Erste Grundschulen in BW ziehen Bilanz

Schulversuch mit Blümchen - brauchen Kinder noch Noten?

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Autor/in
Friederike Fiehler
SWR-Redakteurin Friederike Fiehler Autorin Bild

Erst- und Zweitklässler an 35 Schulen in Baden-Württemberg bekommen seit Beginn des Schuljahres keine Noten mehr. Ihre Leistung wird anders bewertet – unter anderem durch Blümchen. Kann das Schule machen?

Keine Noten – stattdessen werden Schülerinnen und Schüler unter anderem mit Hilfe von Blümchen-Bildern und regelmäßigen Gesprächen bewertet. Das ist die Idee des Schulversuchs "Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule" (LLR), der zu Beginn des Schuljahres 2022/2023 an 35 Schulen in Baden-Württemberg in den Klassenstufen eins und zwei gestartet ist. Durch die neue Bewertungsart soll die Motivation von Schülerinnen und Schülern gesteigert werden. Klappt das? In knapp zwei Wochen starten die Sommerferien und die ersten Schulen ziehen Bilanz.

Schulversuch: Keine Noten – dafür Kompetenzrückmeldung

Eine der teilnehmenden Schulen ist die Gemeinschaftsschule in der Taus in Backnang (Rems-Murr-Kreis). Für das Projekt zuständig an der Schule sind Laura Prokop und Miriam Walz. Die beiden Lehrerinnen unterrichten in den Klassenstufen eins und zwei. Sie sind überzeugt von dem Schulversuch und sehen klare Vorteile darin, Schülerinnen und Schüler nicht mit Hilfe von Noten zu bewerten. Die Kinder müssten erstmal lernen, sich selbst einzuschätzen, und auch lernen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, so die Lehrerinnen. Das erreiche man nicht mit Noten, sondern durch Gespräche, meint Laura Prokop.

"Es ist ein Irrglaube zu sagen, ein Erstklässler ist schon so reflektiert, dass er seine Stärken und Schwächen komplett einschätzen kann."

Für die Schule war das neue Bewertungssystem keine große Umstellung. "Wir haben uns dafür entschieden, an dem Versuch teilzunehmen, weil wir ja eine Gemeinschaftsschule sind. Die Klassen fünf bis zehn arbeiten bei uns schon in der Art und Weise, also ohne Noten. Wir als Grundschule haben uns daran angedockt", so Miriam Walz. An der Schule gab es bereits vor dem Versuch Lernentwicklungsgespräche, in der Regel zwei pro Schuljahr, bei denen Eltern, Kinder und Lehrkräfte zusammenkommen. Darüber hinaus gibt es sogenannte Lerncoachstunden, ein bis zwei Mal pro Woche, wo mit den Kindern über das Lernen und ihre Entwicklung gesprochen wird.

Blümchen statt Noten

Die größte Veränderung sei gewesen, dass die Klassenarbeiten der Schülerinnen und Schüler in Klasse eins und zwei nun nicht mehr anhand von Punkten und Noten bewertet würden, sondern mit Hilfe einer Illustration einer wachsenden Blume. Die Idee hat sich die Schule selbst ausgedacht. "Das Blümchen ist für die Schülerinnen und Schüler sehr anschaulich. Wir können ihnen gut erklären: Die Pflanze braucht Zeit und Wasser, damit sie gut wachsen kann und am Ende blüht", so die Lehrerinnen.

"Wir erklären den Schülerinnen und Schülern: Manchmal braucht ihr einfach noch Zeit, bis euer Lernerfolg blüht – wie eine Blume."

Das System komme bei den Erstklässlerinnen und Erstklässlern gut an, so Miriam Walz. "Wir haben dann auch mal eine Blume angepflanzt und selbst beobachtet, wie was wächst, das System ist sehr verständlich", sagt Walz.

Blümchen-Versuch: Eltern kritisch, aber doch zufrieden

Von der Elternseite gebe es immer wieder Rückmeldungen und Fragen, so die Lehrerinnen, für sie sei vieles neu. Eines der größten Bedenken sei, wie die Kinder in Klasse fünf - sollten sie auf eine Schule mit Noten wechseln - mit dem Übergang zum Notensystem umgehen würden. Gleichzeitig würden sich die Eltern aber freuen, dass sie viel genauer rückgemeldet bekämen, in welchen Bereichen die Kinder zu Hause noch üben könnten. "Wir sagen den Kindern zum Beispiel: Du kannst mit den Zahlen bis 20 rechnen, das ist eine konkrete Angabe. Wenn man jetzt aber in einer Mathearbeit eine drei hat, ist es für Eltern schwer herauszufinden, was kann mein Kind denn jetzt eigentlich noch nicht so gut?", so Laura Prokop.

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Andere teilnehmende Schulen vergeben keine Blümchen

Andere teilnehmende Schulen handhaben den Schulversuch etwas anders. So zum Beispiel die Beethoven Gemeinschaftsschule in Singen (Kreis Konstanz). Dort werden keine Blümchen vergeben, sondern verschieden farbige Punkte, so Schulleiter Oliver Schmohl. In jedem Fach gebe es viele verschiedene Kompetenzen, so Schmohl, und sobald die Schülerinnen und Schüler eine Kompetenz erlangt habe, bekommen sie dafür in einer Tabelle einen farbigen Punkt. Parallel gebe es auch an der Schule in Singen ausführliche Gespräche zwischen Lehrkräften, Eltern und Kindern. Auch Schmohl ist überzeugt davon, dass ein Gespräch viel mehr aussagen kann als eine Ziffer. "Noten sagen nichts darüber aus, was ein Kind tatsächlich beherrscht und was nicht", meint Schmohl.

"Ich habe von keinem Schüler gehört, dass ihm die Noten fehlen."

Schmohl ist vor allem gespannt, wie der Schulversuch in den Klassenstufen drei und vier weitergeht, wenn die Schulempfehlungen hinzukommen. Die waren bisher notenabhängig. "Der Notendruck in Klasse drei beziehungsweise im ersten Halbjahr der vierten Klasse war schon enorm, vor allem für Schüler, denen nicht alles zugeflogen kommt, oder für diejenigen, die enormen Druck von zu Hause bekommen, das versaut manchen die Schullust", erklärt der Schulleiter.

Auch an der Beethoven Gemeinschaftsschule in Singen war das neue Bewertungssystem keine allzu große Umstellung – auch dort ist die Grundschule an eine Gemeinschaftsschule angegliedert. In der ersten Klasse hatten die Schülerinnen und Schüler der Beethoven Gemeinschaftsschule in Singen auch vor dem Schulversuch keine Noten bekommen.

Auf den Zeugnissen sind keine Blumen zu sehen

Auf den Lernentwicklungsberichten, also den Zeugnissen, die in rund zwei Wochen ausgegeben werden, sind weder Punkte noch Blümchen zu sehen, so die Verantwortlichen an den Schulen. Bei den Zeugnissen werde man mit einem Sternchen-System arbeiten, das sei eine Vorgabe des Kultusministeriums. Darüber ist man an der Gemeinschaftsschule in der Taus in Backnang enttäuscht. Diese Information habe man erst kurz vor den Pfingstferien bekommen. Gerne hätte man dort auch auf den Zeugnissen Blümchen vergeben.

Hintergründe zum Schulversuch – wie funktioniert er?

Der Versuch trägt den Namen "Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule". Er läuft seit Beginn des Schuljahres 2022/2023 an 35 Grundschulen in Baden-Württemberg. Darunter elf im Regierungsbezirk Freiburg, zehn im Regierungsbezirk Karlsruhe, zehn im Regierungsbezirk Stuttgart und vier im Regierungsbezirk Tübingen. Im Versuch bekommen Grundschulkinder von der ersten bis zur vierten Klasse keine Noten. Rückmeldungen zu Leistungen sollen möglichst visualisiert werden. "Wir wollen mit dem Schulversuch untersuchen, wie es sich auswirkt, wenn Schülerinnen und Schüler differenzierte Leistungsrückmeldungen bekommen", sagte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) bei der Auftaktveranstaltung des Schulversuchs im vergangenen Jahr. Eine vorläufige offizielle Bilanz des ersten Schuljahres gibt es vom Kultusministerium bisher noch nicht.

Wie geht es mit dem Schulversuch in den kommenden Jahren weiter?

Begonnen hat der Schulversuch in den Klassen eins und zwei der teilnehmenden Schulen. In den folgenden Schuljahren bis 2025/2026 wird der Schulversuch in den bereits teilnehmenden Klassen fortgeführt und jeweils um die neuen ersten Klassen der Schulen erweitert. Während des Versuchs wird mit dem Ganzjahreszeugnis für die Schülerinnen und Schüler keine Versetzungsentscheidung ausgesprochen. Mit Abschluss der vierten Klasse soll festgestellt werden, ob das Ziel der Grundschule erreicht wurde.

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