Ministerpräsident Kretschmann will den Bau von Flüchtlingsunterkünften notfalls auch gegen den Willen der Kommunen durchsetzen. Die Unterbringung sei eine Pflichtaufgabe des Landes.
Im Streit um den Bau von Flüchtlingsunterkünften will das Land den Druck auf die Kommunen nach deutlichem Gegenwind notfalls erhöhen. Als letzte Möglichkeit müssten Einrichtungen auch gegen den Willen von Städten und Gemeinden entstehen können, kündigten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und das Justizministerium an.
"Die Landesregierung strebt stets das Einvernehmen mit möglichen Standortkommunen an", erklärte dazu ein Sprecher von Justizministerin Marion Gentges (CDU). Dies sei auch immer gelungen. Er fügte aber hinzu: "Darüber hinaus stehen - auch abhängig von den tatsächlichen und planerischen Rahmenbedingungen eines Standortes - Regelungen und rechtliche Instrumente zur Verfügung, um jedenfalls eine Einrichtung und einen Betrieb zu ermöglichen."
Städtetag warnt vor Eingriffen in die kommunale Planungshoheit
Ein mögliches Instrument wäre neben der sogenannten Legalplanung, mit der Standorte aufwendig per Gesetz bestimmt würden, auch das Baurecht des Bundes. Dort werden die Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte geregelt. Der Städtetag warnte aber davor, den Paragrafen überschwänglich zu nutzen, da die kommunale Planungshoheit verfassungsrechtlich abgesichert sei und ausgehebelt würde, betonte eine Sprecherin in der "Schwäbischen Zeitung".
Ein Flüchtlingsgipfel im Februar sollte die Lage der Städte und Gemeinden verbessern. Einige Kommunen forderten damals, dass die Menschen aus den Krisengebieten besser verteilt werden müssten. Außerdem hätte man in den Rathäusern und Landratsämtern mehr Unterstützung, sprich mehr Geld, benötigt. Doch bei dem Treffen der Länder mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Berlin hatte es diesbezüglich keine festen Zusagen gegeben:
Auch nach Angaben Kretschmanns werden Überlegungen "konkret verfolgt", wie sich das Land im Zweifelsfall gegen die Kommunen durchsetzen könne. Das Land mache die durchgängige Erfahrung, dass der Bau von Unterkünften nicht populär sei. "Wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Das ist eine Pflichtaufgabe", hatte Kretschmann am Dienstag betont. Der Zustrom werde nicht abreißen, "davon bin ich persönlich überzeugt".
Zuletzt hatte der Gemeinderat von Pforzheim eine Erstaufnahmeeinrichtung (EA) für Geflüchtete nach monatelanger Debatte abgelehnt. Auch in Tamm (Kreis Ludwigsburg) war gegen eine Flüchtlingsunterkunft protestiert worden.
AfD: Kretschmann soll demokratische Entscheidungen respektieren
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, Anton Baron, warf dem Ministerpräsidenten vor, im Streit mit den Kommunen weiter zu eskalieren. Kretschmann habe sich dazu entschieden, demokratische Entscheidungswege mit rechtlichen Instrumenten außer Kraft setzen zu wollen, so Baron. Er forderte den Ministerpräsidenten auf, das Votum der Gemeinderäte gegen die Einrichtungen zu respektieren.
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, kritisierte den von der Landesregierung eingeschlagenen Kurs als "Holzhammermethode". Anstatt sich konkret mit den vorgebrachten Gründen zu beschäftigen, reagiere der Ministerpräsident unwirsch und starrsinnig. "So befördert er genau die Ablehnung vor Ort, statt verantwortlich den Dialog zu suchen", so Rülke.
BW-Trend März 2023 Weitere Aufnahme von Flüchtlingen spaltet Baden-Württemberg
Laut einer aktuellen Umfrage stehen viele Menschen einer weiteren Aufnahme von Flüchtlingen skeptisch gegenüber. Das Vertrauen in das Krisenmanagement der Behörden ist gering.
SPD: BW hält Zusagen gegenüber Standortkommunen nicht ein
Der SPD-Sicherheitsexperte Sascha Binder machte Versäumnisse der grün-schwarzen Landesregierung für die angespannte Situation verantwortlich. "Seit 2016 hat Grün-Schwarz keinerlei Reservemöglichkeiten geschaffen", so Binder, "das sorgt für immensen Druck, der so nicht nötig gewesen wäre." Zudem habe das Land in der Vergangenheit Zusagen gegenüber Standortkommunen nicht eingehalten und so seinem Ruf als verlässlicher Partner erheblich geschadet.
Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) wirft dagegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor, keine weiteren Mittel für die Unterbringung Geflüchteter zur Verfügung stellen zu wollen. Faeser hatte erklärt, sie könne Forderungen der Kommunen nach mehr Geld vom Bund nicht nachvollziehen und unter anderem argumentiert, es dürfe "keine Höchstgrenzen für Menschlichkeit geben". Dies gehe an der wirklichen Lage vorbei, so Gentges. Es gehe um objektive Kapazitäts- und Leistungsgrenzen. Oft werde der Raum für die Unterbringung knapp. Die ehren- und hauptamtlichen Helferinnen und Helfer stießen an ihre Belastungsgrenze oder seien bereits darüber.
Im vergangenen Jahr wurden laut Justizministerium 146.000 Menschen aus der Ukraine, 28.000 Asylsuchende und 3.400 Menschen im Rahmen der humanitären Hilfe aufgenommen. In den ersten Monaten 2023 waren Stand Donnerstag bislang weitere 7.000 Menschen auf der Suche nach Asyl sowie 13.000 auf der Flucht vor dem Ukraine-Krieg und 600 weitere, darunter zum Beispiel Ortskräfte aus Afghanistan.
Mehr als zehn Aufnahmestandorte in Baden-Württemberg
Im Land gibt es derzeit mehr als zehn Aufnahmestandorte, darunter das Ankunftszentrum in Heidelberg, in dem bis zu 2.000 Menschen untergebracht werden können, sowie vier Landeserstaufnahmestellen in Ellwangen (Ostalbkreis), Sigmaringen, Freiburg und Karlsruhe. Dort werden die Geflüchteten registriert und gesundheitlich untersucht, bevor sie in Folgeunterkünfte an die Kommunen verteilt und in den Städten und Gemeinden integriert werden sollen.
Außerdem werden fünf Erstaufnahmestellen in Eggenstein-Leopoldshafen, (Kreis Karlsruhe), Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis), Giengen (Kreis Heidenheim), Tübingen und Mannheim geführt. Die EA in Mannheim ist derzeit aber wegen Sanierung außer Betrieb. In diesen Einrichtungen werden schon registrierte Geflüchtete vorläufig untergebracht, bevor sie Kommunen zugewiesen werden. Insgesamt verfügt das Land den Angaben nach über rund 13.200 Plätze für Geflüchtete.
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