Lange hieß es, die Lage auf den deutschen Intensivstationen sei (noch) entspannt. Jetzt schlagen Mediziner:innen Alarm: In absehbarer Zeit werde es wegen des neuartigen Coronavirus zu einem deutlichen Personalmangel kommen.
Intensivbetten gibt es in Deutschland zunächst noch genug. Europaweit stehen hier die meisten zur Verfügung: 29 Betten pro 100.000 Einwohner. Der europäische Durchschnitt liegt bei rund zwölf Intensivbetten. Portugal bildet das Schlusslicht – mit nur vier Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern.
Einen Mangel gibt es in Deutschland aber dennoch – nämlich beim medizinischen Personal. Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sprach diese Woche von einem „dramatischen Mangel an Pflegekräften“.
Mangel an Intensivpflegekräften zeichnet sich schon länger ab
Laut einer Erhebung des Deutschen Krankenhausinstituts von 2019 fehlen in Allgemeinkrankenhäusern ab 100 Betten allein in der Intensivpflege bundesweit rund 4.700 Vollzeitkräfte.
Schon 2011 hatte demnach etwa ein Drittel der Krankenhäuser Probleme, ihre Intensivpflege-Stellen zu besetzen. 2019 waren es mehr als drei Viertel. Im Schnitt fehlen den betroffenen Krankenhäusern etwa sieben Vollzeitkräfte in der Intensivpflege.
Die DIVI schätzt, dass deshalb durchschnittlich rund 20 Prozent der Intensivbetten gesperrt sind. Das heißt: Sie können wegen des Pflegepersonalmangels nicht betrieben werden.
Situation wird sich wohl zuspitzen
Die Lage auf den Intensivstationen wird in den nächsten Tagen mit großer Sicherheit noch angespannter. Denn die Zahl der nachgewiesenen Neuinfektionen und der Anteil der positiven Corona-Tests steigt weiter. Letzte Woche lag er bei 5,6 Prozent – also etwa so hoch wie Mitte März oder Ende April. Der bisherige Höchststand war Anfang April – mit 9 Prozent Positivenquote.
Die Auswirkungen der steigenden Neuinfektionszahlen zeigen sich auf den Intensivstationen aber erst später. Ab Symptombeginn dauert es laut Robert-Koch-Institut im Schnitt vier Tage bis eine Person mit schwerem Krankheitsverlauf in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Bis zur Aufnahme in eine Intensivstation vergehen etwa zehn Tage.
Die Kurve der Bettenbelegung auf den Intensivstationen wird also erst Wochen später abflachen als die der gemeldeten Neuinfektionen.
Außerdem sind Intensivstationen im Winter generell voller als in den Sommermonaten. Hinzu kommt das Risiko, dass sich Pflegekräfte selbst infizieren und nicht mehr weiterarbeiten können. So würde die Arbeitsbelastung für die einzelnen Pflegerinnen und Pfleger noch weiter steigen.
Corona-Patienten sind personalintensiv
Problematisch könnte das auch werden, weil für Intensivpatientinnen und -patienten mit Covid-19 besonders viel Pflegeaufwand geleistet werden muss. Intensivmediziner sprechen hier von beinahe einer 1:1-Betreuung. In anderen Bereichen gilt ein Personalschlüssel von 1:2 schon als überdurchschnittlich.
Der erhöhte Aufwand liegt vor allem an den besonderen Schutzmaßnahmen, die das Pflegepersonal vor einer Ansteckung mit Covid-19 schützen sollen. So müssen die Pflegekräfte oft spezielle Schutzkleidung anziehen.
Außerdem müssen Covid-19-Erkrankte regelmäßig in Bauchlage gebracht werden. Eine einzelne Pflegekraft kann das nicht leisten. Hier braucht es oft drei bis vier Personen.
Was tun?
Im Frühjahr wurde Pflegepersonal aus anderen klinischen Bereichen für die Versorgung der Corona-Patientinnen umverteilt. Operationen wurden verschoben. All das soll jetzt vermieden werden, damit sich nicht wieder ein Behandlungsstau bildet.
Wenn die über 12.000 Betten bestehende Notfallreserve zur Verfügung gestellt werden muss, muss gleichzeitig auch zusätzliches Personal für die Pflege gewonnen werden. Hier könnte auf ausgebildete Intensivpflegekräfte zurückgegriffen werden, die entweder schon pensioniert sind, inzwischen in anderen Bereichen arbeiten oder studieren. Eine Maßnahme, von der niemand weiß, wie gut sie als Lösung funktioniert.
Ärzt:innen und Pflegekräfte appellieren deshalb, das Infektionsgeschehen gering zu halten, damit die Intensivstationen und ihr Personal nicht an ihre Belastungsgrenze geraten.