Die Stadt Nassau muss sich der nationalsozialistischen Vergangenheit ihres Gönners Günter Leifheit stellen. Ein Historiker hat dazu eine Studie veröffentlicht. Das sagen die Menschen vor Ort.
Angesprochen auf die Nazi-Vergangenheit von Günter Leifheit reagieren die Menschen in Nassau unterschiedlich: Einige sind überrascht, vor allem weil der 2009 verstorbene Ehrenbürger in Nassau als großer Wohltäter und Vorbild gilt. Die meisten wünschen sich allerdings, dass Leifheits Rolle zur NS-Zeit transparent aufgearbeitet wird. Weitere Konsequenzen - etwa Straßen oder Plätze, die nach Leifheit benannt sind, deshalb umzubenennen - halten viele zum jetzigen Zeitpunkt für nicht richtig.
Historiker: "Leifheit hatte mustergültige Nazi-Karriere"
Die Studie des Historikers Stefan Holler, der ebenfalls aus Nassau stammt, zeichnet eine in der Öffentlichkeit bislang unbekannte Seite von Günter Leifheit. Holler kam nach umfangreichen Recherchen in Dokumenten aus dem Zweiten Weltkrieg im Bundesarchiv zu dem Schluss, dass Günter Leifheit eine "mustergültige nationalsozialistische Karriere" absolviert habe.
Demnach sei Leifheit 1938 der NSDAP beigetreten und 1940 freiwillig in die Waffen-SS eingetreten. Von September 1940 bis Kriegsende 1945 soll er in verschiedenen Pionier-Einheiten der "Leibstandarte-SS Adolf Hitler" gedient haben.
Nassauer wussten von Leifheits Vergangenheit
Zwei ältere Frauen aus Nassau erzählen, dass die NS-Vergangenheit des ehemaligen Konzernchefs in der Stadt durchaus bekannt gewesen sei. Allerdings betonen beide, dass Günter Leifheit immer viel für den Ort getan habe. Es sei jetzt zu spät, diese Themen aufzudecken, sagt eine: "Was dieser Mann für die Stadt geleistet hat, ist Wahnsinn, deshalb finde ich es nicht so gut, dass man da jetzt anfängt zu wühlen."
Anders sieht das Ulrike Weiwad-Klenk, die aktive Erinnerungsarbeit in Nassau leistet. Sie fordert Konsequenzen in der Causa Günter Leifheit: "Der war nicht nur NSDAP-Mitglied, der war nicht nur in der Hitlerjugend, der hat aktiv bis 1968 mindestens dahinter gestanden. Und in der Stadt wussten alle von den Veteranentreffen hier in Nassau." Sie putze jedes Jahr mit Schülern der neunten Klassen des Leifheit-Gymnasiums die Stolpersteine in Nassau, sagt Weiwad-Klenk: "Und wir reden im Anschluss über unser Geschichtserbe und wie Menschen damit umgehen. Und ich denke, da muss was passieren."
"Mustergültige nationalsozialistische Karriere" Studie enthüllt: Unternehmer Leifheit war offenbar mustergültiger Nazi
Die Stadt Nassau und die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen, die mit Millionenbeträgen von Günter Leifheit gefördert wurden, stehen jetzt wegen neuer Enthüllungen unter Druck.
Soziales Engagement wegen schlechtem Gewissen?
Frieder Ackermann, Pfarrer im Ruhestand aus Oberwies, sagt, dass er viele Menschen kennengelernt habe, die nach dem Krieg versuchten, ihr schlechtes Gewissen mit besonders viel sozialem Engagement wettzumachen: "Ich könnte mir vorstellen, dass da auch ein Sinneswandel stattgefunden hat, der zu diesem großzügigen Spendenverhalten von Herrn Leifheit beigetragen hat."
Für die Stadt sei es jetzt eine sehr schwierige Entscheidung, wie sie damit umgehen soll, sagt Ackermann. Denn Leifheit habe ohne Frage sehr viel Gutes für Nassau getan. Auf der anderen Seite habe er selbst nie öffentlich über seine NS-Vergangenheit gesprochen und habe auch nie um Vergebung gebeten. Aber damit sei Leifheit in Nassau nicht alleine, sagt Pfarrer Ackermann: "Es gebe viele Familiengeschichten, die sehr eng mit der NS-Zeit verbunden sind und waren." Damit müsse man offen umgehen.
Ältestenrat der Stadt will Vorgehen beraten
In der Stadt Nassau gilt der Unternehmer als Vorbild. Zudem war er der wichtigste Förderer und Mäzen der Stadt, hat Millionen Euro gespendet und ist bis heute über seine Stiftung eng mit der Stadt verbunden. Seine Präsenz, selbst 15 Jahre nach seinem Tod, ist allgegenwärtig. Unter anderem sind ein privates Gymnasium, der Leifheit Campus, ein Kulturhaus und eine Straße nach ihm benannt.
Die Stadt Nassau hat die Studie des Historikers auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Den Angaben zufolge soll der Ältestenrat am Mittwochnachmittag tagen und darüber beraten, wie sie mit der Nazi-Vergangenheit von Leifheit umgeht. In der nächsten Woche sei auch ein Gespräch mit der Leifheit-Stiftung geplant.
Um über mögliche Konsequenzen - etwa eine Umbenennung des Kulturhauses oder die Ehrenbürgerschaft Leifheits - zu sprechen, sei es aber noch zu früh, sagte Stadtbürgermeister Liguori. "Wir sind da offen und transparent und dürfen da gedanklich nichts ausschließen", sagte Liguori. Dass Günter Leifheit Mitglied der NSDAP war, sei schon länger bekannt gewesen.
Leifheit AG befürwortet Aufklärung
Die Leifheit AG hat sich ebenfalls auf SWR-Anfrage geäußert. In der schriftlichen Stellungnahme heißt es unter anderem, dass die angestoßene, transparente Aufklärung durch unabhängige Historiker und Experten befürwortet werde, um die historische Rolle von Herrn Leifheit zu bewerten und den damit verbundenen persönlichen Vorwürfen nachzugehen.
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