Ehrenamtstag am Sonntag

Warum fehlen angeblich so viele Ehrenamtliche in Rheinland-Pfalz?

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Autor/in
Martin Heuser
Martin Heuser ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz

Ob Freiwillige Feuerwehr, Trainer in den Amateurligen oder Helfer für Weinfeste im Ort. Überall gibt es das gleiche Problem: Es fehlen Freiwillige. Warum ist das so?

Tino Lotz aus Gau-Bischofsheim bei Mainz ist mehrfach ehrenamtlich aktiv: Er ist Gemeinderat und Beigeordneter der 2.200-Einwohnergemeinde und trainiert noch die E-Jugend der Spielgemeinschaft SG 03 Harxheim/TuS Gau-Bischofsheim, in der sein Sohn kickt. "Im nächsten Jahr, wenn der Wechsel zur D-Jugend ansteht, höre ich als Co-Trainer auf", sagt Lotz.

Die Anforderungen an die Qualität des Trainings würden in den älteren Jahrgängen steigen, Beruf und Gemeinderat fordern viel Zeit und deshalb steigt der berufstätige, zweifache Vater als Fußballtrainer aus. Ein Problem, das viele Amateurvereine in Rheinland-Pfalz kennen. Es fehlt an ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainern, aber auch an Freiwilligen, die während der Spiele Thekendienst machen sowie Getränke und Kuchen verkaufen. Woran liegt das?

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"Das klassische Ehrenamt ist unter Druck. Es gibt einen Trend in Richtung spontanes, ungebundenes, zeitlich befristetes und selbstorganisiertes Engagement, in dem heute bereits 20 Prozent der freiwillig Engagierten unterwegs sind", sagt Prof. Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Roth forscht zum Thema Ehrenamt und freiwilliges Engagement.

"Es gibt einen Trend in Richtung spontanes, ungebundenes, zeitlich befristetes und selbstorganisiertes Engagement."

Hohe Freiwilligen-Zahlen und trotzdem ein Mangel an Ehrenamtlichen?

Schaut man auf die letzte große Umfrage zum ehrenamtlichen Engagement (Stand 2019), scheinen Zahlen und Erfahrungen vor Ort nicht zusammen zu passen. Immerhin engagieren sich knapp 40 Prozent aller Deutschen über 14 Jahren ehrenamtlich. In Rheinland-Pfalz sind es sogar rund 42 Prozent - in absoluten Zahlen etwa 1,5 Millionen Menschen (Quelle Staatskanzlei Mainz).

Grafik: Ehrenamtlich aktive Männer und Frauen in Deutschland

Gleichzeitig wollen immer weniger - vor allem junge Menschen - Führungs- und Vorstandspositionen in Vereinen übernehmen oder sich in der Kommunalpolitik engagieren. Für Sozialwissenschaftler Roth keine Überraschung: "Junge Leute, die eine starke Gruppe im Engagement bilden, wollen zunehmend auch in Traditionsorganisationen, wie Sport-, Kultur- oder Heimatvereinen, 'ihr Ding' machen können und nicht einfach die Rollen übernehmen, die ältere Vorstände für sie vorsehen."

Auch eine "Ochsentour" in der Kommunalpolitik sei für junge, engagierte Menschen unattraktiv, weiß Roth. Hier müssten Interessierte für konkrete Projekte gewonnen und alte Strukturen aufgebrochen werden.

Wurde nach Corona alles schlechter?

Nach der Corona-Pandemie habe sich die Situation bei den ehrenamtlichen Trainern verschlechtert, meint Jakob Friesen, Jugendkoordinator bei der SG 03 Harxheim. Offenbar hätten viele Engagierte die Vorzüge von reichlich Freizeit entdeckt und wollten sich nicht mehr an eine ehrenamtliche Tätigkeit binden.

Gerade Sportvereine seien nach der Corona-Pandemie von sinkenden Freiwilligenzahlen betroffen gewesen, stimmt Sozialwissenschaftler Roth zu und bezieht sich auf neueste Zahlen der Studie ZiviZ-Survey 2023. Umwelt- und Naturschutzorganisationen hätten dagegen Zulauf bekommen.

Auch Feuerwehren und Rettungsdienste betroffen

Bei den Freiwilligen Feuerwehren nimmt der Engpass bei den Ehrenamtlichen inzwischen teilweise dramatische Formen an. So verteilten im vergangenen Jahr Wehrleute in der Hunsrückgemeinde Börfink Löscheimer mit Handzetteln zum Verhalten im Brandfall an die Haushalte - frei nach dem Motto: Es kann leider niemand zum Löschen kommen, weil niemand da ist.

Und der Malteser Hilfsdienst in Bad Kreuznach musste in diesem Sommer einen Einsatz bei einem Reitturnier kurzfristig absagen, weil einfach nicht genügend ehrenamtliche Sanitäter gefunden werden konnten.

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Jammern löst die Probleme nicht, meint Roth. Organisationen, die keinen Nachwuchs fänden, sollten sich deshalb überlegen, "wie sie für eine durchaus engagementbereite Bevölkerung attraktiver werden können, anstatt über angeblich fehlende Engagementbereitschaft zu klagen".

Bei der Spielgemeinschaft aus Harxheim und Gau-Bischofsheim versucht man inzwischen, statt den Vätern junge Fußballer aus der B- und A-Jugend als Trainer zu gewinnen. "Dafür gibt es dann auch noch ein kleines Taschengeld und die Jungs können sich so mit ihrem Hobby Fußball was dazuverdienen", sagt Friesen.

Und in Gau-Bischofsheim hat Gemeinderat Tino Lotz eine große WhatsApp-Gruppe mit Frauen und Männern ins Leben gerufen, die sich freiwillig engagieren wollen. Wenn etwa helfende Hände beim Auf- und Abbau von Zelten und Weinständen der Kerb gebraucht werden, erfolgt ein Aufruf in der Messengergruppe. Das funktioniere inzwischen recht gut. "Die Leute waren da, aber sie mussten erst vernetzt werden", so Lotz.

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Martin Heuser
Martin Heuser ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz