In einem Brief an BW-Gesundheitsminister Lucha wehren sich Bürgermeister gegen die Schließung der Notfallpraxen. Der Marburger Bund fordert nun einen Austausch aller Beteiligten.
Nach der Ankündigung der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW), weitere Notfallpraxen in Baden-Württemberg nicht mehr zu öffnen oder zu schließen, gibt es nun Gegenwehr. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der betroffenen Kommunen haben sich in einem Brief an BW-Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) gewandt.
Bürgermeister kritisieren Schließung von Notfallpraxen in BW
"Das bisher von der KVBW im stillen Kämmerlein entwickelte Konzept ist seit der Vorstellung bei einem Abgeordnetenfrühstück bekannt. Ganz offensichtlich wurden aber auch die Abgeordneten vor vollendete Tatsachen gestellt", heißt es in dem gemeinsamen Brief, der dem SWR vorliegt. Und weiter: "Dies und die Kriterien, mit welchen die KVBW etablierte Strukturen zerschlagen will, sind aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar und gesamtpolitisch alarmierend."
Von Gesundheitsminister Lucha fordern sie zudem, sich jetzt rasch der Sache anzunehmen und nicht länger zuzusehen, wie die KVBW den ärztlichen Bereitschaftsdienst in den Städten und Gemeinden "an die Wand" fahre.
BW-Gesundheitsminister hält Schließungspläne für rechtens
Lucha weist dies zurück. "Die Rechtsaufsicht kann nicht einfach so etwas stoppen", sagte er einer Mitteilung zufolge. Mit entsprechenden Forderungen würden wider besseres Wissen in der Bevölkerung Erwartungen geschürt, "die jeglicher rechtlichen Grundlage entbehren". So gebe es etwa keine konkreten Hilfsfristen und auch keine Vorgaben zur Erreichbarkeit von Bereitschaftspraxen.
Lucha teilte zudem mit, er habe die KVBW bereits vor Monaten darauf hingewiesen, dass dort, wo ein Angebot wegfallen werde, gute Alternativen entstehen müssten. Konkret sollten an den verbleibenden Standorten zusätzliche Kapazitäten aufgebaut, das telemedizinische Angebot massiv ausgebaut und ausreichende Kapazitäten für den Fahrdienst geschaffen werden.
Marburger Bund fordert Austausch aller Beteiligten
Nach Angaben der Ärztegewerkschaft Marburger Bund sind die Ärzte in Baden-Württemberg tief besorgt. Deswegen fordern sie von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Schließungen zu verhindern. Das geht aus einem Brief hervor, der dem SWR vorliegt und der auch an Gesundheitsminister Lucha adressiert ist. Die Ärzte fordern darin außerdem, dass die langfristige Ausgestaltung der Notfallpraxen mit allen beteiligten Akteuren diskutiert werden müsse - und zwar auf einem Gipfel.
Diese Diskussion sei notwendig zum Wohle einer guten Versorgung der Patienten. Andernfalls befürchtet der Marburger Bund eine Verschlechterung der aktuell angespannten Lage in den Notfallaufnahmen. Angesichts der öffentlich gewordenen Pläne der kassenärztlichen Vereinigung sprechen die Ärzte von einem nie dagewesenen Einschnitt.
SPD und FDP kritisieren Lucha
Kritik am BW-Gesundheitsminister kommt aus der Opposition des baden-württembergischen Landtags.
So fordert der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch, Lucha müsse alle rechtlichen und politischen Instrumente nutzen, um sicherzustellen, dass die Kassenärztliche Vereinigung auch zukünftig ihrer Verantwortung zur ärztlichen Notfallversorgung nachkommt. "Lucha stiehlt sich aus der Verantwortung - das werden wir nicht hinnehmen", kritisiert der SPD-Landeschef.
Auch die FDP reagiert auf Luchas Aussagen, dass er die Schließung der Notfallpraxen für rechtens halte, kritisch. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Jochen Haußmann, forderte Lucha dazu auf, eine Bestandsaufnahme der KVBW einzufordern. "Wenn er meint, er könnte mit Blick auf die Rechtsaufsicht nichts unternehmen, dann soll er gefälligst als Gesundheitsminister aktiv werden", so Haußmann.
17 Notfallpraxen in BW sollen geschlossen werden
Anlass der Kritik sind Pläne der KVBW, die Zahl der Notfallpraxen in Baden-Württemberg weiter zu verringern. Dabei geht es um 17 Notfallpraxen im Land. Weil zudem auch die Stadt Tettnang (Bodenseekreis) fürchtet, dass die dortige Notfallpraxis geschlossen werden könnte, haben den Brief 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unterzeichnet. Acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen.
Schließung der Notfallpraxen: Kritik an neuer Regelung für Erreichbarkeit
Eine Regelung, die von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern scharf kritisiert wird, bezieht sich auf die Fahrtzeit zu den Notfallpraxen. So sollen Informationen des SWR zufolge künftig mindestens 95 Prozent der Menschen im Land innerhalb von einer halben Stunde Fahrtzeit eine entsprechende Notfallpraxis erreichen können. Der Rest soll innerhalb von 45 Minuten vor Ort sein.
Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kritisieren diese Regelung scharf. Man wisse, dass die KVBW dieses Kriterium nur nachweisen könne, wenn der
Weg mit dem Auto und ohne Verkehrsbeeinträchtigungen zurückgelegt werde. "Dies ist eine massive Benachteiligung der älteren und wenig begüterten Bevölkerungsteile, die kein Auto (mehr) haben", heißt es in dem Schreiben an Lucha.
Gesundheitspolitiker befürchten Überlastung der Kliniken Notfallversorgung in BW: Weitere Notfallpraxen sollen geschlossen werden
Bereits im vergangenen Jahr wurden mehrere Notfallpraxen geschlossen. Nun ist die Schließung von 17 weiteren geplant. Gesundheitspolitiker befürchten überlastete Notaufnahmen.
Die Fahrzeit müsse auch für den öffentlichen Nahverkehr gelten: "Denn wir
sind uns doch sicher einig, dass Notfallversorgung nicht nur für
Autofahrer, sondern auch für Menschen ohne Kfz funktionieren muss."
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