Das Kultusministerium überarbeitet den Mathematikunterricht in Baden-Württemberg. Christian Hesse geht es nicht weit genug: Der Stuttgarter Mathe-Professor fordert einen "Wumms".
Der Mathematikunterricht in Baden-Württemberg soll modernisiert werden. Die Bildungspläne aus dem Jahr 2016 würden derzeit überarbeitet und zum kommenden Schuljahr in Kraft treten, teilte das Kultusministerium in Stuttgart mit. Eingearbeitet werden demnach Konzepte wie Datenanalyse und statistisches Denken. Auch Entwicklungen im Bereich der digitalen Bildung würden berücksichtigt, hieß es, beispielsweise bei der Tabellenkalkulation, der Geometrie oder Wahrscheinlichkeitsrechnung.
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Algorithmen besser verstehen und auch anwenden
Darüber hinaus sollen die Lernenden zum Beispiel mehr als bislang erfahren, was Algorithmen sind und wie sie verwendet werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen sie selbst anwenden und entwickeln. Algorithmen bestimmen unter anderem, was für Inhalte in sozialen Medien ausgespielt werden.
Wie eine Sprecherin erläuterte, soll beispielsweise in den Bildungsstandards der Sekundarstufe I (also den Klassenstufen 5 bis 10) ein neuer Kompetenzbereich "Mit Medien mathematisch arbeiten" eingeführt werden. Dieser soll die digitale Bildung deutlich stärker verankern und die Rolle der Mathematik dabei betonen.
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Mathematik-Professor fordert: Lehrplan entrümpeln
Aus Sicht des Stuttgarter Mathematik-Professors Christian Hesse reicht das aber nicht. Er fordert nicht zuletzt angesichts des schlechten Abschneidens deutscher Schülerinnen und Schüler bei der jüngsten PISA-Studie im Fach Mathematik eine grundlegende Reform: "Es müsste ein richtiger Wumms her im Schulwesen in mancherlei Hinsicht", sagte Hesse, der auch zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher zur Mathematik verfasst hat, der Deutschen Presse-Agentur.
Mathematik-Didaktiker fordern unter anderem, dass der Unterricht lebensnäher und praxisorientierter werden müsse. "Das sind die gleichen Vorschläge wie schon nach der letzten und vorletzten PISA-Studie und nichts hat sich geändert", kritisierte Hesse. In der Ende 2023 veröffentlichten PISA-Studie hatten die Schülerinnen und Schüler in Deutschland in den Bereichen Lesen, Mathe und Naturwissenschaften so schlecht abgeschnitten wie noch nie.
Der Unterricht müsste stark entrümpelt werden, etwa ein Viertel der Geometrie gestrichen werden, forderte Hesse. Der Professor für Stochastik sprach sich dafür aus, mehr statistische, datenanalytische und algorithmische Themen zu lehren. Die werden etwa im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) wichtiger.
Experte für 100 Module statt weniger Fächer
Hesse schlug vor, die "Schubladisierung" in gut ein Dutzend Schulfächer aufzubrechen und stattdessen rund 100 Module wie Finanzwissen und Klimawandelkunde anzubieten, von denen manche frei wählbar sind. Darin sollte nicht nur Mathematik unterrichtet werden.
So könnten im Zusammenhang mit Vektoren bestimmte Ameisenarten als Beispiel herangezogen werden, die trotz eines Zickzackkurses auf der Suche nach Futter den schnellsten Weg zurück finden. "Die können Vektoraddition im Kopf rechnen, das können Menschen nicht", machte Hesse deutlich. Anhand dieses Beispiels ließen sich die Funktion von Vektorneuronen beschreiben oder auch aus der Physik, was es mit der Polarisation des Lichts auf sich hat - diese sei nämlich für die Ameisen entscheidend. "Dann wird auch die Sinnfrage auftauchen", sagte Hesse. Anders als bei Fächern wie Sprachen leide die Mathematik stärker darunter, dass der Sinn dahinter hinterfragt werde.
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Forderung nach mehr Geld fürs Schulsystem
Hesse sprach sich darüber hinaus für eine bessere Stellung von Lehrkräften aus. PISA-Spitzenreiter Singapur investiere 20 Prozent des Staatshaushalts in das Schulsystem und die Lehrerbildung. "Prozentsätze in dieser Größenordnung sind bei uns natürlich nicht erreichbar, aber die im vergangenen Jahr bei uns aufgewendeten 4,6 Prozent des Staatshaushalts sind definitiv zu wenig", so der Mathematik-Professor. Das führe zu nicht ausreichender und veralteter Ausstattung an den Schulen und teils zu nicht optimal an neuen Medien ausgebildeten Lehrkräften. Das habe sich im Lockdown während der Corona-Pandemie deutlich gezeigt.
Dabei kritisierte Hesse, dass Deutschland im Vergleich zu viel Geld in den universitären Bereich investiert habe. "Einige der aufgewendeten Gelder wären besser investiert worden, wenn sie für die Aufwertung des Lehrerberufes durch bessere Bezahlung verwendet worden wären."
Kultusministerium: Das Land bezahlt bereits gut
Das baden-württembergische Kultusministerium entgegnete, im europäischen Vergleich bekämen Lehrkräfte in Deutschland, zusammen mit der Schweiz und Luxemburg, die höchsten Gehälter. "Das Land Baden-Württemberg verbeamtet seine Lehrkräfte grundsätzlich und bezahlt sehr gut", erklärte die Sprecherin. Hinzu kämen erhebliche geldwerte Zusatzleistungen wie Kinder- und Familienzuschläge, Pension und Sozialabgabenfreiheit - also deutlich mehr Netto vom Brutto.
Um die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte zu verbessern und die Schulen zu entlasten, gebe es zudem Maßnahmen wie pädagogische Assistenz, "sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung" und datengestützte Unterrichtsentwicklung.
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