Arbeitsrechtler Arnd Diringer von der Hochschule Ludwigsburg stellt im SWR-Interview die Verhältnismäßigkeit des Bahnstreiks infrage. Der Schaden bliebe nicht am Arbeitgeber, sondern am Kunden hängen. Zudem glaubt er, die Tarifpartner hätten ein "menschliches Problem" miteinander.
SWR Aktuell: Ob Bahn, Flugzeug, ÖPNV - müssen wir uns jetzt daran gewöhnen, dass jeden Tag irgendwer irgendetwas lahmlegt?
Arnd Diringer: Streiks sind ein legitimes Mittel der Gewerkschaften, um ihre Ziele durchzusetzen. Dass ein solches Chaos herrscht, daran müssen wir uns deshalb gewöhnen, weil der Gesetzgeber seiner Pflicht nicht nachkommt: Nämlich gesetzliche Regelungen zu schaffen und damit Spielregeln, die die Gewerkschaften entsprechend einhalten müssen - und auf die man sich dann auch als Kunde einstellen kann.
SWR Aktuell: Aber das Streikrecht ist ja im Grundgesetz verankert. Also was meinen Sie? Welche Spielregeln müssten anders ausformuliert werden?
Diringer: Im Grundgesetz ist nur geregelt, dass es Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gibt. Und damit ist zugleich festgestellt, dass die auch ihrer Betätigung nachgehen können: Tarifverträge schließen und der Weg dahin, der geht über Arbeitskampfmaßnahmen. Das auszuformulieren und festzulegen ist wie bei jedem anderen Thema die Aufgabe des demokratischen Gesetzgebers, der das allerdings seit Jahrzehnten an die Gerichte abdrückt und damit schlicht seine Arbeit verweigert.
SWR Aktuell: Im Streikrecht steht, die Streiks müssen verhältnismäßig sein. Viele sagen: Im Moment ist es nicht mehr verhältnismäßig.
Diringer: Wir haben ja kein Streikrecht, in dem irgendetwas steht, sondern die Gerichte versuchen, anhand allgemeiner Rechtsgrundsätze wie der Verhältnismäßigkeit Einzelfälle zu lösen. Und dieser Begriff ist letztlich ganz, ganz stark ausfüllungsbedürftig und eben auch wertungsabhängig. Die Deutsche Bahn AG sagt, das ist unverhältnismäßig. Die Gewerkschaften sagen, das ist verhältnismäßig. Und jetzt muss sich das Gericht überlegen, was spricht denn für oder gegen die Verhältnismäßigkeit?
SWR Aktuell: Wie sehen Sie es?
Diringer: Momentan, muss man sagen, spricht viel dafür, dass diese Streiks nicht mehr verhältnismäßig sind. Sie richten sich ja nicht gegen den Arbeitgeber, wie es Arbeitskämpfe normalerweise tun. Dem Arbeitgeber zu zeigen, wir enthalten unsere Arbeitskraft vor, damit du einen wirtschaftlichen Schaden hast. Sondern die Deutsche Bahn AG kann sich ja letztlich zurücklehnen. Den Schaden zahlt der Steuerzahler und der Druck wird ja nicht auf den Arbeitgeber ausgeübt, sondern auf unbeteiligte Dritte, auf die Bahnkunden, die gar nichts machen können. Und das muss man natürlich schon berücksichtigen. Und wenn die Gewerkschaft jetzt so kurzfristig ihre Streiks ankündigt, dann schafft sie natürlich ein maximales Chaos bei allen Beteiligten, für die Wirtschaft, für Privatkunden. Und das ist ein Punkt, wo man sagen muss, das ist unverhältnismäßig. Ihr könnt Arbeitskämpfe zumindest so ankündigen, dass man noch die Möglichkeit hat, das größte Chaos zu verhindern und nicht so gestalten, dass ihr bei unbeteiligten Dritten das größtmögliche Chaos und den größtmöglichen Schaden anrichtet. Das ist zur Durchsetzung der Ziele nicht notwendig.
SWR Aktuell: Festgefahren scheinen die Verhandlungen zwischen GDL und Bahn also zu sein. Wie könnte jetzt konkret eine Lösung aussehen?
Diringer: Wir haben bei der Deutschen Bahn AG und der Gewerkschaft mittlerweile, glaube ich, ein menschliches Problem. Die Tarifpartner haben sich so verhakt, dass es ganz schwierig ist, auf dieser Basis eine Lösung zu finden. Meines Erachtens sollten die Tarifvertragsparteien, also diejenigen, die verhandeln, sich einfach mal ein Wochenende im Hotel treffen, abends gemütlich essen, die Nacht an der Hotelbar durchsaufen und dann am nächsten Tag ausschlafen. Und am Montag verhandeln, damit sie wieder eine menschliche Basis bekommen. Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag wie jeder andere. Er kommt durch eine Einigung zustande. Und wenn es menschlich hakt, wenn die sich auch öffentlich als Person angreifen, dann haben sie momentan einfach keine Basis, um zu einer Einigung zu kommen.
Mehr zu den aktuellen Streiks
Am Mittwoch München betroffen Flugbegleiter der Lufthansa streikten am Dienstag in Frankfurt
Bei der Lufthansa streiken die Flugbegleiter: Am Dienstag war der Flughafen Frankfurt betroffen, am Mittwoch folgt München. Am Donnerstag kommen weitere Airports hinzu. Dann streikt unter anderem das Sicherheitspersonal.