oder Zugfahrt an der Grenze endet, das frustriert die Menschen. Unsere These ist, dass sich gerade in Grenzregionen zeigt, wo Europa zusammengewachsen ist, aber auch, wo es hakt.
Dort machen die Menschen entweder gute Erfahrungen oder schlechte. Und das wirkt sich möglicherweise auf ihren Bezug zu Europa aus. Um diese These zu belegen, müssen wir aber tiefer in die Forschung einsteigen.
SWR Aktuell: Wie geht es jetzt mit Ihrer Forschung weiter?
Moritz Rehm: Die Studie war ein erster wissenschaftlicher Aufschlag. Wir haben aber ein größeres Forschungsprojekt in Arbeit, das verschiedene Aspekte beleuchten soll. Da wollen wir uns einzelne Grenzregionen genauer anschauen und sie miteinander vergleichen.
Geplant sind verschiedene Umfragen und Erhebungen, damit wir repräsentative Zahlen bekommen, wie die Menschen ticken.