Ehrenamtlich tätige Ortsbürgermeister im Ahrtal fordern von der Landesregierung mehr professionelle Unterstützung. Sie fühlen sich von den neuen Aufgaben nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 überfordert.
Bundeswehr-Stabsfeldwebel Benjamin Vrijdaghs (parteilos) hat in 25 Jahren als Soldat viel erlebt: Unter anderem Einsätze in Algerien, im Kosovo und in Afghanistan. Seit einem halben Jahr ist Vrijdaghs mit Herausforderungen konfrontiert, die er noch nie erlebt hat: Der 43-Jährige ist ehrenamtlicher Ortsbürgermeister in Rech.
Enorme Aufgabenfülle und Aufgabendichte
"Die ersten Monate waren sehr anstrengend", erzählt Vrijdagh. "Es sind sehr viele Dinge zu erledigen, von denen wir Ehrenamtler bisher überhaupt keine Ahnung hatten."
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In den von der Flutkatastrophe zerstörten Regionen in Rheinland-Pfalz läuft der Wiederaufbau. Viel ist geschafft, viel ist noch zu tun. Hier die aktuelle Lage.
Vrijdaghs muss den Wiederaufbau des bei der Flutkatastrophe stark zerstörten Ortes Rech organisieren und koordinieren. Ein Nahwärmenetz soll aufgebaut und gleichzeitig Glasfaserkabel verlegt werden. Der Ortsbürgermeister verhandelt mit Behörden und Grundstückeigentümern, informiert Baufirmen und bringt Ausschreibungen auf den Weg.
Bundesweites Medieninteresse setzt unter Druck
Größter Brocken ist der geplante Abriss der historischen Nepomukbrücke, die bei der Flut stark beschädigt worden war. "Ein sehr, sehr schwieriges Thema. Sehr belastend für mich", räumt Rechs Ortsbürgermeister ein.
Denkmalschützer wollen das rund 300 Jahre alte Bauwerk unbedingt retten. Die meisten Bürger in Rech sind aber für den Abriss. Sie fürchten, bei der nächsten Flut könnte die Brücke das Wasser der Ahr erneut stauen. Vrijdaghs steht zwischen diesen beiden Fronten: "An dem Thema besteht bundesweites Medieninteresse. Das hatte ich so nicht erwartet."
Ein reformbedürftiges System?
In Rheinland-Pfalz gibt es insgesamt 2.263 Ortsgemeinden mit ehrenamtlichen Ortsbürgermeistern. Unterstützt und entlastet werden sie von den übergeordneten, insgesamt 150 Verbandsgemeinden. Doch gerade nach einer Katastrophe wie im Ahrtal könne dieses System, das von Ehrenamtlichen getragen wird, nicht funktionieren, meint der ehemalige Ortsbürgermeister Hubertus Kunz aus Rechs Nachbargemeinde Mayschoß. Er findet außerdem: "Die Verwaltung der Verbandsgemeinde Altenahr ist - das sage ich ohne Kritik - hoffnungslos überfordert. Die kann das nicht."
Hubertus Kunz hatte das Rathaus in Mayschoß 25 Jahre lang ehrenamtlich geleitet, dann erklärte er - kurz vor der Flutkatastrophe - seinen Rücktritt aus Altersgründen.
Wer will nach der Flut schon ein Amt übernehmen?
Der 72-Jährige sprach viele Bürger an und warb dafür, sich für das Amt zu bewerben. "Doch nach der Flut wollten die nicht", berichtet Kunz. "Uns ist die Infrastruktur, die wir über 80 Jahre lang aufgebaut haben, innerhalb einer Nacht weg geschwommen und muss jetzt peu à peu wieder aufgebaut werden."
Viele Bewerber hätten sich nicht zugetraut, so viele Aufgaben in ihrer Freizeit zu erledigen. 15 Monate dauerte die Suche nach einem Nachfolger. Jetzt fand sich endlich jemand - und Mayschoß hat wieder einen ehrenamtlichen Ortsbürgermeister.
Ein Muss: Anreize für die wichtige Aufgabe schaffen
Benjamin Vrijdaghs aus Rech hat die Landesregierung auf das Problem der überforderten Ortsbürgermeister aufmerksam gemacht und einen interessanten Lösungsvorschlag fürs Ahrtal: Beamte gehen oft schon sehr früh in den Ruhestand. Berufssoldaten beispielsweise mit 54 Jahren. "Das halte ich für sehr jung. Da kann man noch viel machen", meint Berufssoldat Vrijdaghs.
Die Landesregierung solle deshalb Ex-Soldaten und andere Pensionäre anschreiben und fragen, ob sie noch ein oder zwei Jahren in den Rathäusern des Ahrtals helfen wollen. "Ich bin sicher, da würden sich viele melden."
Keine Reaktion der Landesregierung auf die Vorschläge
Alt-Ortsbürgermeister Hubertus Kunz aus Mayschoß geht einen Schritt weiter. Auch vor Ort in den Ortsgemeinden brauche es "Kümmerer", die rund um die Uhr für die Bürger da sind. Kunz regt deshalb an, die Ortsbürgermeister aller 2.263 Ortsgemeinden in Rheinland-Pfalz hauptamtlich zu beschäftigen.
Reaktionen der Landesregierung auf diese Vorschläge gibt es noch nicht. "Klar, das geht nicht von heute auf morgen", sagt Benjamin Vrijdaghs. "Aber ich werde am Thema dranbleiben und Innenminister Ebling sowie Ministerpräsidentin Dreyer regelmäßig darauf ansprechen."
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