In BW fehlen tausende Plätze für ankommende Asylbewerber. Die Suche nach Standorten für Flüchtlingsunterkünfte ist zäh. Nun rückt ein berühmtes Gelände in Stuttgart ins Visier.
Angesichts der schwierigen Suche nach Standorten für neue Flüchtlingszentren nimmt die baden-württembergische Landesregierung nun weitere Kommunen ins Visier. In Stuttgart prüft das CDU-geführte Ministerium für Justiz und Migration, ob der Eiermann-Campus - der frühere Sitz von IBM Deutschland - für eine Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge geeignet ist. Das bestätigte das Ministerium dem SWR.
Darüber hinaus wird an einem Standort in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) untersucht, ob eine Erstaufnahme für bis zu 2.000 Asylbewerber eingerichtet werden kann. Beide Prüfungen befänden sich noch "in einem sehr frühen Stadium", hieß es. Zugleich dringt das Ministerium darauf, das in Böblingen freiwerdende Klinikareal zu kaufen, um dort eine LEA einzurichten.
Zeitdruck wegen Schließung der LEA in Ellwangen Ende 2025
Baden-Württemberg steht wegen der andauernd hohen Flüchtlingszahlen unter Zeitdruck. Das Migrationsministerium rechnet mit durchschnittlich 27.300 Asyl-Zugängen pro Jahr. Momentan gibt es aber nur 6.300 ordentliche Plätze in der Landeserstaufnahme (LEA) und 7.300 Notkapazitäten zum Beispiel in Messehallen. Die Lage spitzt sich zu, weil Ende 2025 die Unterkunft in Ellwangen (Ostalbkreis) mit 1.050 Plätzen geschlossen werden soll. Zwar werden mehrere Standorte geprüft, doch in den Kommunen gibt es Widerstand gegen solche Flüchtlingsunterkünfte des Landes, in die ankommende Asylbewerber als erstes müssen. Das Migrationsministerium geht davon aus, dass die Menschen im Schnitt fünf Monate in einer LEA bleiben.
Justizministerin mit pragmatischer Lösung BW braucht neun neue Flüchtlingszentren - zur Not auch gegen den Willen der Kommunen
Rund 9.000 Plätze für neu ankommende Geflüchtete fehlen in Baden-Württembergs Kommunen. Justizministerin Gentges hat dafür eine pragmatische Lösung.
Kretschmann verärgert über Hängepartie
In der Regierungszentrale wächst nach SWR-Informationen der Unmut über die Hängepartie, die auch mit der Unentschiedenheit des zuständigen Ministeriums zusammenhänge. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat die zuständige Ministerin Marion Gentges (CDU) dem Vernehmen nach schon mehrfach einbestellt. So drängte der Grünen-Politiker die Ministerin klarzustellen, dass die Regierung zur Not auch gegen den Willen der Kommunen eine Flüchtlingsunterkunft einrichten kann. Angesichts der allgemein kritischen Stimmung in der Bevölkerung zur Migration und der im Juni anstehenden Kommunalwahl tue sich insbesondere die CDU schwer, hier voranzukommen, heißt es bei den Grünen.
Diskussion um Standort in Wahlkreis des Staatssekretärs
Auch wegen des Standortes Fellbach gibt es in der Regierung heftige Diskussionen. Wie der SWR erfuhr, soll das Migrationsministerium den Vorschlag des Regierungspräsidiums Stuttgart in der zuständigen Arbeitsgruppe Anfang Dezember vom Tisch gewischt haben. Das sorgte dem Vernehmen nach auf der grünen Seite der Regierung für Unverständnis. Der Verdacht: Das Ministerium blocke den Plan ab, weil der mögliche Standort im Wahlkreis von Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU) liegt.
Lorek wies den Verdacht von sich. Bei Fellbach habe er sich nicht eingemischt. "Ich habe mich einfach aus dem Verfahren komplett rausgehalten", sagte der CDU-Politiker im SWR. Die anfängliche Absage habe fachliche Gründe gehabt. Zunächst sei von einem Einzelstandort ohne größere Außenanlage die Rede gewesen, der aus Sicht des Migrationsministeriums nicht geeignet gewesen sei. Dann seien in der Nähe liegende Grundstücke hinzugekommen. Deshalb habe sein Ministerium schon Mitte Dezember das Regierungspräsidium um eine "intensive Prüfung" gebeten.
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Lorek will Gespräche auf politischer Führungsebene
Angesichts des Zeitdrucks schlug Lorek vor, dass die Spitzen der Regierung sich in die Entscheidung über die Flüchtlingszentren einschalten. "Politisch brauchen wir meines Erachtens jetzt dringend eine Arbeitsgruppe auf politischer Führungsebene, wo man die einzelnen Standorte durchschauen und auch schauen kann, wie können wir vor Ort den einzelnen Standort beschleunigen oder auch nicht." Die kleinteilige Prüfung von vielen Standorten sei zu aufwändig.
Lorek gilt als Hardliner in der Flüchtlingspolitik und politischer Strippenzieher. Der 46-jährige CDU-Politiker fordert die Ampel-Bundesregierung regelmäßig auf, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen. Im vergangenen Jahr reisten etwa 79.000 Migranten nach Baden-Württemberg ein. Gut 36.000 Asylbewerber und etwas über 19.000 der insgesamt 41.000 ukrainischen Flüchtlinge kamen zunächst in einer der elf Erstaufnahmeeinrichtungen unter. Geflüchtete aus der Ukraine müssen keinen Antrag stellen und lassen sich bei den Ausländerbehörden der Landkreise registrieren. Lorek sagte jüngst zu den Flüchtlingszahlen, weitere Jahre mit Zugangszahlen auf diesem Niveau seien nicht zu stemmen.
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Wegen Geldmangels: Neue Flüchtlingszentren erst in einigen Jahren
Dem Land fehlen nach Schätzungen des Ministeriums mittelfristig 9.000 Plätze für neu ankommende Flüchtlinge in der Landeserstaufnahme. Ministerin Gentges hatte vor kurzem gesagt, es müssten in den kommenden Jahren mindestens neun neue Erstaufnahmezentren entstehen.
In einer gemeinsamen Kabinettsvorlage der Ministerien für Migration und Finanzen, die dem SWR vorliegt, heißt es, die Planungen für die LEA müssten beschleunigt werden, dafür werde auch deutlich mehr Geld gebraucht. Allerdings schränken die Ministerien ein, dass wegen der angespannten Haushaltslage "mit der Inbetriebnahme neuer Erstaufnahmeeinrichtungen zu großen Teilen erst Ende der 2020er Jahre bzw. Anfang der 2030er Jahre zu rechnen" sei.
Bürogebäude in Fellbach wäre wohl schnell umzurüsten
Auch deswegen gab es auf grüner Seite Unverständnis für das anfängliche Nein des Migrationsministeriums zum Standort Fellbach. Zwar sei auch hier eine Nutzungsänderung des im Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks nötig, doch dies könne wegen der als vorrangig betrachteten Unterbringung von Flüchtlingen kein Hinderungsgrund sein.
Die Stadt Fellbach reagierte überrascht. Eine Anfrage der Landesregierung zu einer LEA liege nicht vor, teilte die Stadtverwaltung auf Nachfrage mit. Die Oberbürgermeisterin der Stadt, Gabriele Zull (parteilos), fordert nun Informationen vom Migrationsministerium. In dem Brief an Ministerin Gentges, der dem SWR vorliegt, betonte Zull, dass sie keine Unterlagen habe. Die Berichterstattung über eine Flüchtlingsunterkunft habe viele Fragen, Proteste und Unverständnis ausgelöst.
Die Stadt will die Gegend zum Sanierungsgebiet erklären und Fördermittel vom Bund erhalten. Das Gebiet sei Teil eines Projekts für die Internationale Bauausstellung 2027 und solle "hochwertig" weiterentwickelt werden, sagte eine Stadtsprecherin dem SWR.
Aus Sicht des Regierungspräsidiums und des Finanzministeriums sprechen aber auch diese Pläne nicht gegen die Einrichtung einer LEA in diesem Gebiet. Der Bürokomplex war bis Anfang 2023 an den Autobauer Mercedes vermietet, heißt es vom zuständigen Makler. Für die Aufnahme von Flüchtlingen müssten vor allem sanitäre Anlagen nachgerüstet werden. Die Miete würde demnach etwa 2,75 Millionen Euro im Jahr betragen.
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Migrationsministerium lässt teure Alternativen prüfen
Derweil lässt das Ministerium für Migration andere, wesentlich teurere Alternativen prüfen. So hat man das Klinikareal in Böblingen ins Visier genommen, in dem man bis zu 2.000 Flüchtlinge unterbringen könnte. Doch auch hier gibt es Widerstand - der Landkreis sucht nach einem privaten Investor. Staatssekretär Lorek sagte dazu: "Wir sind natürlich noch weiter daran interessiert."
Nach einer Aufstellung des Finanzministeriums könnte das Land das Grundstück für etwa 52 Millionen Euro vom Landkreis erwerben. Die Kosten für die Sanierung werden auf 275 Millionen Euro geschätzt. Die Klinik würde nach den Plänen schrittweise umgebaut und Mitte der 2030er Jahre fertig sein. Intern wird allerdings auch gefragt, warum das Finanzministerium wegen der immensen Kosten nicht längst abgewunken hat.
Kommt Eiermann-Campus als LEA-Standort infrage?
Darüber hinaus lässt das Migrationsministerium auch klären, ob der seit 2009 leerstehende Eiermann-Campus am Stadtrand von Stuttgart für eine Landeserstaufnahme infrage kommt. Das Ministerium ist demnach mit der Stadt Stuttgart im Gespräch. Das Areal steht derzeit mal wieder zum Verkauf. Auch hier dürfte es größere rechtliche und finanzielle Hürden geben. Eine große Herausforderung bei dem Gelände sind die vier Gebäude, in der IBM bis 2009 seinen Deutschland-Sitz hatte: Sie stehen unter Denkmalschutz und sind stark sanierungsbedürftig. Entworfen hatte die Gebäude der renommierte Architekt Egon Eiermann.
Fünf Standorte werden seit längerem geprüft
Seit längerem werden nach Angaben von Ministerin Gentges derzeit Standorte in Waldkirch (Landkreis Emmendingen), Bruchsal, Pforzheim, Böblingen und Ludwigsburg geprüft. An so gut wie allen Standorten gibt es heftige Diskussionen. In Ludwigsburg hat nun ein Gutachten im Auftrag der Stadt ergeben, dass eine Bebauung des Schanzackers schwierig wäre. Es handelt sich demnach um hochwertige Ackerfläche, für die es noch keinen Bebauungsplan gibt. Das Migrationsministerium hält trotzdem an der Prüfung fest.
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Seit bekannt ist, dass in Ludwigsburg eine Landeserstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete gebaut werden könnte, gibt es viel Widerstand. Vor allem in Tamm und Asperg.
Bisher elf Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge in BW
Es gibt bisher elf Erstaufnahmeeinrichtungen im Land. Neben den Landeserstaufnahmeeinrichtungen in Freiburg, Sigmaringen, Ellwangen und Karlsruhe sind das ein Ankunftszentrum in Heidelberg sowie kleinere EAs (Erstaufnahmestellen). Gentges hatte jüngst in einem Interview mit der "Schwäbischen Zeitung" gesagt, zur Not müsse man den Bau solcher Unterkünfte auch gegen den Willen der jeweiligen Kommune durchsetzen. "Sonst profitiert am Ende die Kommune, die am lautesten Widerstand leistet, und blockiert damit im Ergebnis das ganze System."
In der Kabinettsvorlage von Migrations- und Finanzministerium heißt es nun: "Grundsätzlich wird auch weiterhin angestrebt, Erstaufnahmeeinrichtungen im Einvernehmen mit der Standortkommune einzurichten und zu betreiben." Eine Sprecherin des Migrationsministeriums erläuterte jedoch, es sei rechtlich möglich, solche Unterkünfte ohne Zustimmung der Kommune einzurichten.
BW will künftig Flüchtlingszentren ohne Befristung einrichten
In der Kabinettsvorlage wird klargestellt, dass man anders als in Ellwangen künftig dauerhafte Standorte finden will. "Auf öffentlich-rechtliche Vereinbarungen mit Standortkommunen, die eine feste Laufzeit beinhalten und hierdurch das Land nachteilig hinsichtlich seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung binden, wird verzichtet." Die LEA in Ellwangen soll Ende 2025 aufgrund einer früheren Zusage des Landes nach zehn Jahren geschlossen werden - und das, obwohl der Standort mit relativ geringen Investitionen für die Modernisierung hätte gut weiterbetrieben werden können.
Bürger sollen einbezogen werden - aber nicht bei Entscheidung
Die Landesregierung will bei der Errichtung eines neuen Standorts frühzeitig die Bürgerinnen und Bürger einbeziehen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Aber: "Im Rahmen der Bürgerbeteiligung wird nicht das 'Ob' einer Einrichtung von Erstaufnahmeeinrichtungen, sondern das 'Wie' diskutiert", hieß es.
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