Forscher am Umweltcampus Birkenfeld haben herausgefunden, dass die Artenvielfalt in europäischen Bächen erstmals seit 30 Jahren zurückgeht. Auch regionale Bäche sind demnach bedroht.
Der Thranenbach im Hunsrück steckt voller Leben. Tausende kleine Tiere schwimmen in dem glasklaren Wasser - auch wenn die Krebse, Schnecken, Würmer und Insektenlarven, die sich hier tummeln, mit bloßem Auge kaum zu erkennen sind.
"Man muss reingreifen, die Steine umdrehen und schauen, was sich darunter versteckt", sagt Professor Stefan Stoll vom Umweltcampus Birkenfeld. Und genau das haben der Gewässerökologe und seine Studenten in den vergangenen Jahren am Thranenbach getan.
Wissenschaftler aus 22 Ländern untersuchen Bäche
Der Gewässerökologe und sein Team haben an der größten europäischen Studie zur Artenvielfalt in Bächen teilgenommen. Zusammen mit Wissenschaftlern aus 22 Ländern haben sie Flüsse auf dem ganzen Kontinent - von Spanien bis Dänemark - untersucht und Tausende Daten von den 1980er-Jahren bis heute ausgewertet.
30 Jahre lang: Immer mehr Arten
Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass die Artenvielfalt in den Gewässern in den vergangenen dreißig Jahren zugenommen hat. "Und das ist ja erst mal erfreulich, wo wir an Land von dramatischen Einbrüchen und einem Artenrückgang sprechen müssen", sagt Stoll.
Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht. In jüngster Zeit sei die Artenvielfalt nicht mehr gewachsen, so der Forscher: Sie sei sogar in Teilen rückläufig. Wer diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Analysen verstehen will, muss aber etwas genauer in die Daten schauen.
Hunsrück war stark von saurem Regen betroffen
In den 1980er-Jahren, als die ersten Proben gezogen wurden, auf die die Studie zurückgreift, war der Zustand der Gewässer katastrophal. Und kaum ein Bach war damals so schlecht dran wie der Thranenbach, der heute mitten im geschützten Nationalpark Hunsrück-Hochwald liegt.
Der Grund dafür war die Stahl- und Kohleindustrie im Saarland, die jede Menge Abgase produziert hat. "Die Schwefel- und Salpetersäure ging damals ungefiltert in die Luft, wurde mit den Wolken transportiert und ging am nächsten Berghang als saurer Regen runter", erzählt Stoll. Und der nächste Berghang war der Hunsrück: "Der Thranenbach war damals der versauerteste Bach in Westdeutschland. Da hat kaum etwas überlebt."
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150 Arten auf einem Quadratmeter
Heute arbeitet die Industrie sauberer. Der saure Regen hat aufgehört. Und auch sonst hat sich viel getan. Kläranlagen filtern das Abwasser, bevor es in die Bäche läuft. Und so hat sich auch der Thranenbach weitestgehend erholt.
Andere Gewässer stehen noch besser da. "In einem gesunden Mittelgebirgsbach finden Sie 150 verschiedene Tierarten auf einem einzigen Quadratmeter", sagt der Biologe. Bis zu 10.000 Krebse, Würmer und Insekten können dort leben.
Klimawandel: Arten verschwinden wieder
Dass die Bäche wieder so lebendig sind, ist ein Erfolg, sagt Stoll. Trotzdem sind er und seine Kollegen wieder besorgt um die Biodiversität in den Gewässern. Denn mit der Zunahme der Biodiversität ist seit einigen Jahren wieder Schluss.
Das hat laut den Wissenschaftlern mehrere Gründe. Zum einen seien die Bemühungen, die Bäche zu renaturieren, wieder etwas eingeschlafen. Es seien zum Beispiel kaum noch neue Kläranlagen gebaut worden. Zum anderen kämen nicht alle Arten mit dem Klimawandel und der Hitze klar. Ein Beispiel ist die Bachforelle, die sich in 20 Grad warmem Wasser nicht wohlfühlt.
Wissenschaftler fordern mehr Grün um die Bäche herum
Die Prognose von Stefan Stoll vom Umweltcampus Birkenfeld: "Wir werden im großen Stil diese kälteliebenden Arten verlieren - auch hier in der Region." Zumindest dann, wenn die Politik und die Kommunen nicht gegensteuern. Helfen könnte es zum Beispiel, Bäume und Büsche an den Ufern zu pflanzen. Denn die spenden Schatten.
"So ließe sich die Wassertemperatur um vier bis sechs Grad reduzieren", sagt der Wissenschaftler. Auch das habe die Studie gezeigt. Die Forelle und andere Tiere könnten dann vielleicht auch in unseren Breiten überleben.
Intensive Landwirtschaft ist Gefahr für die Artenvielfalt
Randstreifen schützten die Bäche zudem vor der intensiven Landwirtschaft, die laut den Untersuchungen ebenfalls für den Artenschwund verantwortlich ist. "Wir brauchen einfach fünf bis zehn Meter Puffer links und rechts von Gewässern." Pflanzen könnten Dünger und Pestizide abfangen und filtern, die derzeit in den Bächen landen.
Stefan Stoll plädiert also dafür, gegenzusteuern. Denn die Artenvielfalt in den Gewässern sei bedeutend für die Nahrungskette. Wenn Insekten verschwinden, verschwinden bald auch die Fische und Vögel, die sie fressen. "Und wir wissen nicht, wie viele Maschen wir aus dem Netz unseres Ökosystems lösen können, bevor das Netz reißt."