Für mehr Vielfalt in den Themen

Über eine eigene Liste in den Gemeinderat: Wählervereinigungen bei Kommunalwahlen im Trend

Stand
Autor/in
Dennis Bechtold
SWR-Aktuell Redakteur Dennis Bechtold

Besonders in Baden-Württembergs Großstädten wie Ulm steigt die Anzahl an Wählervereinigungen für die Kommunalwahl. Welche Vor- und Nachteile das für die Gemeinden bringen kann.

Gefährliche Konkurrenz für die etablierten Parteien oder ein Segen für die Gemeinden? Laut der Landeszentrale für politische Bildung treten bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg vor allem in Großstädten vermehrt sogenannte Wählervereinigungen mit "eigenen Listen" auf. So auch in Ulm. Wie Kommunen davon profitieren können und welche Herausforderungen auf die Gemeinderäte dadurch zukommen.

Stimmenfang auf dem Wochenmarkt in Ulm

Zwischen knallig roten Erdbeeren und frischen Backwaren geht Matthias Rausch auf Stimmenfang. Wahlkampf ist angesagt, obwohl sie das Wort Wahlkampf bei der Klimaliste Ulm eher unpassend finden. Auf dem Wochenmarkt am Ulmer Eselsberg will er auf seine Wählervereinigung aufmerksam machen.

Matthias Rausch von der Klimaliste Ulm im Gespräch. Er macht auf dem Wochenmarkt auf seine Wählervereinigung aufmerksam, die bei der kommenden Kommunahlwahl das erste mal antritt.
Mit einem Stand beim Wochenmarkt am Ulmer Eselsberg möchte Matthias Rausch von der Klimaliste Ulm auf seine Wählervereinigung aufmerksam machen.

Eigentlich steht hinter ihnen die Kleinpartei Klimaliste Baden-Württemberg. Für die Kommunalwahl in Ulm haben sie ihre Liste aber für alle Menschen geöffnet, die sich für das Thema engagieren. Der Schritt, erstmals mit einer eigenen Liste in Ulm anzutreten, war für Rausch nötig, weil er und seine Mitstreiter mit den Ergebnissen der kommunalen Politik "einfach nicht zufrieden sind".

Mehr Spezialisten für die Kommunen

Die Welt sei komplexer geworden. Und eine größere Komplexität lasse sich besser bearbeiten, "wenn man mehrere Perspektiven miteinbezieht". Für Rausch ist deshalb die logische Folge, dass es in Ulm so viele Listen gibt. 16 an der Zahl, teils parteizugehörig, teils unabhängig. Insgesamt 507 Kandidierende stehen für 40 Plätze zur Wahl.

Beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit fühle sich heute jeder getrieben. Deshalb wolle die Klimaliste Ulm eine "Real-Utopie" schaffen, damit es keinen Grund gibt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger verändern müssten. Dieser Gedanke fehle bei den anderen Fraktionen, so der an Platz 2 gelistete Kandidat.

Es ist ein unglaublich positives Zeichen für Ulm, wie viele Listen es gibt und wie viele Menschen sich engagieren wollen

Rausch ist überzeugt: Eine große Vielfalt im Rat würde am Ende bessere Entscheidungen bringen. Denn "wo sich ein anderes Ratsmitglied in ein Thema einlesen müsste, haben wir schon einen extrem großen Wissenspool", findet Rausch. Es brauche Spezialisten, die sich mit bestimmten Themen direkt auskennen. Andererseits sei auch die Expertise der etablierten Parteien wichtig. Die Herausforderung ist, "die unterschiedlichen Weltsichten in ein gemeinsames Zukunftsbild zu überführen."

Nachwuchs für die Politik

Während sich die Klimaliste Ulm als Spezialisten für ein bestimmtes Thema sieht, hat sich die Junge Ulmer Liste eher für einen ganzheitlichen Ansatz entschieden. Kultur, Digitalisierung, Minderheitenschutz oder soziale Gerechtigkeit - die Liste ihrer Anliegen ist lang. Viel wichtiger ist ihnen aber: junge Menschen in die Kommunalpolitik zu bringen.

Zehn Kandidierende der Jungen Ulmer Liste auf einem Gruppenfoto. Sie wollen als Wählervereinigung vor allem junge Menschen bei der Kommunalwahl in die Politik bringen.
Die Junge Ulmer Liste mit Robin Schmitz (ganz links) möchte vor allem junge Menschen in die Kommunalpolitik bringen.

"Wir fühlen uns im Moment nicht so richtig repräsentiert", findet der 20-jährige Robin Schmitz, der auf Listenplatz 2 ins Rennen geht. Sie wollen ein Zeichen setzen, "dass sich junge Menschen auch expliziert für Politik interessieren und teilhaben möchten."

Schwieriger Wahlkampf, aber gern gesehene Gäste

Obwohl es Angebote von Parteien oder anderen Wählervereinigungen gab, haben sich die jungen Kandidierenden dazu entschiedenen, mit einer eigenen Liste anzutreten. "Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt", sagt Schmitz. "Aber so ist es ein stärkeres Zeichen an alle jungen Menschen in Ulm, die sich vielleicht noch nicht politisch interessieren, dass es wichtig ist, für seine Meinung einzustehen."

Ich denke, dass es in der Kommunalpolitik sehr hilfreich ist, viele verschiedene Ansichten am Tisch zu haben.

Als eigene Liste sei der Wahlkampf nicht so leicht wie für etablierte Parteien. "Wir mussten unsere Spenden alle zusammenglauben und Eltern anschnorren, um überhaupt an Flyer zu kommen, um Werbung für uns schalten zu können", erinnert sich Robin Schmitz lachend.

Besser lief es bei Veranstaltungen. Hier durften sie sich öfters mit anderen Parteien oder Wählervereinigungen die Bühne teilen. "Ich glaube, auch die anderen Listen freuen sich, dass sich endlich mal junge Menschen aufraffen und was tun", so Schmitz.

Ob es am Ende auch für einen Sitz im Gemeinderat reicht, darauf würde er nicht wetten. Aber er glaubt schon, dass es passieren kann. Vielleicht kommt ihnen dabei auch zu Gute, dass nun ab 16 Jahren gewählt werden darf. So alt ist übrigens auch die Spitzenkandidatin der Jungen Ulmer Liste, Emilia Stella Schneider.

Wählervereinigung im Trend

Grundsätzlich sei es auf der Gemeindeebene etwas leichter, sich als unabhängige Liste zu etablieren, da die Kommunalpolitik "nicht so stark von Parteien durchdrungen ist wie landespolitische oder bundespolitische Ebenen," so Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung. Besonders Großstädten in Baden-Württemberg stellt er eine leichte Zunahme solcher Listen fest.

Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.
Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Das hängt zum einen mit einer nicht vorhandenen Sperrklausel zusammen, die verhindern würde, dass kleine Parteien in den Rat einziehen. Zum anderen begünstigt das Auszählungsverfahren für die Sitzverteilung kleinere Listen. Das führt dazu, dass in größeren Städten unabhängige Wählervereinigungen eine "realistische Chance haben, einen oder zwei Sitze im Gemeinderat zu erobern", so Wehner.

Kleine Gemeinden oft zu klein für Wählervereinigungen

Grundsätzlich sei es "demokratietheoretisch" gut, wenn die Gemeinderäte "bunter und vielfältiger" werden, da mehrere Stimmen berücksichtigt werden könnten. Allerdings werden "Entscheidungsfindungen natürlich in zersplitterten Gemeinderäten schwieriger", erklärt Wehner.

Die Kommunalwahl sei ohnehin mehr eine Personen-, als eine Parteiwahl. Laut Wehner hat die durchschnittliche Gemeinde in Baden-Württemberg rund 5.000 Einwohner, "da kennt man sich, da spielt die Personenorientierung mindestens eine genauso große Rolle wie die Parteizugehörigkeit." Allerdings sei es bei solch kleinen Gemeinden oft schwieriger als in Großstädten, genügend Gleichgesinnte für eine unabhängige Liste zu finden. So treten Kandidierende dort oft für Parteien an, denen sich eigentlich nicht angehören.

Volksparteien begrüßen Wählervereinigungen bei Kommunalwahl

Etablierte Parteien wie die Grünen oder die SPD stehen den sich mehrenden Wählervereinigungen grundsätzlich positiv gegenüber. Klar, sind sie gewissermaßen auch eine Konkurrenz für die eigenen Kandidierenden. Das Angebot sei dadurch aber auch vielfältiger und es könnte mehr Menschen dazu bewegen, wählen zu gehen.

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Das wichtigste sei ohnehin, dass die Zusammenarbeit später gut funktioniert, egal über welche Liste die Menschen in den Gemeinderat gekommen sind, so Grünen-Politikerin Lena Schwelling aus Ulm. Es schade nicht, wenn es Menschen gibt, die eine große Expertise für Themen mitbringen. Die Kandidierenden müssten aber auch beachten, dass man als Rat später zu jedem Thema eine Position haben sollte. In Ulm hat das aber bisher immer gut geklappt, so Schwelling.

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