Als vor vier Jahren die erste Corona-Welle rollte, kamen viele Intensivstationen an ihre Grenzen. Das lag auch an fehlenden Strukturen. Darüber spricht die leitende Oberärztin Helene Häberle offen.
"Wir schaffen's!" - das ist die zentrale Erkenntnis, die die leitende Oberärztin der Intensivstation an der Uniklinik Tübingen aus der größten Krise mitnimmt, die sie als Ärztin je erlebt hat. Professorin Helene Häberle ist, wie sie immer wieder augenzwinkernd betont, eine echte Schwäbin - bodenständig, grad raus, ohne Allüren. Es ist klar: Sie, die Pflegenden und natürlich die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen hätten auf Corona verzichten können und wollen, wenn es möglich gewesen wäre.
Aber die Krise habe auch einiges in Bewegung gesetzt, sagt Häberle. Während der Corona-Pandemie habe das Uniklinikum Tübingen (UKT) eine zweite Intensivstation eingerichtet und seine Bettenzahl auf der Intensivstation verdoppelt. Nur so konnten auch Patienten ohne Covid-19 weiter behandelt und operiert werden. Dass das die Pflegerinnen und Pfleger geschafft haben, macht sie bis heute stolz auf ihr Team.
Uniklinik Tübingen: Vom unbekannten Virus überrollt
Als 2020 die erste Coronawelle die Intensivstationen flutete, war man nicht vorbereitet. Das konkrete Virus war neu, Behandlungsmethoden also nicht erprobt. Gleichzeitig waren die Kliniken auf die Masse an Patientinnen und Patienten nicht eingestellt. Alle reagierten. Tübingen verdoppelte annähernd die Zahl der Intensivbetten. Sonst habe sie etwa 25 Patientinnen und Patienten, sagt Helene Häberle. Während Corona lagen bis zu 55 Menschen mit oder ohne Corona auf der Intensivstation.
Logistische Leistung des DRK während Pandemie
Als im Winter 2020 die zweite Welle rollte, hatte das Sozialministerium von Baden-Württemberg eine Lösung erarbeitet: Ab Dezember 2020 übernahmen große Spezialkliniken wie Tübingen, Ulm und Freiburg die Behandlung von schwerstkranken Corona-Intensivpatienten - vor allem wenn es um die externe Beatmung "ECMO" ging. Intensivpatienten, deren Behandlung weniger kompliziert war, wurden im Gegenzug an andere Kliniken verlegt, die den großen Spezialkliniken zugeordnet waren. Tübingen arbeitete unter anderem mit Reutlingen, Albstadt, Ravensburg und Freudenstadt zusammen.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) organisierte die Transporte quer durchs Land. "Die haben eine Riesenleistung gebracht - Wahnsinn!", bilanziert Helene Häberle heute. Das Netzwerk sei nicht mehr aktiv, könne aber bei Bedarf wieder reaktiviert werden: "eine echte Errungenschaft."
Corona: Krise und Herausforderung für Intensivstation
Die Corona-Pandemie brachte auch das Team der Tübinger Intensivstation an seine Grenzen. Das Arbeitspensum war immens, obwohl Pflegekräfte von anderen Stationen zum Helfen auf die Intensivstation kamen. Und auch die seelische Belastung war oft kaum erträglich. Viele Patientinnen und Patienten starben auf der Intensivstation - im Beisein von Pflegepersonal, denn Angehörige durften die Station nicht betreten. Irgendwann habe sie verstanden: Wir müssen mehr auf unser Team schauen. Wer solche Dinge erlebt, braucht auch psychologische Unterstützung.
Gleichzeitig wurde ihr klar: Erfolge gegen Corona gibt es nur im Team - nur wenn Ärzte, Pflegende, Ergotherapeuten, Logopädinnen und viele andere zusammenarbeiten. Sie sei näher an ihr Team gewachsen, sagt Häberle.
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Die ECMO - lebensrettende Therapie?
Auch therapeutisch stellte das damals neuartige Coronavirus die Tübinger Intensivstation vor Herausforderungen. Abgesehen von Cortisongaben habe man quasi kein Standardvorgehen gegen die Krankheit finden können, denn das Virus änderte sich viel zu schnell. Was bei dem einen Patienten half, brachte dem nächsten nichts. Es galt, das gesamte Team immer auf dem neusten Stand zu halten.
Bis heute umstritten ist der Nutzen der externen Beatmung, genannt "ECMO", bei Patienten, deren Lunge nicht mehr ausreichend funktioniert. Hat man damit Patienten möglicherweise geschadet oder sie gar getötet, wie es einige Studien nahelegen? Für Tübingen sagt Helene Häberle entschieden: "Nein." Die Patienten, die während einer ECMO-Beatmung starben, wären auch ohne eine solche gestorben. "Da lege ich mich ganz explizit fest", so Häberle.
Nicht für jeden macht die ECMO-Beatmung Sinn
Helene Häberle nennt einzelne Punkte, die sie heute anders machen würde - oder die zumindest nochmal diskutiert werden müssen. Es müsse noch jede Menge Forschung betrieben werden, bis bei Corona alles verstanden sei, sagt sie. Doch in Bezug auf die ECMO-Beatmung zeichnet sich ihrer Meinung nach ab: Man sollte sie nicht bei jeder und jedem versuchen. Patienten über 70 Jahre oder mit Vorerkrankungen hätten kaum Chancen. Außerdem müsse man sich immer vor Augen führen: Wer überlebt, ist danach vielleicht ein Pflegefall.
Kein Besuchsverbot mehr für Sterbenskranke
Eine Sache würde die leitende Oberärztin der Intensivstation an der Tübinger Uniklinik im Rückblick anders machen: Sie würde kein Besuchsverbot mehr für Sterbenskranke verhängen.
Beim nächsten Mal will sie dafür plädieren, dass es kein Zugangsverbot mehr für Angehörige von Sterbenskranken gibt. Das sagte Helene Häberle im Gespräch mit dem SWR.
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