Bei der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden jüdische Geschäfte und Synagogen in Brand gesteckt. Es war der Auftakt zum Holocaust. Jetzt haben auch Jüdinnen und Juden in der Pfalz wieder Angst.
Marina Nikiforova, Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, ist wegen des Kriegs im Nahen Osten bedrückt. "Fast alle unsere Gemeindemitglieder haben Kinder oder Enkel in Israel und leben in ständiger Sorge um sie", erzählt sie. Die Sozialpädagogin hat ein offenes Ohr für die jüdischen Gemeindemitglieder - zwei Mal pro Woche hält sie eine Sprechstunde in Ludwigshafen. Sie ist nah dran an den Nöten und Sorgen der Menschen.
Die Ukrainerin lebt seit mehr als 25 Jahren in der Pfalz. "Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres bin ich ein anderer Mensch." Bei dem Terrorangriff auf ein israelisches Musikfestival wurden 1.200 Menschen ermordet und 255 Geiseln verschleppt.
Ludwigshafen: Kein Hinweisschild aufs Gemeindehaus
In Ludwigshafen weist nicht einmal ein Schild am Hauseingang auf das jüdische Gemeindehaus hin. "Zu gefährlich. Das haben wir abgeschraubt", erklärt Marina Nikiforova. Heute probt dort der Chor - wie immer unter Polizeischutz. "Seit dem versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle vor fünf Jahren sind wir immer bei den Chorproben dabei", sagt einer der Beamten.
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Jüdische Gemeinde: "Fühlen uns manchmal wie im Ghetto"
"Wir fühlen uns manchmal wie in einem Ghetto", erklärt Marina Nikiforova. Die Gemeinde sei sehr dankbar, dass sie diese Unterstützung der Polizei bekomme. Aber Chorproben, Seniorennachmittage und Deutschkurse nur mit Polizeischutz durchführen zu können, sei doch eine sehr "bedrückende Situation".
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Der Antisemitismus habe seit dem Krieg im Nahen Osten stark zugenommen. Man bedenke, wie oft etwa israelische Flaggen, die die Stadtverwaltung in Ludwigshafen gehisst habe, zerstört und heruntergerissen wurden in den vergangenen Monaten.
Erstarken der AfD - Juden in Angst
Seit dem Erstarken der AfD hätten viele Juden noch mehr Angst. "Viele junge Leute überlegen, nach Israel auszuwandern. Auch mein Schwiegersohn hat darüber nachgedacht", erzählt Nikiforova. Die Mutter einer Tochter und Oma eines Enkelkindes ist jedoch froh, dass die kleine Familie erst einmal in Deutschland bleibt.
"Meinen Davidstern trage ich schon lange nicht mehr als Kette um den Hals", berichtet Marina Nikiforova. So groß ist ihre Angst vor Anfeindungen. "Eigentlich ist es der Wahnsinn, dass man seinen Glauben nicht öffentlich zeigen kann!" Die Männer wiederum würden in der Öffentlichkeit ihre Kippa nicht mehr tragen, so Nikiforova.
Wollen Männer allerdings die Synagoge in Speyer besuchen, müssen sie eine Kippa tragen. Jüngst habe sich ein Jugendlicher auf Klassenausflug in der Synagoge die zur Verfügung gestellte Kippa vom Kopf gerissen und vor Wut auf den Boden geworfen, erzählt Marina Nikiforova. Sie ist noch immer entsetzt.
Auch Galina Borodina, Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde, erzählt, dass sie ihre Kette mit dem Davidstern nicht mehr trägt. "Unglaublich, oder? Warum müssen wir eigentlich immer wegen unseres Glaubens Angst haben? Immer noch nach all der Zeit?", fragt Borodina. "Sie glauben nicht, wie viele junge Leute auf gepackten Koffern sitzen und nach Israel wollen", erzählt sie, bevor sie zurück zur Chorprobe geht. Heute auch im Repertoire, Lieder, die von den verschwundenen und nie wieder zurückgekehrten Geiseln in Israel erzählen. Sie hallen traurig durch die Wände.
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