Bereits im vergangenen Jahr wurden mehrere Notfallpraxen geschlossen. Nun ist die Schließung von 17 weiteren geplant. Gesundheitspolitiker befürchten überlastete Notaufnahmen.
Verstauchungen, Schnittwunden oder ein leichtes Stechen in der Brust: Wo sollen Notfälle am Wochenende oder nach Feierabend hin, wenn der Rettungsdienst eine Nummer zu groß ist? Bislang helfen dabei in Baden-Württemberg die Bereitschaftsdienste der Notfallpraxen: Hausärzte, die in ihrem Landkreis den Notdienst übernehmen. Doch hier soll es deutliche Einschnitte geben. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) plant nach SWR-Informationen, weitere 17 Notfallpraxen zu schließen.
Grund ist eine Anpassung der ärztlichen Bereitschaftsdienste an neue Kriterien. So sollen die verbleibenden Notarztpraxen für 95 Prozent der Bevölkerung in 30 Minuten Fahrzeit erreichbar sein, der Rest soll maximal 45 Minuten brauchen. Das geht übereinstimmend aus verschiedenen Informationen hervor, die dem SWR vorliegen.
Kritik von Politik und Verbänden: Kahlschlag für die ambulante Versorgung in BW
Bereits im vergangenen Jahr wurden im Rahmen der "Notbremse" einige der Notfallpraxen in Baden-Württemberg teils dauerhaft geschlossen. Allein im Bereich der Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart soll nun die Schließung von insgesamt 10 weiteren folgen, darunter auch die Notfallpraxis in Brackenheim (Kreis Heilbronn). "Das wäre ein nie dagewesener Kahlschlag in der ambulanten Versorgung in Baden-Württemberg", sagte Florian Wahl, gesundheitlicher Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag.
Das würde die Schließung von 30 Prozent aller allgemeinen Notfallpraxen in eineinhalb Jahren bedeuten, kritisierte Wahl. "Darunter leiden die Kommunen und ganz besonders all diejenigen Patientinnen und Patienten, die besonders dringend versorgt werden müssen."
Auch der Marburger Bund Baden-Württemberg kritisiert die geplante Schließung weiterer Notfallpraxen in BW scharf. Die Schließungspläne seien nicht akzeptabel, heißt es.
Durch eine weitere Einschränkung des ambulanten Notdienstes sei zu erwarten, dass deutlich mehr Patientinnen und Patienten, die bereits seit Jahren überforderten Notaufnahmen weiter belasten.
Wahl fordert Einschreiten von Sozialminister Lucha
Als Sozialminister hat Manfred Lucha (Grüne) die Rechtsaufsicht über die KVBW. Wahl forderte daher, dass Lucha unmittelbar einschreite. Er solle den Vorstand einbestellen und den unverzüglichen Stopp der Schließungspläne einfordern.
Bereits bei der ersten Schließungswelle vergangenes Jahr hätte Lucha einschreiten und seine Aufsichtsfunktion nutzen müssen. Laut Wahl hat er das im Gegensatz zu Sozialministern in anderen Bundesländern jedoch nicht getan, sondern der KVBW sogar noch den Rücken gestärkt.
Auch Patientenschützer forderten ein Einschreiten Luchas. Die flächendeckende Versorgung mit Notfallpraxen liege in Luchas Zuständigkeit, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Es wundere ihn sehr, dass Lucha so tue, als wäre er in der Frage ein Unbeteiligter.
Geschlossene Notfallpraxen könnten zu Überlastung der Kliniken führen
Der gesundheitliche Sprecher der CDU, Michael Preusch, macht sich keine Gedanken um die Versorgung von lebensbedrohlichen Fällen. "Es wird jetzt niemand sterben nur weil eine Notfallpraxis zugemacht hat, es geht nicht um die lebensbedrohliche Versorgung, die ist natürlich durch den Rettungsdienst abgedeckt", so Preusch. Viel mehr bereite ihm die Überlastung der Notfallstrukturen in den Kliniken Sorge.
Die Notfallversorgung an den Kliniken werde im Gegenzug zu den Schließungen der Notfallpraxen ja nicht aufgewertet. Patientinnen und Patienten, die sich unsicher sind, würden bei geschlossenen Notfallpraxen eher in die Notaufnahme fahren. Das könnte die Kliniken in Baden-Württemberg - die sowieso schon stark ausgelastet sind - überlasten. "Die Kliniken sind im Moment nicht in der Lage, diese Mehraufgabe zu leisten", sagte Preusch.
Auswirkungen des "Poolärzte"-Urteils Patientenschützer fordern: Lucha muss wegen Schließung von Notfallpraxen handeln
Immer mehr Notfallpraxen im Land schließen. Nun schlagen Patientenschützer Alarm: BW-Gesundheitsminister Lucha müsse die medizinische Versorgung sicherstellen - insbesondere auf dem Land.
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann, kritisierte das Vorhaben der KVBW ebenfalls: Die Neustrukturierung dürfe nicht dazu führen, dass durch den Wegfall von Anlaufstellen die Patientenzahlen in den Notaufnahmen nicht mehr zu bewältigen seien. "Zum anderen braucht es belastbare Analysen, wie sich die Reform auf die Patientinnen und Patienten auswirkt", sagte Haußmann.
Klinikum Wolfach befürchtet überlaufene Notaufnahmen
Auch die Notfallpraxis in Wolfach (Ortenaukreis) steht auf der Liste der zu schließenden Praxen. Die Versorgungsstelle befindet sich derzeit in den Räumen des Klinikums Wolfach und versorgt nicht nur Einheimische, sondern auch Touristinnen und Touristen.
Von den Plänen der KVBW zeigte sich die Direktorin des Klinikums, Kornelia Buntru, im Gespräch mit dem SWR äußerst überrascht. "Ich bin verwundert, dass die Kassenärztliche Vereingung so krasse Einschnitte macht", sagte Buntru. "Wenn es keine Notfallpraxis mehr gibt, müssen die Wolfacher 40 Kilometer nach Lahr oder Offenburg fahren." Sie befürchtet deshalb, dass viele Kranke und Pflegebedürftige trotzdem weiter in das Klinikum kommen und um Versorgung bitten werden.
Konkreter Plan zur Schließung der Notfallpraxen noch nicht öffentlich
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat am Donnerstagvormittag nach SWR-Informationen skizziert, welche Notfallpraxen an welchen Standorten wegfallen sollen. Von Seiten der KVBW wollte sich bislang niemand dazu konkret äußern.
Die Pressestelle des zuständigen Sozialministeriums verweist ebenfalls auf einen Termin am 21. Oktober, an dem der Plan zur Schließung der Notfallpraxen präsentiert werden soll. Auch in der Sitzung des Sozialausschusses am 23. Oktober soll das Thema zur Sprache kommen. Die FDP hat bereits eine öffentliche Sitzung beantragt.
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