Französisch als zweite Fremdsprache - für viele Menschen in BW ein wichtiger Bestandteil der deutsch-französischen Verbundenheit. Auch für Ministerpräsident Kretschmann?
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat am Montag beim Festakt der deutsch-französischen Freundschaft in Ludwigsburg einen Ausblick in die Zukunft gewagt. "In zehn Jahren wird sich jeder einen Knopf ins Ohr setzen - und der übersetzt das simultan, was da gesprochen wird. Das wird so kommen", so der Ministerpräsident bei der Podiumsdiskussion im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Es wäre wichtig, "dass die jungen Leute gut Englisch können". Nicht jeder müsse "ein bisschen Französisch können, und dann kann er noch nicht mal ein Eis bestellen, wenn er in den Urlaub geht", so Kretschmann. Lehrerverbände, der Landesschülerbeirat und ein Vertreter der Opposition kritisieren Kretschmann nun dafür. Die Relevanz, die französische Sprache zu lernen, werde mit dieser Einstellung infrage gestellt.
Philologenverband spricht von "gedanklichen Abwegen"
Insbesondere der Philologenverband Baden-Württemberg, der die Interessen der Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer vertritt, äußerte Unverständnis über Kretschmanns Aussagen. "Auf welche gedanklichen Abwege und bildungsfeindlichen Gedankenspiele kann ein Ministerpräsident eigentlich noch kommen?", so der Verband in einer Pressemitteilung. Er spricht von einer "moralischen Ohrfeige" und einer "Abqualifizierung aller Sprachenlehrkräfte". Das Verlassen auf künstliche Intelligenz (KI) bei der Kommunikation mit anderen Kulturen führe zu einer "Kapitulation des Humanismus vor der KI, wenn man es weiterdenkt", sagten die stellvertretenden Landesvorsitzenden des Verbands, Karin Fetzner und Martina Scherer.
Kritik an Ministerpräsident Kretschmann gab es auch von Seiten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), in der viele Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg organisiert sind. Die Äußerungen Kretschmanns zur zweiten Fremdsprache seien ein "falsches Signal" für die Schulen und die vielen französisch-deutschen Schulpartnerschaften in Baden-Württemberg. Künstliche Intelligenz werde zwar die Kommunikation verändern, für das sinnvolle Lernen einer Fremdsprache brauche es aber das Gespräch untereinander. Die vielen Projekte und Partnerschaften zwischen Kommunen in Frankreich und BW seien ein wichtiges Fundament für Europa, so die Landesvorsitzende der GEW Monika Stein.
Landesschülerbeirat: Sprache wichtig für kulturellen Austausch
Der offiziellen Schülervertretung in der Landespolitik, dem Landesschülerbeirat, ist der Erhalt der deutsch-französischen Freundschaft "unheimlich wichtig" - auch durch das gegenseitige Erlernen der Sprache. Das teilte die Pressesprecherin des Vorstands, Jette Wagler, dem SWR auf Anfrage mit. Allerdings müsse man auch der Wahrheit ins Auge sehen. Viele Schülerinnen und Schüler kommunizieren auf Schüleraustausch in Frankreich lieber auf Englisch mit den Austauschpartnerinnen und -partnern. Auch auf französischer Seite sei Englisch sehr beliebt. Die Sprache würde Französisch in seiner Relevanz im Alltag der Schülerinnen und Schüler einfach überholen. "Durch Social Media ist Englisch einfach überall präsent", so Wagler.
Nach Schüler-Forderung Religionsunterricht: Kretschmann kritisiert Landesschülerbeirat
Der Landesschülerbeirat hatte in seinem Grundsatzprogramm weniger Religionsunterricht und dafür mehr "politische Bildung" gefordert. Der Ministerpräsident hält davon gar nichts.
Dadurch werde das Fach Französisch, aber überhaupt nicht überflüssig. "Man darf auch nicht vergessen, dass es ganz viele Schülerinnen und Schüler gibt, die gerne eine neue Sprache erlernen." Es wäre "unheimlich schade", wenn diese nicht einmal mehr die Wahlmöglichkeit hätten, mindestens noch eine zweite Fremdsprache zu lernen.
Wahl zwischen Latein und Französisch nicht mehr zeitgemäß?
Einen möglichen Schritt hin zu einem aktuelleren Sprachenunterricht sieht das Vorstandsmitglied des Landesschülerbeirats auch in der spanischen Sprache. Bei der Wahl der zweiten Fremdsprache, bei der man sich an BW-Gymnasien meistens noch zwischen Latein und Französisch entscheiden muss, könnte Spanisch eine sinnvolle Ergänzung sein. "Bei Schülerinnen und Schülern ist das Interesse an der spanischen Sprache viel größer", sagt Wagler. "Das bekommen wir in unseren eigenen Schulen mit, hören es aber auch von anderen".
Kretschmann erklärt sich am Dienstag auf Pressekonferenz
Auch ein Vertreter der baden-württembergischen Opposition zeigte sich über die Äußerungen Kretschmanns irritiert. Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei bezeichnet den Vorstoß gegenüber dem SWR als falsches Signal an die Schülerinnen und Schüler. Damit bekämen sie vermittelt, dass man nur noch die Künstliche Intelligenz Chat GPT einschalten müsse. Auf die Thematik angesprochen ordnete der Ministerpräsident seine Aussagen am Dienstag auf einer Pressekonferenz ein.
Deutsch-Französisches Institut in Ludwigsburg Umfrage: Interesse der Deutschen an Frankreich nimmt ab - und umgekehrt
Eine Studie anlässlich des Jubiläums des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg nimmt das deutsch-französische Verhältnis in den Blick - mit ernüchterndem Ergebnis.
So erklärte er, dass er den Französisch-Unterricht nicht abschaffen will. Wenn er bei einer Podiumsdiskussion hocke, dann gebe er dort keine Regierungserklärungen ab, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Sondern er sei da, um eine "muntere" Debatte zu führen, um Anstöße zu geben und "auch mal einen Stein ins Wasser zu werfen". Seine Intention sei es bei der Veranstaltung am Montag gewesen, die Frage zu erörtern, wie man Sprachbarrieren bei Partnerschaftstreffen überwinden könne. Um die Relevanz dieser Überwindung zu unterstreichen, verwies Kretschmann auf eine Studie, die das Deutsch-Französische Institut in Auftrag gegeben hatte. Laut dieser nimmt das Interesse der Deutschen an Frankreich ab - und umgekehrt.
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