Seit gut drei Jahren ist Nicolai Opifanti aus Dettingen unter Teck ganz offiziell auch Online-Pfarrer. Wie gut wird das angenommen? Und wie viel muss man als Pfarrer über sich selbst preisgeben, um erfolgreich zu sein?
Noch schnell die Handy-Kamera-Linse putzen, dann kann es losgehen. Pfarrer Nicolai Opifanti startet die Aufnahme und seine Predigt. Statt dem Talar hat er sein Stativ mitgebracht. Statt auf der Kanzel steht er vor dem Handy. Statt in der Kirche mitten im Wald. Thematisch passt das prima. Er spricht über den Herbst als Zeit der Reflexion.
Seit gut drei Jahren betreut der 38-Jährige eine der beiden Pfarrstellen im digitalen Raum, welche die Evangelische Landeskirche in Württemberg eingerichtet hat. Die macht 50 Prozent seiner Arbeitszeit aus, die anderen 50 Prozent ist er analog, ganz normaler Gemeindepfarrer. Für die 2.600 Gemeindemitglieder vor Ort in Dettingen unter Teck (Kreis Esslingen) gibt es neben Opifanti auch noch einen zweiten Pfarrer mit einer 100-Prozent-Stelle.
"Pfarrer aus Plastik" mit Tausenden Followern
Opifanti findet, Kirche muss online sein: "Wenn die Kirche den Anspruch hat, dort zu sein, wo die Menschen sind - und es ist unser Anspruch, auch vom Evangelium her - dann ist es ganz selbstverständlich, dass wir auf den sozialen Medien unterwegs sein müssen."
In die analogen Gottesdienste kommen in Dettingen etwa 90 Menschen. Digital hat Pfarrer Opifanti 13.800 Follower. Sein Account heißt "Pfarrer aus Plastik". Viele sind in der Corona-Krise neu dazugekommen.
Seine Beiträge sind auch witzig. Mal steht er im Talar in einem Fluss und isst Melone, als kleiner Tipp zum Abkühlen. Mal sitzt er auf einer Schaukel oder spielt Fußball. Aber meistens haben die Beiträge eine ernsthafte Botschaft. Er hinterfragt in seinen kurzen Videos unter anderem Vorurteile: "Sind Menschen, die in die Kirche gehen, dümmer?" - kleiner Spoiler, die Antwort ist Nein. Und er bringt biblische Themen in die Gegenwart. Etwa mit der Frage: "Wo würde Jesus heute geboren" - in einer Kirche oder unter einer Brücke? Seine Follower können sich auch Themen wünschen. Zwei bis drei Beiträge postet er pro Woche, Storys täglich.
Über seinen Instagram-Kanal erreicht Pfarrer Nicolai Opifanti tausende Follower - mal mit lustigem Content, mal mit ernsthafteren Botschaften:
Digitale Seelsorge per Chat-Nachricht
Auch Seelsorge gehört zu seiner Online-Stelle. "Tatsächlich gibt es im digitalen Bereich mehr Seelsorgefälle, wahrscheinlich, weil die Hemmschwelle nicht so hoch ist wie beim direkten Gespräch", erzählt Opifanti. "Ich habe tatsächlich dort viel mehr Gespräche, die ans Eingemachte gehen, als im analogen Gemeindepfarramt."
Ein großer Vorteil dabei auch für ihn: Er hat Zeit, seine Antworten zu formulieren, kann auch mal etwas nachrecherchieren. Und die Chat-Seelsorge ist überall möglich. Oft kümmert er sich von unterwegs, macht einen Zwischenstopp in der Natur und widmet sich den Sorgen und Fragen seiner Online-Gemeinde. Die Kommentare der Userinnen und User sind meist positiv, sein Feed ist voll mit Herzchen. Sie schreiben unter anderem, er sei "authentisch" und "wertschätzend".
Besuch in der Kita: Digital trifft auf Analog
In Dettingen unter Teck mischen sich auch öfter beide Welten. Zum Beispiel in der Kindertagesstätte Regenbogen. Dort ist Nicolai Opifanti als Chef der Kita viel vor Ort, einige hier folgen ihm auch im Netz. Carolin Kirchner hat ihre Tochter in der Kita, sie sagt: "Ich find's einfach mega, dass er die sozialen Medien nutzt, um auch uns zu erreichen, die eben jetzt nicht regelmäßig in die Kirche gehen."
Erzieherin Greta Fichtner geht regelmäßig in die Kirche, aber sie schätzt auch den Instagram-Kanal, weil man da Zusätzliches erfahre: "Es ist voll cool, mal ein bisschen darüber zu hören, was es eigentlich bedeutet, Pfarrer zu sein. Er zeigt das auf ganz vielfältige Art und Weise, finde ich." Die Erzieherin Saliha Takuc ist Muslimin, aber auch sie folgt Opifanti: "Weil er total weltoffen ist. Und er begrüßt alle Kulturen, das macht ihn so interessant."
Weniger Privates - mehr Kirchliches
Vielleicht ist Opifanti so weltoffen, weil er selbst nicht immer an Gott geglaubt hat. In der Schulzeit hat er sich eine Zeit lang sogar selbst als Atheist bezeichnet, seine Religionslehrer mit vielen kritischen Fragen konfrontiert. Eine gläubige Freundin hat dann alles verändert. Das erzählt er offen auf Instagram. "Weil ich natürlich auch viel mit Menschen zu tun habe, die nicht an Gott glauben", sagt er. "Und dann nehme ich die so ein bisschen mit in meine Geschichte, vom Atheist zum Christ sozusagen."
Auch seine Videos waren anfangs sehr persönlich. Seine Urlaube, seine Frau, seine Hobbys. Doch sein Privatleben öffentlich auszubreiten, um Reichweite zu generieren, das wurde ihm irgendwann zu viel: "Ich hab mich einfach nicht mehr wohlgefühlt. Und das Interessante ist, dass meine Followerinnen und Follower das mir gar nicht krumm nehmen. Sondern ich hab das Gefühl, die sind auch bei mir, weil sie vor allen Dingen Themen rund um Kirche und Glaube interessieren. Und nicht, welchen Toast ich mir zum Frühstück mache."
Landeskirche in BW sucht nach "Sinnfluenzern"
Wie lange er noch Online-Pfarrer bleiben will, lässt Opifanti offen. Seine Stelle und die andere 50-Prozent-Stelle wurden verlängert, weitere Online- Stellen sind aber erstmal nicht angedacht. Die Social-Media-Strategie der Landeskirche sieht das aktuell nicht vor. "Es soll weiter ausprobiert werden, ob sich dieser Sonderdienst mit einer normalen Beauftragung als analoger Pfarrer verbinden lässt und auch bewährt", so die Information durch die Pressestelle.
Es werden aber aktuell zwölf landeskirchliche "Sinnfluenzer" gesucht, die Opifanti unterstützen würde. Das müssen keine Pfarrerinnen und Pfarrer sein, sondern einfach Menschen, die sich aus Überzeugung mit kirchlichen Themen online auseinandersetzen und unter anderem auch auf TikTok zu finden sein sollen. Mehr Online-Präsenz findet Opifanti wichtig für die Kirche. Er selbst will aber nicht mehr rund um die Uhr erreichbar sein. Spätestens um 20 Uhr ist mittlerweile für ihn Schluss. Digital und analog.
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