Kultusministerin Theresa Schopper will Brennpunktschulen in Baden-Württemberg stärker fördern. Ein Sozialindex soll helfen, diese zu identifizieren.
Nach der Ankündigung von Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), Brennpunktschulen gezielt mit Personal und mehr Geld unterstützen zu wollen, ist nun klar, wie die Schulen genau identifiziert werden sollen. Aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion geht hervor, aus welchen Kriterien der geplante Sozialindex konkret bestehen soll.
Demnach sollen vier Indikatoren künftig bestimmen, ob eine Schule besonderen Unterstützungsbedarf hat: der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die Anzahl der Bücher im Haushalt der Schülerinnen und Schüler, die durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner oder Einwohnerin im Schulbezirk sowie der Anteil der Haushalte ohne Schulabschluss.
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Modellversuch ab 2023/24 in Brennpunktschulen
Der neue Index soll ab kommendem Schuljahr 2023/24 zum Einsatz kommen. Im Bezirk der Schulämter Biberach, Lörrach und Tübingen sollen Schulen mit besonders hohen Indexwerten in einem Modellversuch mit zusätzlichem Geld unterstützt werden.
Nach Angaben des Kultusministeriums werden dafür in den nächsten zwei Jahren rund 690.000 Euro pro Jahr an die Schulen in diesen Bezirken verteilt. Die Schulen können damit dann zum Beispiel zusätzliches Personal anstellen oder etwa mit Lerntherapeuten zusammenarbeiten. Insgesamt stehen laut Ministerium im Haushalt 1,1 Millionen Euro pro Jahr für den Modellversuch bereit.
Darüber hinaus hat das Kultusministerium der Anfrage zufolge fünf weitere Städte identifiziert, in denen der Bedarf nach zusätzlicher Unterstützung besonders hoch ist: Mannheim, Pforzheim, Stuttgart, Singen (Kreis Konstanz) und Heilbronn. Auch aus diesen Städten sollen besonders stark benachteiligte Grundschulen in den Modellversuch aufgenommen werden.
Jeder vierte Viertklässler erreicht beim Lesen nicht Mindestniveau
Hintergrund sind mehrere Bildungsstudien, bei denen Schülerinnen und Schüler im Land schlecht abgeschnitten hatten. So wurde im Herbst bekannt, dass immer mehr Grundschülerinnen und Grundschüler die Regelstandards beim Lesen, Schreiben, Rechnen und Zuhören nicht mehr erreichen. Am Dienstag ergab die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), dass jeder vierte Viertklässler in Deutschland beim Lesen nicht das Mindestniveau erreicht. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) überraschte das wenig, während der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Landesregierung aufforderte zu reagieren.
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Grüne in BW fordern weitere Maßnahmen für bessere Bildung
Aus Sicht der Grünen-Fraktion ist diese sogenannte sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung ein guter Anfang, es brauche aber weitere Maßnahmen. "Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass weitere Maßnahmen folgen und ausgeweitet werden - wie zum Beispiel die flächendeckende Einführung multiprofessioneller Teams und verpflichtende Sprachtests für Vierjährige", sagte die Grünen-Beauftragte für Bildungsgerechtigkeit, Susanne Aschhoff.
Laut dem Hauptgeschäftsführer des Dachverbands Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Oliver Barta, ist die Zuweisung ein längst überfälliger Schritt. "Wir können es uns weder gesellschaftspolitisch noch volkswirtschaftlich leisten, all die Potenziale von Kindern und Jugendlichen ungenutzt zu lassen", sagte er. Wegen der bestehenden Problemlagen und eklatanten Leistungsdefizite in Grundschulen müsse früh und gezielt investiert werden. Das schaffe Chancengerechtigkeit und verspreche die "beste Bildungsrendite".
GEW fordert "mutige Bildungspolitik"
Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) reichen die Maßnahmen nicht: Angesichts der alarmierenden Befunde und Studien müsse mehr getan werden, um Kinder und Jugendliche zu fördern und den Nachwuchs in Baden-Württemberg fit für die Zukunft zu machen. Allerdings überzeugten die Ideen der Landesregierung bisher nicht.
Denn statt eines ernsthaften Stufenplans präsentierte die Regierung einen "Mini-Modellversuch", um Zeit zu gewinnen bis zur nächsten Landtagswahl. "Mutige Bildungspolitik findet man derzeit nur in anderen Bundesländern", sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein.
Doch um Ressourcen sozialindexbasiert verteilen zu können, müssten die entsprechenden Ressourcen erst einmal vorhanden sein, kritisierte sie weiter. "Derzeit gibt es an den Grundschulen nicht einmal genug Lehrkräfte für den Pflichtbereich." Um die zusätzlichen Ressourcen für die nachweisbar benachteiligten Kinder und Jugendlichen zu schaffen, würden 1.900 Stellen benötigt.
SPD kritisiert "Umsetzung im Schneckentempo"
Wenig überzeugt ist auch die SPD. Die Oppositionsfraktion wirft der Regierung eine "Umsetzung im Schneckentempo" vor, die daran zweifeln lasse, dass sie den Ernst der Lage wirklich erkannt habe. "Mini-Modellversuche, von denen auf Jahre gesehen nur ein Bruchteil der Schülerinnen und Schüler profitiert, sind schlicht und ergreifend zu wenig", sagte die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Katrin Steinhülb-Joos.
Laut Kultusministerium sollen mithilfe des Sozialindex auch weitere Maßnahmen gezielt im Land verteilt werden. Er soll zum Beispiel künftig als Entscheidungsgrundlage dafür dienen, an welchen Schulen Pädagogische Assistentinnen und Assistenten zum Einsatz kommen, Stellen für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im pädagogischen Bereich angeboten werden. Außerdem soll der Sozialindex mitentscheiden, an welchen Grundschulen die Erprobung multiprofessioneller Teams stattfinden wird.
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