Am Sonntag gab es eine kritische Situation bei der Netzstabilität im Land. Das Kuriose: Der Grund war zu viel Windenergie in Norddeutschland. Die Gefahr eines Stromausfalls habe jedoch nicht bestanden.
Nach dem Aufruf durch TransnetBW, am Sonntag in Baden-Württemberg Strom zu sparen, haben die Verantwortlichen jetzt die Hintergründe erläutert. Grund war, die Netzstabilität zu gewährleisten, so TransnetBW auf Nachfrage des SWR. Denn in Norddeutschland wurde durch Windkraftanlagen sehr viel Energie ins Stromnetz gepumpt. Diese große Energiemenge würde sich normalerweise von sich aus im Netz nach Süden bewegen, dabei aber die noch nicht ausgebauten Übertragungsleitungen in Mitteldeutschland beschädigen. Die Folge: In Baden-Württemberg musste "Gegendruck" im Stromnetz aufgebaut werden. Bereits im Dezember hatte TransnetBW eine ähnliche Meldung an die Haushalte heraus gegeben. Die Gefahr von Stromausfällen und Stromknappheit habe zu keiner Zeit bestanden.
Viel Windenergie im Norden hat Auswirkungen auf Stromnetz auch im Süden Deutschlands
Der Vorgang wird Redispatch genannt. Das sei ein Eingriff in die Stromerzeugung, um die Netzstabilität zu gewährleisten, so Annett Urbaczka von TransnetBW gegenüber dem SWR. "An extrem windreichen Tagen erzeugen die Windparks in Norddeutschland zusätzlichen Strom, der auch eingespeist werden muss. Das sorgt sozusagen für einen hohen Druck auf dem Gesamtnetz in Norddeutschland."
Dieser Druck reiche bis Mitteldeutschland, dort sei aber das Stromnetz noch nicht ausreichend ausgebaut, um den Strom effizient weiter Richtung Süddeutschland zu verteilen. Das bedeutet: "Wenn in Norddeutschland mehr Energie als üblich erzeugt wird, müssen wir auch in Süddeutschland mehr Energie als üblich im Netz haben", so Annett Urbaczka.
Zusätzliche Energie nicht für Verbrauch, sondern für Stabilität im Stromnetz
Zusätzlich zugeschaltete Kraftwerke würden dann zusätzliche Energiemengen ins Netz pumpen. Wenn gleichzeitig aber die Haushalte viel Strom verbrauchen würden, wird wieder Energie entzogen. Das stehe dem Ziel entgegen, das Netz mit Energie aufzufüllen. Daher ruft in solchen Situationen TransnetBW zum Stromsparen auf, erklärt Annett Urbaczka. Diese zusätzliche Energie werde eben nicht für die Verbraucher benötigt, sondern diene nur dazu, das Netz stabil zu halten.
Das bestätigt auch Werner Eckert aus der SWR-Umweltredaktion. "Der zusätzlich erzeugte Strom aus den Windparks in Norddeutschland führt zu niedrigen Preisen am Strommarkt. Und weil die in ganz Deutschland einheitlich hoch sind, stellen die Kohlekraftwerke im Süden dann den Betrieb ein, weil sie kein Geld mehr verdienen können."
Mangelnder Ausbau des Stromnetzes in Süddeutschland hat Folgen
Das wäre kein Problem, wenn der Windstrom aus dem Norden voll nach Süden transportiert werden könnte. "Aber dazu fehlen die großen Übertragungsleitungen", so Werner Eckert. "Damit das System nicht zusammenbricht, müssen dann im Norden Windräder abgeschaltet und im Süden Kohlekraftwerke hochgefahren werden." Die Kraftwerke, die eigentlich in der Summe nicht benötigt werden, müssen also für die Stabilität des Netzes wieder in Betrieb gehen.
Das sei auch vergangenen Sonntag passiert. 3.000 Megawatt (MW) sind laut TransnetBW eingesetzt worden, um diesen Ausgleich zu schaffen. 1.400 MW davon kamen demnach zwischen 17 Uhr und 19 Uhr aus Kraftwerken, die ohnehin am Markt sind. Reservekraftwerke lieferten etwa 800 MW, und 740 MW stammten aus der Schweiz.
Mit der App "StromGedacht" das Stromnetz stabil halten
TransnetBW will auch die Bürgerinnen und Bürger für das Thema sensibilisieren und ruft zu einem angepassten Stromverbrauch auf. Denn je weniger Strom während einer Redispatch-Maßnahme verbraucht wird, desto weniger Strom muss aus Kraftwerken, zum Beispiel aus dem Ausland, zugeführt werden. Dafür hat TransnetBW die App "StromGedacht" für Smartphones entwickelt. Sie zeigte für Sonntag tagsüber "Gelb" und riet somit, den Stromverbrauch vorzuziehen oder zu verschieben. Um 17 Uhr wurde die Ampel "Rot". Das bedeutete: Verbrauch reduzieren. Man solle möglichst keine Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen nutzen. Geräte wie Laptops sollten mit Akku betrieben werden.
"Inwiefern wir durch die Info der App und die Reaktion der Verbraucher Energie sparen konnten, können wir leider aktuell noch nicht messen", erklärt Annett Urbaczka von TransnetBW dem SWR. Zurzeit würden 100.000 Nutzerinnen und Nutzer die App in Baden-Württemberg verwenden. "Um einen spürbaren Effekt zu erzielen, bräuchten wir 500.000 Haushalte." Daher sei die App momentan vor allem dafür da, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. Aber man entwickle die App bereits weiter, um auch früher schon Anhaltspunkte zu bekommen. Zum Beispiel sei ein neuer "Ich spare Strom"-Button geplant, mit dem die Nutzerinnen und Nutzer signalisieren können, ob sie dem Vorschlag der App folge leisten.
Keine Warnungen über NINA-Warn-App vorgesehen
Wäre es nicht eine Option, Warnungen vor Stromengpässen und Bitten, Strom zu sparen, künftig über die offiziellen Kanäle des Landes Baden-Württemberg erfolgen zu lassen - zum Beispiel über die NINA-Warnapp? "Nein", sagt Annett Urbaczka. "Von den Redispatch-Maßnahmen geht ja keine Gefahr für die Bevölkerung aus. Wir haben ja genug Strom zur Verfügung." Auch das Umweltministerium teilt diese Auffassung. "Die Stromampel will sensibilisieren, ist dezidiert aber keine 'Warn'-App", so das Umweltministerium gegenüber dem SWR. Insofern seien Redispatch-Maßnahmen auch in keiner Weise eine Information, die über die Warnkanäle des Landes verbreitet werden sollte, da diese dem Bevölkerungsschutz dienen und vor unterschiedlichen und auch lebensgefährlichen Gefahrenlagen warnen würden.
Die Redispatch-Maßnahmen wirken sich auch auf die Stromrechnungen der Endverbraucher aus, erklärt TransnetBW. Je mehr Menschen allerdings in diesen Zeiten Strom sparen, desto weniger Strom müsse zugekauft werden und desto günstiger wird die Endabrechnung für alle Verbraucher.
Erneuerbare Energien erfordern häufigere Eingriffe
"Der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie und die vermehrte Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien wirken sich auf die Lastflüsse im Netz aus und führen dazu, dass Netzbetreiber häufiger als bisher Redispatch-Maßnahmen vornehmen müssen", heißt es bei der Bundesnetzagentur. Da der Netzausbau noch nicht so weit ist, gibt es häufiger Ungleichgewichte zwischen der hohen Erzeugung von Strom etwa aus Windkraft im Norden und dem Verbrauch im Süden.
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