Immer weniger Menschen hängen an der Kirche und die Religiosität nimmt ab. Das sind die zentralen Ergebnisse der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Es gibt nur wenige Lichtblicke für die Kirchen.
Religiosität spielt in unserer Gesellschaft eine immer kleinere Rolle. Auch die Bindung an die Kirche, sowohl die evangelische als auch die katholische, nimmt ab. Das ist ein zentrales Ergebnis der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die bei der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) in Ulm am Dienstag vorgestellt wurde. Trotzdem erwartet die Gesellschaft laut Studie, dass die Kirchen im sozialen Bereich tätig bleiben, etwa mit Beratungsstellen oder in der Flüchtlingshilfe.
In der Gesamtbevölkerung glaubt nur noch knapp die Hälfte an Gott - oder eine geistige Macht. Bei Protestantinnen und Protestanten tun dies 52 Prozent, bei den Katholischen noch zwei Drittel. Außerdem betet die Hälfte aller Kirchenmitglieder selten oder nie.
Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, er betont: "Wenn Menschen sich aus den Organisationen entfernen, dann lässt auch die religiöse Bindung nach. Das heißt, es ist nicht so, dass Menschen Kirchen verlassen und anderswo religiöse Bindung suchen."
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Grundsätzlich gilt, je jünger die Menschen, desto weniger gläubig sind sie. Doch die Entwicklung wird auch von kulturellen Trends beeinflusst: Die kirchennahe Religiosität zum Beispiel brach mit der 68er-Generation massiv ein, ist aber seitdem auf niedrigem Niveau stabil. Im Sinkflug ist dagegen die individuell-diffuse Spiritualität, die sich mit der Esoterikwelle der 80er und 90er Jahre verbreitete - sie ist für die heutige Jugend kaum noch relevant.
Bald mehr Konfessionslose als Kirchenmitglieder
Derzeit ist laut der Studie noch eine knappe Mehrheit der Deutschen christlich-konfessionell gebunden. Zähle man die Mitglieder aller christlichen Konfessionen, auch der Orthodoxen und Freikirchen, zusammen, machte deren Bevölkerungsanteil Ende 2022 52 Prozent aus. Nach derzeitigem Trend werde 2024 der Anteil der christlich-konfessionell Gebundenen auf unter 50 Prozent sinken. Die Konfessionslosen würden voraussichtlich Ende der 2020er Jahre die 50-Prozent-Marke überschreiten und damit auch die absolute Bevölkerungsmehrheit stellen, sagte Christopher Jacobi, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD.
Bei der Entwicklung von Religiosität spielt die Familie laut der Studie eine kleinere Rolle als bislang angenommen. Dagegen hinterlassen Religionsunterricht, Konfirmation und Kommunion, kirchliche Kinder- und Jugendarbeit deutliche Spuren. "Im Grunde genommen müsste man da noch verstärken, auch durch Angebote nach der Konfirmationszeit", so Kirchenpräsident Jung.
Vertrauen in die Kirche ist gesunken
Das Vertrauen in die Kirche, wie in die meisten anderen Institutionen, ist gesunken - vor allem gegenüber der katholischen Kirche. Während evangelische Mitglieder ihre Kirche vor allem dann verlassen, wenn ihr Glaube an Bedeutung verloren hat, treten Katholikinnen und Katholiken eher aus Ärger über Missbrauchsskandale, hierarchische Strukturen und fehlende Gleichberechtigung aus. Entsprechend unterschiedlich sind die Reformerwartungen an die Konfessionen.
Kirchen sollen sich sozial engagieren
Die Mehrheit der Befragten möchte laut Studie, dass die Kirchen ihre sozialen Einrichtungen und Angebote aufrecht erhalten, so Jung: "In der Tat gibt es eine große Erwartung an die Kirchen - etwa in der Beratungsarbeit. Da kann man auch die Seelsorge hinzufügen. Es gibt nach wie vor auch die Erwartung, dass sich Kirche in schwierigen Bereichen engagiert, in der Flüchtlingsaufnahme zum Beispiel." Es sei nicht so, dass man den Kirchen sage: 'Zieht euch ins Religiöse zurück'. Es gebe stattdessen die Erwartung, dass Kirche in der Gesellschaft erkennbar agiere, insbesondere für Menschen in Lebenskrisen.
Damit sei auch die Erwartung verbunden, dass sich Kirche in gesellschaftliche Debatten einbringt. Mit ihren Diskussionsbeiträgen spiele sie eine wichtige Rolle für die Zivilgesellschaft, ebenso mit ihrer sozialen Arbeit und dem überdurchschnittlich starken ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder. So kommt die Studie zu dem Schluss: Kirchen stärken die Demokratie.