Nach tödlichen Schüssen und Handgranaten-Anschlag

LKA: Gewalt in Region Stuttgart ist wohl vorerst nicht zu stoppen

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Verena Neuhausen
Verena Neuhausen

Immer wieder Schüsse und ein Handgranaten-Anschlag: Die Gewalt rivalisierender Gruppen in der Region Stuttgart ist eskaliert. Selbst das LKA geht davon aus, dass sie nicht enden wird.

Seit einem Jahr fallen in der Region rund um Stuttgart und in der Landeshauptstadt immer wieder Schüsse. Hintergrund sind brutale Auseinandersetzungen zweier Gruppierungen im Großraum Stuttgart. Obwohl das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg die Ermittlungen seit langem koordiniert und Mitte Mai verkündete, man sehe die Schuss-Serie vorerst als gestoppt an, ist es am 9. Juni zu einer weiteren Eskalation der Gewalt gekommen: Eine Handgranate wurde bei einer Beerdigung in Altbach (Kreis Esslingen) auf die Trauergemeinde geworfen. Jetzt sagt das LKA selbst, die Gewalt sei wohl nicht zu stoppen.

Das LKA geht trotz erster Ermittlungserfolge davon aus, dass die gewaltsamen Konflikte zwischen den rivalisierenden Gangs im Großraum Stuttgart weitergehen werden. LKA-Chef Andreas Stenger antwortete dem SWR auf die Frage, ob er Hoffnung habe, dass die Serie der Gewalttaten nun vorbei sei: "Nein, die Hoffnung haben wir nicht." Die Polizei sei "sehr wachsam", ermittele offen und verdeckt und habe schon viele Erkenntnisse. Aber "wir rechnen auch mit weiteren Aktivitäten", so Stenger. Neu und in diesem Sinne auch beängstigend sei, dass "schnell geschossen wird, aus Autos heraus geschossen wird".

"Wir rechnen mit weiteren Aktivitäten."

LKA hat Eskalation der Gewalt nicht erwartet

Rückblickend erklärte das LKA, man habe keine Anzeichen gesehen, dass die Gewalt eskalieren könnte. Man habe Taten in der Nacht und vor Szene-Treffpunkten wie Shisha-Bars erwartet. Mit brutalen Taten am Tag und bei Ereignissen, bei denen auch viele Unbeteiligte getroffen werden könnten, habe man nicht gerechnet. Von dem Handgranaten-Anschlag bei der Beerdigung wurden Polizei und LKA also selbst überrascht.

Auf dem Friedhof sei zwar ein Fahnder der Polizei in Zivil gewesen, dieser habe aber nur Personen observieren wollen, die im Zusammenhang mit Schüssen in der Region aufgefallen seien, so sagen Ermittler. In der Gemeinde Altbach seien zudem sechs weitere Fahnder der Polizei unterwegs gewesen, die unter anderem Autokennzeichen von möglichen Verdächtigen notiert hätten. Zudem habe man das Verhalten von überwiegend jungen Männern aus der Gruppierung beobachten wollen, um Rückschlüsse auf mögliche hierarchische Strukturen zu gewinnen.

Nach dem Anschlag in Altbach: Viele Menschen sind verunsichert

In der Region Stuttgart verunsichert die Eskalation der Gewalt die Menschen. Das ist besonders in Altbach zu spüren. Eine junge Frau erzählt dem SWR, sie sei bei dem Anschlag dabei gewesen. Es sei schrecklich gewesen, noch immer habe sie Panikattacken: "Ich gehe nirgendwo mehr hin, wo viele Menschen sind." Bei der Beerdigung habe sie ihre Kinder dabei gehabt. Als sie die Explosion gehört habe, habe sie die Kleinen zunächst im Chaos verloren. All das könne sie kaum verarbeiten.

Am Donnerstagabend war die Tat von Altbach und ihre Hintergründe Thema in der SWR Fernsehsendung "Zur Sache Baden-Württemberg":

Niemand will mit der Polizei sprechen

Das LKA reagiert auf diese Verunsicherung. Die bisherige Strategie im Einsatz gegen die Gruppen werde verstärkt. Noch mehr Fahndungsdruck, noch mehr Präsenz überall da, wo die Gruppierungen sich treffen. Rund 1.000 Kontrollen habe es bisher gegeben, man verfolge 300 Spuren. Aber die Ermittler räumen im Gespräch auch ein, dass sie wenig wissen über mögliche Angriffspläne.

Das liege auch daran, dass laut Polizei weder Tatverdächtige noch Opfer noch Zeugen mit der Polizei sprechen. Das hat mit der Struktur der Gruppen zu tun. Keine klassischen Banden, wie man sie bislang von der Organisierten Kriminalität kennt. Keine strenge Hierarchie. Eher Phänomene einer Subkultur. Junge Männer, die mit spontanen, hormongesteuerten Angriffen Aufmerksamkeit wollen. "Toxische Männlichkeit" spiele eine große Rolle, sagen die Ermittler und sehen Parallelen zur Subkultur, aus der sich vor drei Jahren die Stuttgarter "Krawallnacht" entwickelt hatte.

LKA-Sprecher: "Das Ende der Gewalt ist noch nicht erreicht"

Auch LKA-Sprecher David Fritsch ist deswegen skeptisch, ob es trotz aller Anstrengungen gelingen wird, weitere Gewalt und damit Gefahren auch für Unbeteiligte zu verhindern. Laut seiner persönlichen Einschätzung ist das Ende noch nicht erreicht.

"Ich denke, das Ende haben wir noch nicht erreicht."

Das LKA hat nun angekündigt, den Fahndungsdruck zu erhöhen. Man stehe jedoch vor großen Hürden, da sich die Gruppierungen nicht öffnen wollten. Für verdeckte Maßnahmen wie Telefonüberwachung oder die Einschleusung von V-Männern seien die rechtlichen Hürden hoch. Dennoch werde man sowohl präventiv wie auch bei der Aufklärung der bisherigen Vorfälle intensiv vorgehen, erklärte das LKA am Mittwoch. "Es ist absolut Priorität eins im LKA", so Fritsch.

SPD-Fraktion im Landtag fordert einen Sonderlagenbericht

"Wenn man sieht, dass das LKA bereits im Mai gesagt hat, es würde keine Gefahr mehr bestehen, dann der Anschlag in Altbach passiert und nun mit weiteren Aktivitäten rechnet, dann sorgt das für Verunsicherung. Es ist jetzt an der Zeit, die Dinge klar zu benennen und gegen sie vorzugehen", sagte Sascha Binder, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag.

Er glaube schon, dass es sich um Bandenkriminalität handele: "Denn woher sollen die Waffen sonst kommen? Es wird ja jetzt der Eindruck vermittelt, es handle sich nur um ein paar pubertierende junge Männer." Deshalb fordere die SPD-Fraktion einen Sonderlagenbericht, in dem die aktuelle Lage sauber dargestellt und Bezüge aufgezeigt werden. Zum Beispiel müssten Bezüge zu Waffenhändlern geklärt werden.

"Zum Beispiel müssen Bezüge zu Waffenhändlern geklärt werden. Kriegswaffen sind schließlich nicht an jeder Straßenecke im Land zu bekommen."

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