Früher, ganz früher, galt Abrüstung als Chance. Jetzt scheint es gar nicht genug Waffen geben zu können, meint Constance Schirra.
Hurra! Wir haben es geschafft! Wir konnten der NATO diese Woche geplante Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts melden, zum ersten Mal nach drei Jahrzehnten, ein Rekordwert! Wir sind so gut, ach was: Wir sind die Besten. Wir rüsten auf! Wir bauen Waffen! Wir liefern Waffen! Wir stecken 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr, zu wenig, pokert der CDU-Mann Roderich Kiesewetter, 200 Milliarden müssen es sein, ach komm… 300 Milliarden!
Die Kolumne von Constance Schirra können Sie hier auch als Audio hören:
Gute Zeiten für Waffenfirmen
Unser Kanzler Olaf Scholz, ein Mann der SPD, ruft nach Waffen, mehr Waffen, viel mehr Waffen, für die Ukraine, für uns selbst. Hätte ich doch Aktien gekauft. Von Rheinmetall, Heckler & Koch, Krauss-Maffei, ThyssenKrupp, egal, einfach von irgendeiner Waffenfirma, die Börsenkurven zeigen nach oben oben oben. Waffenhändler sind super im Geschäft! Waffenfabriken der neueste Schrei!
Neue Waffenfabriken entstehen
In Unterlüß in Niedersachsen zum Beispiel freuen sich etwa 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner über eine neue Munitionsfabrik, romantisch gelegen inmitten hoher Kiefern. 200.000 Artilleriegranaten will Rheinmetall hier jedes Jahr produzieren. Der Kanzler war zum symbolischen Spatenstich da, es gab Kartoffelsuppe und Frikadellen. Und es gab Männer, wichtige Männer, beeindruckte Männer: Der Kanzler war beeindruckt… so viele neue Waffen; der Rheinmetall-Chef war beeindruckt… so viele neue Aufträge von der Bundesregierung; der Bürgermeister war beeindruckt… so viel trägt Unterlüß zur deutschen Verteidigungspolitik bei.
Auch Atomwaffen werden diskutiert
Es ist, als habe heimlich jemand einen Wettbewerb ausgerufen: Wer kann am lautesten am meisten Waffen fordern? „Ich! Ich!“, ruft Anton Hofreiter von den Grünen. „Nein! Ich!“, schreit Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Ich dachte schon, die beiden seien gar nicht mehr einzuholen, aber da kommt aus Europa noch Katarina Barley, SPD, an gesprintet. Panzer, Haubitzen, Raketen – Pipifax! Atomwaffen! Warum nicht Atomwaffen für Europa? Soll noch einer sagen, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP sei nicht einig.
Das Motto lautet jetzt: Aufrüstung statt Abrüstung
Früher, ganz früher, befand ein SPD-Kanzler militärische Zerstörungskraft sei „wider die Interessen der Völker“; ein FDP-Außenminister begriff Abrüstung als große Chance. Früher, 2015, hat Toni Hofreiter Waffenlieferungen an die Ukraine ausgeschlossen. Lehnen wir ab, hat er gesagt, eine militärische Lösung des Konflikts kann es nicht geben, hat er gesagt. Recht hat er gehabt. Damals. Dann kam ein Krieg in Europa zurück und ein Präsident in den USA kommt vielleicht zurück und dann haben sich die Buchstaben verschüttelt und aus Abrüstung wurde Aufrüstung. Richtig? Falsch? Wer darauf über eine jeden Zweifel erhabene Antwort weiß, gewinnt einen Teller Kartoffelsuppe und eine Frikadelle.
EU-eigene Atomwaffen? „Entscheidung nur, wenn US-Beistand völlig auseinanderfällt“
Nachdem Donald Trump für den Fall seiner Wiederwahl den Schutz der USA für die NATO-Partner in Frage stellt, wird in Europa über Reaktionen diskutiert. Dabei geht es auch um die Frage, ob die europäischen Staaten eigene Atomwaffen brauchen – die haben bislang nur Frankreich und Großbritannien. Aber sind wir überhaupt schon an dem Punkt, dass wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen sollten? Darüber hat SWR-Aktuell-Moderator Jan-Frederic Willems mit Liviu Horovitz gesprochen, er ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Schwerpunkt „Nukleare Bedrohung und Abschreckung“.
NATO: Was ein Rückzug der USA bedeuten würde
Ex-US-Präsident Donald Trump stellt den NATO-Beistandspakt in Frage. Was würde das bedeuten? Die Sicherheitsexpertin Claudia Major erläutert, was auf Europa zukommen könnte.
Tagesgespräch Steadfast Defender 2024: Europa übt den Angriff Russlands
Aktuell läuft das größte NATO-Manöver seit 1988: "Steadfast Defender 2024". Es hat am 22. Januar begonnen. Bis zum 31. Mai soll es andauern. Dabei wird die Verteidigung gegen einen Angriff der Russischen Föderation auf ein NATO-Land mit Auslösung von Artikel 5, dem Bündnisfall des Nordatlantikvertrags, geübt. Alle 31 Mitgliedsstaaten sowie Vertreter des Beitrittskandidaten Schweden nehmen teil, sodass 90.000 Soldaten im Einsatz sind. Im SWR-Tagesgespräch hat der frühere NATO-Kommandeur Hans-Lothar Domröse darüber mit SWR-Moderator Christian Rönspies gesprochen. Das Manöver sei wichtig, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein und eine "ganz natürliche Sache".
Russland verdreht Ursache und Wirkung
Russland spricht von Eskalation seitens der NATO. Das weist Domröse im Tagesgespräch scharf zurück: "So wie jeder Spitzensportler immer trainieren muss, um ordentlich zu performen, so muss die NATO zusammen üben." Dabei würden Ursache und Wirkung verdreht. Der russische Überfall auf die Ukraine und die andauernden Angriffe seither seien die Eskalation, so Domröse, die NATO trainiere lediglich das Verteidigen des eigenen Terrains.
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