Nach Krawallen bei einem Treffen von Eritreern in Stuttgart steht das erste Urteil fest: Ein 29-Jähriger muss knapp vier Jahre in Haft. Er hatte Steine auf Polizisten geworfen.
Am Ende war es ein Urteil, das nah an die Grenze des möglichen Strafrahmens ging: Ein 29-jähriger Mann aus Eritrea muss wegen der Gewaltexzesse am Rande einer Veranstaltung in Stuttgart-Hallschlag für drei Jahre und neun Monate in Haft. Mehr als vier Jahre Haft, wie es die Anklage in ihrem Plädoyer gefordert hatte, hätte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt nicht verhängen dürfen. Für höhere Strafen als vier Jahre sind die Landgerichte zuständig. Die Richterin wollte bei der Verkündung des hohen Urteils am Donnerstagabend auch ein Zeichen setzen: Konflikte ausländischer Gruppen dürften nicht auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden.
Gericht sieht 29-Jährigen als Rädelsführer
Der Prozess hatte mit gut einer Stunde Verspätung begonnen - allerdings nur, weil der Dolmetscher ausgetauscht werden musste, nicht wegen des Besucherandrangs: Aus Sorge vor erneuten Ausschreitungen hatte das Amtsgericht die Sitzung in das Hochsicherheits-Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim verlegt. Am Ende standen mehr Polizisten zum Schutz des Verfahrens vor dem Gebäude als Zuhörer im Saal waren - womöglich auch wegen des ÖPNV-Streiks in der Landeshauptstadt.
Der 29-jährige Eritreer ließ sich nicht zur Person oder Sache ein und verfolgte weitgehend regungslos dem Verfahren. Die Richterin warf ihm am Ende sogar vor, lange Zeit gelächelt zu haben. Die Anklage hatte dem Mann Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen - und dabei auch im Grunde eine Rädelsführerschaft: Er soll am Rande einer Veranstaltung eines regimetreuen eritreischen Vereins im Sommer im Römerkastell den Betonfuß eines Bauzauns und einen gut drei Kilo schweren Pflasterstein auf Polizisten geworfen haben - und damit die Welle der Gewalt initiiert haben.
Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert - sie zweifelte daran, dass mit dem Foto- und Videomaterial eindeutig die Taten des Angeklagten bewiesen werden konnten. Zudem sei ungeklärt, welche Rolle die regimetreuen Eritreer gespielt hätten. Die Richterin wies diese Einwände in ihrer Urteilsbegründung zurück. Sie verwies ihrerseits auf die Vorstrafen des Mannes, der mit 18 Jahren aus seiner Heimat geflohen war und seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Das Urteil gegen ihn ist noch nicht rechtskräftig.
Rohe Gewalt und brutales Vorgehen der Demonstranten
Der Mob war mit Dachlatten und Stangen auf die Polizistinnen und Polizisten losgestürmt. Ein Hagel an Steinen und Flaschen ging nieder, später flogen sogar Stühle eines Cafés und Grabschmuck von einem angrenzenden Friedhof. Der Innenhof des Römer-Kastells glich zwischenzeitlich einem Schlachtfeld. Und erst nach Stunden bekam die Polizei die Gewalt in den Griff und kesselte die Gewalttäter ein. Drei beteiligte Beamte im Zeugenstand zeigten sich auch noch Monate später entsetzt vom Erlebten. Ein 22-jähriger Polizist rang sichtlich noch um Fassung bei seiner Befragung.
Einige Einsatzkräfte hätten Todesangst bei dem Einsatz gehabt. Als es losging, trug kein Beamter Schutzausrüstung am Körper, viele schafften es erst nach mehreren Angriffswellen, die Schutzmontur anzulegen. "Es ist ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist", resümierte die Richterin: 39 Beamtinnen und Beamte trugen Verletzungen vom Einsatz davon, zehn waren danach dienstunfähig. Aber keiner musste länger in ein Krankenhaus oder zog sich bleibende Schäden zu - zumindest körperlich.
Innenminister Strobl zieht Parallelen zu Krawallen in Biberach
Am Tag danach begrüßte Innenminister Thomas Strobl (CDU) das Urteil. "Der Rechtsstaat zeigt Zähne!", kommentierte er am Freitag das Urteil. In einer Mitteilung betonte er, dass auf dem Rücken der Polizei keine Konflikte ausgetragen werden dürften. Wer die Polizei angreife, greife den Rechtsstaat an – das gelte für die Gewaltexzesse der eritreischen Oppositionellen in Stuttgart ebenso wie für protestierende Bauern im oberschwäbischen Biberach kürzlich am Rande des politischen Aschermittwochs der Grünen.
Staatsanwaltschaft hat bereits elf weitere Klagen eingereicht
Das Verfahren ist das erste von mehreren, das die Staatsanwaltschaft Stuttgart nun anstrengt. Bereits für die kommende Woche ist ein weiterer Prozess gegen einen mutmaßlichen Gewalttäter angesetzt. Insgesamt gebe es aktuell elf Anklagen, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart Aniello Ambrosio im Gespräch mit dem SWR. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen spricht er von rund 170 erfassten Beschuldigten. Die Ermittlungen gegen hundert weitere Beschuldigte der Polizei seien noch nicht abgeschlossen. Eingestellte Verfahren gibt es bislang 22. In der Summe also werden die Krawalle die Ermittler und Gerichte noch einige Zeit beschäftigen.
Hätte die Polizei auf den Gewaltexzess besser vorbereitet sein können?
Der Prozess offenbarte, wie unvorbereitet die Polizei war: Kaum 40 Beamte schützten zu Beginn der Eskalation die Veranstaltung. Dabei standen sie rund 200 Gewalttätern gegenüber. Und das, obwohl es zwei Monate zuvor in Gießen in Hessen bereits ähnliche Krawalle gegeben hatte - an diesem Tag war der Angeklagte auch in der hessischen Stadt. Eine eritreische Gruppe hatte zudem im Vorfeld zur Störung der Veranstaltung aufgerufen, eine entsprechende Warnung lag den Behörden vor.
Gewerkschaft kritisiert Polizeiführung
Innenminister Strobl äußerte sich in seiner Erklärung nach dem Urteil nicht dazu, wie unvorbereitet die Polizisten allem Anschein nach in den Einsatz geschickt worden waren. Direkt im Nachgang des Krawall-Tags hatte er noch von einem "unerwarteten Gewaltrausch" gesprochen. Eine solche Eskalation der Gewalt sei nicht abzusehen gewesen.
Eine Einschätzung, der der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft in Baden-Württemberg, Ralf Kusterer, im SWR widersprochen hatte: "Meine Lageeinschätzung wäre eine andere gewesen." Insofern könnte der Prozess nun auch zeigen, wie das Geschehen innenpolitisch zu bewerten ist - und welche Schlüsse die Sicherheitskräfte künftig daraus ziehen müssen.
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