Azubis dringend gesucht

Start von Ausbildungen in BW: Tausende offene Stellen im Handwerk

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Das neue Ausbildungsjahr startet mit mehr Azubis als noch im vergangenen Jahr. Trotzdem bleiben viele Stellen frei. Das Handwerk wünscht sich mehr Unterstützung von der Politik.

In Baden-Württemberg startet am Freitag (1. September) das neue Ausbildungsjahr. Laut der Gemeinschaft der Handwerksorganisationen (Handwerk BW) wollen knapp 16.000 junge Menschen eine Ausbildung im Handwerk machen - so viele neue Ausbildungsverträge wurden vor dem Start unterschrieben. Das seien mit einem Prozent etwas mehr Jugendliche als im Vorjahreszeitraum, teilte Handwerkspräsident Rainer Reichhold am Donnerstag in Stuttgart mit.

In allen Ausbildungsberufen starteten am Freitag insgesamt knapp 44.000 junge Leute ihre Karriere. Das sind fast 2.000 mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Auszubildenden ist dennoch rückläufig: Aktuell gibt es laut dem Statistischen Landesamt 171.000 Azubis in Baden-Württemberg. 2022 waren es noch 7.000 mehr.

Handwerkskammer Ulm nicht zu hundert Prozent zufrieden

Sowohl die Arbeitsagenturen in der Region Bodensee-Oberschwaben als auch die Handwerkskammer Ulm und Heilbronn melden im Vergleich zum vergangenen Jahr mehr Azubis, die zum September eine Lehre beginnen. Die meisten offenen Angebote gibt es derzeit noch in den Bereichen Verkauf, Arzt- und Praxishilfe, Handel und Lagerwirtschaft.

Grundlegend sei man allerdings mit dem Wachstum zufrieden, heißt es einvernehmlich aus den Industrie- und Handelskammern (IHK) Ulm und Heidenheim sowie von der Handwerkskammer Ulm. Zumal die Demografie in die entgegengesetzte Richtung geht, sprich: Die Schulabgänger werden jährlich weniger. Vor diesem Hintergrund sei die Entwicklung am Ausbildungsmarkt durchaus als Erfolg zu bezeichnen, meint Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm. Hundert Prozent zufrieden könne man mit der allgemeinen Lage jedoch nicht sein. 

Fast 3.000 unbesetzte Stellen im Handwerk

Auch in diesem Jahr sind mit 2.856 viele Stellen der Handwerkskammer offen geblieben. Insgesamt sind in Baden-Württemberg 29.000 Lehrstellen unbesetzt - in fast allen Bereichen. 8.000 Bewerberinnen und Bewerber suchen noch einen Ausbildungsplatz. Auf eine auszubildende Person kommen also rein rechnerisch 3,5 Plätze. Das teilt das statistische Landesamt mit. Reichhold gehe aber davon aus, dass auch in den kommenden Wochen noch Verträge unterschrieben werden. "Der Beginn einer Ausbildung ist auch nach dem offiziellen Start möglich. (...) Eine Ausbildung im Handwerk ist zukunftssicher und bietet sehr gute Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten", so Reichhold.

Handwerkspräsident: Ausbildung im Handwerk ist krisensicher

Ein besonders hohes Interesse an einer Lehre wurde demnach im Bereich Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik verzeichnet. Hier sei es ein Plus von fast elf Prozent. In dem Bereich zeigten sich Effekte der Debatte um die Energiewende, sagte Reichhold weiter. Hingegen machte sich bei den Bauberufen wohl die Konjunkturschwäche bemerkbar. Dort sanken die Zahlen teilweise deutlich. Eine Ausbildung im Handwerk sei krisensicher, sagte Reichhold. Er warb erneut dafür, dass vermehrt Abiturientinnen und Abiturienten für eine berufliche Zukunft im Bereich der dualen Ausbildung gewonnen werden. Laut Handwerkstag haben von den Auszubildenden aktuell knapp 19 Prozent ein abgeschlossenes Abitur (Hochschul- oder Fachhochschulreife).

"Der Trend zum Studium muss gestoppt werden."

Zugleich forderte er eine bessere Berufsorientierung an den Gymnasien des Landes und eine bessere Bildungspolitik von Seiten der Landesregierung. Ohne Grundkompetenzen der Schüler könnten diese nur schwer zu dringend benötigten, gut qualifizierten Fachkräften heranwachsen, die dringend für Klimawende und Co. benötigt würden, warnte Reichhold. Bildung sei Ländersache, betonte Reichhold und fügte hinzu: "Bildung muss wieder Herzens- und Hauptthema werden." Dass Baden-Württemberg im neuen Bildungsmonitor im Vergleich der Länder am meisten abgerutscht ist, bezeichnete Handwerkspräsident Reichhold als Alarmzeichen.

Laut der IHK Karlsruhe kämpften Ausbildungsbetriebe gerade im ersten Ausbildungsjahr damit, mehr Unterstützung leisten zu müssen als noch vor wenigen Jahren. Vor allem Defizite im Bereich der Rechtschreibung und Mathematik sowie im Bereich der Allgemeinbildung seien auffällig. "Auch hier spüren wir die negativen Folgen von pandemiebedingtem Unterrichtsausfall und einem vorherrschenden Lehrermangel", erklärt IHK-Präsident Wolfgang Grenke.

Das Handwerk wünscht sich mehr Unterstützung von der Landesregierung:

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer setzt auf Praktika, um den Jugendlichen schon in der Schulzeit die Arbeitswelt näher zu bringen. "Es ist ganz wichtig, dass junge Menschen frühzeitig in Betriebe hineinschnuppern", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks im SWR. Sein Vorschlag: "Fünf Berufe in fünf Tagen, um zu spüren, was Spaß macht und was nicht." Denn auch ein Praktikum, das keinen Spaß mache, sei letzten Endes sinnvoll und helfe bei der Berufswahl. Zusätzlich müssten die Schulen stärker kooperieren, forderte Dercks. In den letzten drei Wochen vor den Ferien finde wegen des Notenschlusses ohnehin kaum noch Unterricht statt.

Handwerk kritisiert BW-Landesregierung

Mit Blick auf die bisherige Bilanz von Grün-Schwarz kritisierte der Verband die zu geringen Haushaltsmittel für die Fachkräfteausbildung. Zwar wurde die Unterstützung der Bildungsstätten des Handwerks sogar im Koalitionsvertrag festgehalten. Trotzdem wurden im aktuellen Doppelhaushalt die Mittel sogar gekürzt statt erhöht. Dabei leisteten die Bildungsstätten einen entscheidenden Beitrag für eine moderne Aus- und Weiterbildung, so Reichhold weiter.

Außerdem würde Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ständig vom Bürokratieabbau sprechen. Aber im Handwerk sei da deutlich zu wenig geschehen, ärgert sich Reichhold. "Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Bürokratie zu erfüllen, weil wir nicht mehr die Manpower dazu haben." Wenn man den Wirtschaftsstandort erhalten wolle, müsse man die Bürokratie halbieren, anstatt sie hier und da ein bisschen zu minimieren, erklärt Reichhold.

Städte und Betriebe finden kreative Lösungen

Mittlerweile nehmen Städte und Betriebe die Azubi-Suche selbst in die Hand und finden dabei immer kreativere Ansätze. Die Städte Heidenheim und Ulm suchen auf Social Media nach Auszubildenen. Denn gerade bei der Generation Z erfreut sich die Plattform TikTok wachsender Beliebtheit. Die Stadt Heidenheim konnte über ein sogenanntes TikTok schon eine Gärtnerstelle neu besetzen:

👉Heidenheim.de/Karriere👈🌷 #gärtner #job #worklife #heidenheim #rathaus

Andere Städte und Betriebe versuchen junge Menschen mit dem Einführen der Vier-Tage-Woche von sich zu überzeugen.

Trotz aller Bemühungen: Von einer Trendwende will das baden-württembergische Handwerk trotz des leichten Anstiegs an Azubis noch nicht sprechen. Ob die Maßnahmen der Unternehmen und Städte die gewünschte Wirkung erzielen, wird sich wohl erst in den kommenden Jahren zeigen.

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