Für die Landeshauptstadt Mainz ist das eine neue Situation: Mit Nino Haase kommt zum ersten Mal ein parteiloser Oberbürgermeister ins Amt. Für seine Vorhaben muss er sich Mehrheiten suchen. Was bedeutet das in der Praxis?
"Der neue Oberbürgermeister wird im Stadtrat ständig auf Kompromisse angewiesen sein, wenn es um die Gestaltung der Stadt geht", sagt Friedhelm Hufen, Professor für Öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Der Rat sei das höchste Organ der Stadt, in dem alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden.
Haase hat keine breite Unterstützung
Vor diesem Hintergrund könnte es für Haase schwierig werden, seine Ideen umzusetzen: Der Mainzer Stadtrat besteht aus 60 Ratsmitgliedern. Die Ampelkoalition aus Grünen, SPD und FDP hält dort die Mehrheit. Sie kann im Grunde die Stadtpolitik weiter bestimmen. Im Wahlkampf hatte Haase die Unterstützung durch die Freien Wähler und die ÖDP akzeptiert. Beide Parteien kommen insgesamt auf drei Sitze und spielen damit fast keine Rolle bei der Schaffung von Mehrheiten. Die Unterstützung der AfD, die drei Sitze im Stadtrat hat, lehnte Haase mehrfach ab.
Parteilos wird auch in anderen Städten regiert - aber anders
Das macht auch den großen Unterschied zu parteilosen Oberbürgermeistern in anderen Städten Deutschlands aus. Henriette Reker ist als parteilose Oberbürgermeisterin von Köln beispielsweise von Grünen, CDU, FDP und der Wählergruppe "Deine Freunde" unterstützt worden. Eine ähnlich breit angelegte Unterstützung hatten auch die meisten anderen parteilosen Oberbürgermeister in Deutschland.
Doch zurück nach Mainz: Was der Stadtrat hier beschließt, muss Haase als Oberbürgermeister umsetzen. Es gebe aber eine Ausnahme, so Hufen.
Ansonsten ist der Oberbürgermeister an die Beschlüsse gebunden – auch wenn sie seinen eigenen Überzeugungen widersprechen. Als Oberbürgermeister kann Haase auch nicht eigenständig entscheiden, was auf die Tagesordnung für den Stadtrat kommt. "Das ist Aufgabe des Stadtvorstandes. Das heißt, auch hier braucht Haase Mehrheiten, wenn er zum Beispiel selbst Anträge für den Stadtrat einbringen will. Bringt er diese Mehrheiten nicht zusammen, schafft es sein Antrag möglicherweise noch nicht einmal ins Stadtparlament", so Hufen. "Im Vergleich dazu hat sogar ein Verbandsgemeindebürgermeister mehr Macht. Er bestimmt nämlich selbst, was auf der Tagesordnung des Gemeinderats steht."
Oberbürgermeister in Mainz sind oft die Hände gebunden
Auch sonst sind dem Oberbürgermeister ziemlich die Hände gebunden: Will er den Stadtvorstand umgestalten oder die Zuständigkeiten innerhalb der Dezernate umstrukturieren, muss der Stadtrat laut Hufen diese Entscheidungen mitgehen. "Selbst Eilentscheidungen kann der Mainzer Oberbürgermeister nicht im Alleingang treffen. Der Stadtvorstand trifft sich hier einmal in der Woche, so dass die Eilentscheidung mit ihm abgestimmt werden kann und muss", erklärt der Professor.
Theoretisch könnten sich im Stadtvorstand und Stadtrat also leicht Mehrheiten gegen Haase bilden, die an ihm vorbeiregieren und ihn so zu ihrer Marionette machen. Ob das praktisch sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.
Kommunalwahl 2024: Werden Haase-Unterstützer gewinnen?
Spannend für die Mainzer Stadtpolitik wird die Zeit bis zum Frühjahr 2024 sein. Dann sind Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz. Die zentralen Fragen bis dahin lauten: Wird es Nino Haase schaffen, sich für seine Projekte Mehrheiten zu schaffen – möglicherweise auch wechselnde Mehrheiten?
Sollte er damit scheitern, stellt sich die Anschlussfrage: Welche Auswirkungen hat das auf die Kommunalwahlen? Erfahren in diesem Fall jene Parteien, die Haase unterstützen und mit denen er zusammenarbeitet einen noch nie gekannten Zulauf – also Freie Wähler und ÖDP? Das wiederum könnte zu Lasten von Grünen, SPD, CDU und FDP gehen. Für die Parteien könnte eine Blockadepolitik also auch ein gewisses Risiko sein. Auf diesem Weg könnte Haase also indirekt Macht ausüben.
Haase hat auch Trümpfe in der Hand
Professor Hufen betont weitere Möglichkeiten, die Haase nutzen kann, um die Stadtpolitik nach seinem Willen zu gestalten: "Wir sollten nicht unterschätzen, dass der Stadtrat in gewisser Weise auch auf den Oberbürgermeister angewiesen ist. Denn der OB ist der Repräsentant nach außen. Er ist derjenige, der die Entscheidungen nach außen kommunizieren soll. Für die Bürger ist er im Grunde 'die Stadt'".
Das heißt: Allein über die Art der Kommunikation kann Haase die eine oder andere Strippe ziehen. Außerdem sei Haase als Oberbürgermeister automatisch auch der Vorsitzende des Stadtrats. Und nicht zu vergessen: Als Chef der Verwaltung ist er der Vorgesetzte der Beamten und Angestellten.
Kompromisse sind möglich
Unter dem Strich können viele die Gestaltung der Stadtpolitik beeinflussen: Der Stadtrat und damit die Parteien, der Stadtvorstand, die Ausschüsse und der Oberbürgermeister. Indirekt natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger über Wahlen und Bürgerentscheide.
Hufens Einschätzung zufolge kommt es deshalb nun vor allem auf das Geschick Haases an. Schafft er, ohne eine automatische Mehrheit im Stadtrat zu vermitteln, Kompromisse zu finden und die Mehrheit der Entscheidungsträger zu einem gemeinsamen Weg zu bewegen? Dieses Ziel hatte Haase in seinem Wahlkampf ausgerufen. In diesem Fall, so Hufen, "könnte er auch so Bedeutendes für die Stadt erreichen."