"Hunde, Katzen, das wäre alles okay. Aber keine Kinder"

Auf Wohnungssuche - und das mit Kindern? Betroffene berichten aus ihrem Alltag

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Natalie Meyer
Natalie Meyer ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".
Sebastian Schley
Sebastian Schley ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Immer mehr Menschen suchen sich Hilfe bei der Wohnungssuche. Wer es auf eigene Faust und mit Familie versucht, steht oft vor hohen Hürden.

Mietwohnungen sind knapp in Baden-Württemberg. Wer mit Kindern umziehen muss, hat es besonders schwer. Das muss Anna Nahm derzeit feststellen. Im Moment lebt sie in einer Drei-Zimmerwohnung mit ihren Kindern Christian und Nicole. Die beiden spielen zusammen im Kinderzimmer.

Viel Platz zum Spielen ist hier nicht, denn die beiden Kinder, 12 und 9 Jahre alt, teilen sich ein Zimmer. Das möchte Mutter Anna ändern: "Ich habe hier ein Junge und ein Mädchen, natürlich wäre es für sie besser, zwei Zimmer zu haben. Aber die meisten Wohnungen sind klein und teuer. Meine Verwandten sind nicht hier. Ich kann nicht einfach zu jemandem ziehen, das ist auch ein Problem."

Dafür hat sie nur noch rund sechs Wochen Zeit. Denn zum 1. Juni hat der Vermieter der Alleinerziehenden gekündigt. Seit fast 15 Jahren lebt Familie Nahm in der Wohnung. Und seit einem Jahr ist sie auf der Suche. Die traurige Bilanz: Eine einzige Besichtigung bisher. "Dabei suche ich schon ein Jahr lang, schaue zwei bis drei Mal in der Woche nach Anzeigen."

Wohlfahrtsverband: Jeder Dritte in BW findet keine Wohnung

Im vergangenen Jahr suchten sich in ganz Baden-Württemberg knapp 12.700 Menschen Hilfe in Beratungsstellen. Das zeigen Zahlen der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Jeder Dritte von ihnen habe trotzdem keine Wohnung gefunden. Diese Menschen landeten am Ende in Obdachlosenheimen, bei Bekannten oder auf der Straße.

Droht das auch Familie Nahm? Als Alleinerziehende ist der finanzielle Druck bei ihr deutlich höher als bei Ehepaaren. Deshalb hat sich Anna Nahm an die Beratungsstelle der Ökumenischen Wohnungsnotfallhilfe in Ludwigsburg gewandt. Deren Mitarbeiterin Tamara Palmer kennt die Nöte der Mieter. “Die meisten haben ihr Leben gut im Griff oder unter Kontrolle. Dann kommt die Eigenbedarfskündigung, und es wird alles durcheinander gewürfelt und durcheinandergeworfen. Und sie haben einfach Angst“, sagt sie. Hinzu kämen immer höhere Hürden. Wo früher ein Telefonanruf gereicht habe, müssten Wohnungssuchende heute Lebenslauf, Schufa-Auskunft oder sogar ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen.

Lieber Haustiere statt Kinder in Mietwohnungen

Aber selbst mit einem Vollzeitjob könne es schwierig sein, eine Wohnung zu finden, wie ein weiteres Beispiel aus der Wohnungssuch-Beratung in Ludwigsburg zeigt. Familie Tok weiß seit zwei Jahren, dass sie mit ihren zwei Kindern aus der rund 65 Quadratmeter-Wohnung raus muss. Seitdem suchen sie auch eine neue Bleibe. Der Eindruck der 37-jährigen Mutter Gül Tok: Es liegt an den Kindern. “Uns wurde jedes Mal gesagt, wenn wir keine Kinder hätten, würden wir die Wohnung kriegen."

Das hab ich auch schon ins Gesicht gesagt bekommen: Hunde, Katzen, das wäre alles okay. Aber keine Kinder.

Mutter in Wohnung
Gül Tok sagt, Vermieter würden ihre Kinder ablehnen.

Sie fragt sich, warum ihre Kinder auf dem Wohnungsmarkt so abgewertet werden. "Irgendwo reicht es langsam. Was sollen wir mit den Kindern machen? Soll ich die einfach rausschmeißen, sollen wir die irgendwo hingeben? Das mach ich niemals. Meine Kinder gebe ich nicht her."

Warum finden Alleinerziehende und Familien mit Kindern so schwer eine neue Bleibe? Es fehlen schlicht Wohnungen - rund 70.000 allein in Baden-Württemberg, schätzt die Baubranche. Eine aktuelle Studie des Pestel-Instituts besagt, dass es eigentlich einen Bedarf von mehr als 200.000 zusätzlichen Sozialwohnungen gebe.

Laut einer Schätzung der Baubranche fehlen in Baden-Württemberg derzeit rund 70.000 Wohnungen. Einer aktuellen Studie zufolge gibt es einen Bedarf von 200.000 Sozialwohnungen.
Laut einer Schätzung der Baubranche fehlen in Baden-Württemberg derzeit rund 70.000 Wohnungen. Einer aktuellen Studie zufolge gibt es einen Bedarf von 200.000 Sozialwohnungen.

Wohnungen statt Büros

Eine Möglichkeit um mehr Wohnraum zu schaffen: Büroräume umnutzen. 120 Millionen Euro hat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) mit ihrem Projekt "Gewerbe zu Wohnraum" dafür vorgesehen. Gunther Laux von der Hochschule für Technik Stuttgart forscht und lehrt an der Fakultät Architektur und Gestaltung zu dem Thema. "Das Potenzial ist riesig", sagt er, nicht nur im Bund. "Aktuell haben wir in Stuttgart etwa einen Leerstand von fünf bis sechs Prozent. In Baden-Württemberg ist es wahrscheinlich ähnlich, aber die Tendenz ist nach wie vor steigend."

Oft sei es aber schwierig und langwierig, Büroräume umzunutzen. Etwa durch das Baurecht. Für die Ludwigsburger Familien Nahm und Tok ist Warten keine Lösung. Ihre Mietverträge laufen aus. Familie Tok will notfalls zu Verwandten an den Bodensee ziehen. "Wenn wir keine Wohnung finden können, können wir nicht auf der Straße leben". Mutter Gül Tok macht der Gedanke Angst. Neue Jobs suchen, die Kinder aus dem gewohnten Umfeld reißen. Anders gehe es nicht.

Zuflucht bei Verwandten finden - eine Option, die die alleinerziehende Mutter Anna Nahm und viele andere nicht haben. Sie kann nur hoffen, dass doch noch ein Vermieter sie und ihre beiden Kinder als Mieter akzeptieren wird.

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