Viele Bürgermeister in der Pfalz haben eigentlich keine Lust mehr, bei der Kommunalwahl 2024 nochmal anzutreten. Denn die Gemeindekassen sind so leer, dass es kaum noch Gestaltungsspielräume gibt. Wir haben mit drei Bürgermeistern gesprochen.
Matthias Ackermann (parteilos) ist 55 Jahre alt und seit 20 Jahren Ortsbürgermeister in Birkenhördt, einem kleinen Ort im Kreis Südliche Weinstraße, nahe der französischen Grenze. Ackermann hat als einer von 600 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Rheinland-Pfalz an einer SWR-Umfrage teilgenommen. Dabei wollten wir wissen, ob die Bürgermeister sich erneut zur Wahl stellen oder auch nicht. Und natürlich interessierten uns auch die Gründe dafür.
Die finanzielle Ausstattung der Kommunen sei über die Jahre hinweg immer schlechter geworden, sagt Ackermann. "Ich habe die Entwicklung der Finanzen miterlebt und die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Birkenhördt." Und: Diese Auswirkungen sind "fast erniedrigend, muss ich sagen."
SWR-Umfrage zeigt Frust unter ehrenamtlichen Bürgermeistern in RLP Ortsbürgermeister in RLP fühlen sich von Behörden im Stich gelassen
Eigentlich sollten die Verwaltungen die ehrenamtlichen Bürgermeister in Rheinland-Pfalz unterstützen. Die Wirklichkeit sieht nach Angaben vieler Ortsbürgermeister aber anders aus.
Bürgermeister Ackermann: "Das Land hat klebrige Finger"
Unter den Ortsbürgermeistern spreche man davon, "dass das Land klebrige Finger hat", sagt der Bürgermeister von Birkenhördt. Das bedeute, dass Bundeszuschüsse in Rheinland-Pfalz nicht - wie in anderen Bundesländern - eins zu eins an die Kommunen weitergereicht würden. Vielmehr würden Teile davon genutzt, um den Landeshaushalt zu sanieren, so Ackermann.
Erzwungene Steuererhöhungen: Frust im Gemeinderat Birkenhördt
Durch sogenannte Pflichtaufgaben, wie die anstehende Erweiterung der Kita in Birkenhördt und die Vorgabe des Landes, im besten Fall einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen oder zumindest keine neuen Schulden zu machen, sei die Situation der Ortsgemeinde "echt unerträglich", so Ackermann. "Der Rat sei völlig frustriert."
Pflichtaufgaben sind Aufgaben, denen sich eine Kommune nicht entziehen kann. Sie muss sie erfüllen. Beispiele sind das Bereitstellen eines Kita-Platzes, der Unterhalt von Straßen und vieles mehr.
Das Allerschlimmste für die Ratsmitglieder sei, die Hebesätze für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer nach den Vorgaben des Landes erhöhen zu müssen. Machen das die Gemeinden nicht, werden Fördermittel gestrichen. "Das haben wir zähneknirschend und mit geballter Faust gemacht. Und das hat uns gerade mal 16.000 Euro mehr pro Jahr eingebracht. Wir haben aber unserer Bürger damit verärgert." Allein der Anbau der Kita als Pflichtaufgabe koste die Ortsgemeinde 1,1 Millionen Euro. "Da wissen Sie, dass 16.000 Euro gar nichts sind." Und trotz aller Anstrengungen habe die Ortsgemeinde inzwischen etwa 400.000 Euro Schulden.
Kein Geld mehr für freiwillige Leistungen: Ehrenamt hilft
Ortsbürgermeister Ackermann nennt auch Beispiele, wo die Gemeinde bei freiwilligen Leistungen keinerlei Handlungsspielräume mehr hat. So wollte Birkenhördt seinen Ortseingang für etwa 15.000 Euro aufwerten. Aber, so Ackermann, das Land hatte etwas dagegen. "Wenn Ihr das macht, dann wird Euer Haushalt nicht genehmigt", beschreibt er die Reaktion aus Mainz.
Zuschüsse für die "sehr engagierten Vereine" im Dorf seien schon lange nicht mehr drin, bedauert der Bürgermeister. Nur das Bürgerhaus der Gemeinde könnten die Vereine noch kostenlos für Veranstaltungen nutzen. Allerdings sei das Gebäude in die Jahre gekommen und fresse viel Energie. Eine Sanierung könne sich Birkenhördt aber nicht leisten.
Ohne das Engagement Ehrenamtlicher würde es noch schlechter aussehen, sagt der Ortsbürgermeister. Beispielsweise habe eine Gruppe gerade eine Friedhofsmauer in Eigenarbeit erneuert, weil eine Fachfirma 60.000 bis 70.000 Euro für die Sanierung verlangt hätte. Geld, das die Gemeinde nicht habe.
Birkenhördt: Der halbe Gemeinderat will aufhören
Bei den Ratsmitgliedern - sechs Frauen und sechs Männer -, herrsche viel Frust. Einige hätten bereits erklärt, im kommenden Jahr nicht mehr antreten zu wollen. Auch Ackermann grübelt: Soll ich nochmal antreten oder soll ich nicht? Diese Frage beschäftigt ihn gerade sehr. "Das nimmt mich emotional mit, weil ich das seit 20 Jahren mache und weil sich so viele Ehrenamtliche hier engagieren."
Die Hoffnung von Ackermann ist, dass seine sechs Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Rat, allesamt ehrenamtlich in Vereinen engagiert, trotz allem nicht aufgeben. "Wenn wir es hinbekommen, im Dorf weiter an einer Strippe zu ziehen", dann würde er auch im nächsten Jahr nochmals als Ortsbürgermeister antreten, sagt der Südpfälzer.
Meckenheim in der Pfalz: Anderer Ort, die gleichen Probleme
Julia Kren von der Freien Wählergruppe (FWG) ist 35 Jahre alt und seit 2019 Ortsbürgermeisterin von Meckenheim. Die Gemeinde mit rund 3.600 Einwohnern liegt im Landkreis Bad Dürkheim. Die studierte Weinbetriebswirtschafterin hat ihr Ehrenamt 2019 voller Elan und Tatendrang angetreten, sie wollte ihr Dorf voranbringen. Doch von Anfang an war es schwierig, sagt Kren: "Erst kam Corona, dann der Ukraine-Krieg. Durch Corona haben wir dann auch einen Teil der Steuereinnahmen eingebüßt."
Gleichzeitig sei die finanzielle Ausstattung der Kommunen immer schlechter geworden. Das Land übertrage den Dörfern immer mehr kostspielige Pflichtaufgaben, wie den Ausbau der Kitas. "Spielraum für weitere Projekte, außer den Pflichtaufgaben, bleibt da wenig", so Kren.
Hohe Abgaben an Verbandsgemeinde und Landkreis
Noch stehe Meckenheim im Vergleich zu vielen anderen Gemeinden finanziell gar nicht so schlecht da - mit etwa 40.000 Euro Minus im Nachtragshaushalt, so die Ortsbürgermeisterin. Aber das Land verpflichte die Kommune beispielsweise dazu, die beiden Kitas im Dorf auszubauen, um Ganztagsplätze einzurichten. Das bereite ihr Kopfzerbrechen, so Kren.
Eine Aussicht auf wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten in Meckenheim gebe es nicht, so Kren. Denn auch die Kosten für die Verbandsgemeinde und den Landkreis würden weiter steigen. Und das bedeute, dass die Verwaltungen dort höhere Umlagen, also Abgaben, von Meckenheim verlangten. Das wiederum zwinge die Ortsgemeinde, ihre Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen. "Dieser Kreislauf ist sehr frustrierend", so Kren.
Meckenheim: Zuschüsse vom Land nur gegen Steuererhöhungen
Denn nur wenn die Gemeinde die Steuern nach den Vorgaben des Landes anhebe, auf die Höhe der sogenannten Nivellierungssätze, komme das Dorf auch in den Genuss von Förderprogrammen und Krediten, sagt Kren und wird konkret. "Wir sind das mitgegangen, weil die Zuschüsse des Landes für Investitionen, wie die Gestaltung eines Dorfplatzes, davon abhängen."
Bürgermeisterin Kren: "Man will vor Ort auch noch gestalten können"
Auch Kren ist sich noch unsicher, ob sie für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Dafür müssten sich auch die Voraussetzungen ändern. "Man will vor Ort auch noch gestalten können", und deshalb sei es für sie wichtig, dass das Land die Kommunen wirklich finanziell besser ausstattet, sagt die Meckenheimerin. Von dem Geld für die Kommunen komme in dem Ortsgemeinden im Grunde genommen nichts an. "Bei uns kommt es aktuell so an, dass das Land alles, was unangenehm ist, auf uns abwälzt."
Auch mit der Anerkennung für das zeitintensive Ehrenamt Ortsbürgermeisterin sei es nicht zum Besten bestellt, sagt Kren, "weil wir im Rathaus ja Ansprechpartner sind, wenn irgendetwas im Dorf nicht funktioniert." Kren bezweifelt, dass sich künftig vor allem noch junge Menschen für das Amt als Ortsbürgermeister gewinnen lassen, wenn sich nicht bald etwas ändert. "Es ist ein Ehrenamt und junge Leute bei diesen Voraussetzungen dafür zu gewinnen, ist schwierig."
Aber: Die Motivation, sich für das Dorf zu engagieren, ist in Meckenheim groß, sagt die Ortsbürgermeisterin. Sie gehe deshalb davon aus, dass sich auch andere Kandidaten für das Amt finden werden, falls sie im kommenden Jahr nicht mehr antritt. Noch kämpft die Meckenheimerin mit sich: "Man will jetzt nicht sagen: Wenn es schwierig wird, dann hören wir auf."
Dernbach in der Südpfalz: Ohne Ehrenamt geht hier finanziell nichts
Krens Amtskollege Harald Jenzter (parteilos) ist seit fast 15 Jahren Ortsbürgermeister von Dernbach im Kreis Südliche Weinstraße. Auch er zweifelt, ob er im kommenden Jahr nochmals für das Ehrenamt in dem Dorf mit 500 Einwohnern antreten wird.
Das Hauptproblem seien die Abgaben, also die sogenannten Umlagen, die die Ortsgemeinde von ihren Steuereinnahmen an die Verbandsgemeinde und den Kreis abführen muss. "Die liegen aktuell bei 82 Prozent. Das bedeutet nur 18 Prozent bleiben Dernbach und das reicht kaum, um Pflichtkosten für den Unterhalt der Kita, der Straßen und Wege zu sorgen."
Dadurch habe die Gemeinde keinerlei Spielraum mehr, um Vereine zu unterstützen oder auf dem Spielplatz ein neues Spielgerät anzuschaffen, wenn das alte kaputt gehe. Die kleine Gemeinde Dernbach behilft sich durch einen Heimatverein, bei dem Ortsbürgermeister Jentzer Vorsitzender ist. "Der sammelt Spenden oder veranstaltet die Dorfkerwe und nutzt die Einnahmen dann beispielsweise für den Spielplatz."
Bürgermeister Jentzer: Ratsmitglieder werden beschimpft
Die Stimmung im Ort werde immer gereizter, so Jentzer. Bürgerinnen und Bürger reagierten zunehmend verärgert, wenn es darum gehe, dass sie höhere Steuern und Abgaben leisten müssten.
Der Bürgermeister nennt ein Beispiel aus einer Gemeinderatssitzung Ende September. Da sei es darum gegangen, dass die Gemeinde eine Straße erschließen wolle und die Anwohner deshalb sogenannte Erschließungsbeiträge zahlen müssten. Die anwesenden Bürger hätten darauf "extrem dünnhäutig" reagiert, sagt der Dernbacher Ortsbürgermeister. Obwohl solche Beiträge eigentlich üblich seien, hätten sich Bürger schlichtweg geweigert, zu zahlen und auch Gemeinderatsmitglieder beschimpft.
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Steigende Steuern in Dernbach nicht mehr vermittelbar
Das nächste Damoklesschwert, das über der Gemeinde schwebe, sei die Grundsteuerreform, die 2024 greife. "Es droht, dass die Leute das Doppelte bis Dreifache an Grundsteuer zahlen müssen", so Jentzer, der als gelernter Diplom Finanzwirt und Mitarbeiter eines Finanzamts weiß, mit man Zahlen umgeht. Und das sei von der Landesregierung wohl auch so gewollt.
Dabei sei es schon jetzt nicht mehr vermittelbar, warum die Ortsgemeinden die Steuern ständig aufgrund der Landesvorgaben anheben müssten. Dernbach habe die Hebesätze für Grundsteuer nach diesen prozentualen Vorgaben erhöht, bei der Gewerbesteuer liege die Gemeinde sogar noch darüber. Dennoch könne das Dorf dieses Jahr mit einem Minus von 15.000 Euro keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, so Jentzer. "Das ist das Paradoxe: Das Land sagt, das Steueraufkommen ist gestiegen. Dabei erhöht es die Bemessungsgrundlage für dieses Steueraufkommen und das Land behandelt uns dabei genauso wie große Kommunen."
Bürgermeister Jentzer zweifelt, ob er noch seine Zeit opfern will
Zur Frage, ob er im kommenden Jahr für eine vierte Amtszeit antreten wird, sagt Jentzer: "Ich weiß es wirklich noch nicht.“ Die ehrenamtliche Aufgabe als Ortsbürgermeister koste ihn seine gesamte Freizeit - neben seinem Beruf mit einer 40-Stunden-Woche. Ohne seine Frau, die ihn unterstützt, wäre das gar nicht möglich und auch seine Söhne helfen mit, so Jentzer. Neben der Unterfinanzierung durch das Land und der Tatsache, dass die Dörfer durch die Reform des Länderfinanzausgleichs null profitierten, stelle er sich auch die Frage, ob er persönlich noch bereit sei, "seine Zeit zu opfern."
Bisher hätten die Leute im Dorf sein Engagement honoriert. "Aber das nimmt immer mehr ab." Doch was passiert wenn der parteilose Ortsbürgermeister nicht mehr antritt? Jentzer war drei Mal in Folge zum Ortsbürgermeister gewählt worden, aber immer ohne Gegenbewerber. Und es bereitet dem Süpfälzer nun auch Kopfzerbrechen, ob sich überhaupt noch eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger für sein Ehrenamt finden wird, wenn er nicht mehr antritt. "Ich wäre schon froh, wenn ich weiß, dass es genügend Bewerber für den Gemeinderat gibt."
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