Meinung

Ehrenamt: Zwischen "Ich kann nicht mehr" und "Ich kann nicht aufhören"

Stand
Autor/in
Annika Gillissen
Bild von Annika Gillissen

Für SWR-Redakteurin Annika Kercher ist ihr Ehrenamt eine Last geworden - aber aufhören will sie auch nicht. Warum erzählt sie hier.

Ehrenamt wird immer hoch gelobt. Wie oft ich schon folgende Sätze gehört habe: "Das finde ich aber toll, dass du sowas machst" und "Das ist wirklich ganz wichtige Arbeit, die ihr da leistet." Dabei haben zumeist genau diejenigen, die solche Sätze äußern, kaum eine Vorstellung davon, was es heißt, sich heutzutage ehrenamtlich zu engagieren - und zwar egal wo.

SWR-Redakteurin Annika Kercher engagiert sich ehrenamtlich bei einer Zeltlager-Freizeit für Kinder.
SWR-Redakteurin Annika Kercher engagiert sich ehrenamtlich bei einer Zeltlager-Freizeit für Kinder.

Ich bin im Vorstand der katholischen jungen Gemeinde Liebfrauen Worms und organisiere jedes Jahr für die Sommerferien eine zehntägige Freizeit für Kinder zwischen sieben und 14 Jahren. Dieses Jahr waren es 39 Kinder. Für sie zuständig waren während der ersten sieben Tage acht Betreuer, danach waren es dann noch fünf. Fünf Betreuer für 39 Kinder.

Die Belastung war am Anschlag: Sich um die einzelnen Bedürfnisse der Kinder ausführlich kümmern? - Keine Chance. Ausreichend Schlaf? - Fehlanzeige. Mittagspause? - Was ist das? Die fünf verbliebenen Betreuer hätten sicher eine Woche Erholung gebrauchen können, nachdem sie wieder zuhause waren. In einer 24-Stunden-Betreuung wäre es wünschenswert, einen Betreuer für zwei bis drei Kinder zu haben. Davon sind wir mittlerweile weit entfernt.

Darum wird Ehrenamt immer schwerer

Ich stecke seit einigen Jahren zwischen zwei Gedanken fest: "Ich kann nicht mehr" und "Ich kann nicht aufhören, denn es macht ja kein anderer." Wir haben kaum bis gar keinen Nachwuchs. Woran das liegt? Ich würde sagen an wachsendem Egoismus und nachlassender Einsatzbereitschaft in der Gesellschaft. Ich beobachte in den letzten Jahren, dass sich zwar immer Jugendliche finden, die Interesse am Betreuer-Sein haben, aber ganz schnell verschwunden sind, wenn sie merken, was das bedeutet.

Es bedeutet, sich zehn Tage lang vorrangig um andere zu kümmern. Um alles, was zu einer Zeltfreizeit dazu gehört: Zelte aufbauen, Essen vorbereiten, Spiele ausdenken und spielen, Lagerfeuer aufbauen, Zickenkrieg schlichten, schauen, dass jeder sich die Zähne putzt und, und, und. Eine der wichtigsten Aufgaben: Den Kindern zuhören. In den Ferien kochen oft Themen hoch, die sie in ihrem Alltag belasten. Letztlich bedeutet Betreuer zu sein, die eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen und selbstlos zu sein.

Dazu sind nur noch ganz, ganz wenige bereit. Wenn wir Glück haben, bleiben 20 Prozent der Interessierten dabei. Der Rest geht mit den Worten: "Was ihr da von uns verlangt, ist zu viel, das überfordert mich, das kann ich nicht." Durchhaltevermögen? Das scheinen viele heute nicht mehr zu kennen.

Auf einem Zeltplatz stehen große Gruppenzelte.
In diesen Zelten schlafen die Kinder bei der Freizeit.

Was ich daran besonders schade finde: Das sind Menschen, die selbst gerne Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Freizeit waren, dort Spaß hatten und viele Jahre mitgefahren sind. Genau diese Menschen sind dann aber nicht dazu bereit, ab einem bestimmten Alter mitzuhelfen, damit auch andere Kinder in Zukunft die Möglichkeit haben, das zu erleben, was sie erlebt haben.

Miteinander in der Gesellschaft ist auch ein Geben und Nehmen

Da fehlt für mich der Antrieb, etwas in die Gesellschaft zurückgeben zu wollen. Und da fehlt mir auch eine Art soziales Bewusstsein dafür, dass solche Angebote nicht ohne Menschen funktionieren, die sich in ihrer freien Zeit dafür einsetzen. Es ist ein Geben und Nehmen. Das soll nicht heißen, dass ich finde, dass man nicht auf sich und die eigenen Bedürfnisse achten soll. Die Entwicklung hin zu mehr Self-Care befürworte ich. Ich möchte es nur gern in Relation setzen: In unserem Fall geht es um zehn Tage im Jahr und selbst diese zehn Tage sind scheinbar schon zu viel.

Gleichzeitig bedeutet es, dass die zehn Tage für diejenigen, die sich für das Engagement entschieden haben, immer anstrengender und schwerer werden. Und dazu kommt, dass es immer herausfordernder wird, Menschen für das Ehrenamt zu begeistern, wenn direkt ein großer Haufen Verantwortung auf sie zu kommt. Es ist wie eine Achterbahnfahrt, die dauerhaft bergab geht - ohne Looping, der einem Schwung geben und ohne Seilzug, der einen wieder nach oben ziehen kann.

Warum die Motivation nie ganz aufhören kann

Und nun? Ich mache weiter. So wie die meisten anderen Ehrenamtlichen auch. Denn wenn dir am Ende der zehn Tage die Kinder auf einen Zettel schreiben, dass du die beste Betreuerin bist, macht das alles wieder wett.

Auf einem Zettel steht: "Du bist die bester Beträuerin" geschrieben von einem Kind.
Am Ende der Freizeit gibt es immer eine "Warme Dusche" für alle. Dabei werden ausschließlich nette Sachen für jeden Teilnehmenden auf einen Zettel geschrieben.

Dann weißt du, dass sich dein Einsatz gelohnt hat. Denn oft schreiben das genau die Kinder, die in der Gesellschaft hinten runterfallen. Die mit ihren Eltern nicht jede Sommerferien einen tollen Urlaub im Hotel machen können. Die in ihrer Schule vielleicht eher die Außenseiter sind und bei uns endlich mal Anschluss finden können. Die Kinder, die im Umgang mit anderen offensichtliche soziale Defizite haben und bei uns lernen, was Miteinander bedeutet. Diejenigen, die selten einen Treffer landen und von der Gemeinschaft laut gefeiert werden, wenn sie plötzlich die richtige Antwort im Quiz liefern. Für diese Kinder mache ich weiter. Ich möchte, dass sie weiterhin Freizeiten erleben können, auf denen sie Spaß haben, neue Freunde finden und schöne Erinnerungen sammeln können.

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