Viele Musliminnen und Muslime in Mannheim sorgen sich, dass sie nach dem tödlichen Messerangriff unter Generalverdacht geraten könnten. Ein Stimmungsbild aus der Innenstadt.
Fast eine Woche nach der tödlichen Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz ist das brutale Vorgehen des Attentäters nach wie vor großes Gesprächsthema in der Stadt - auch bei vielen jungen Muslimen.
Messerangriff in Mannheim: Bundesanwaltschaft ermittelt
Die Bundesanwaltschaft ermittelt und vermutet ein islamistisches Motiv des 25-jährigen tatverdächtigen Afghanen. Der Polizist Rouven Laur war auf dem Mannheimer Marktplatz von dem Angreifer mit einem Messer niedergestochen worden und erlag später seinen Verletzungen. Der 25 Jahre alte mutmaßliche Täter wurde danach von einem weiteren Polizisten angeschossen und konnte noch nicht vernommen werden.
"Klein-Istanbul" in Mannheimer Innenstadt
In unmittelbarer Nähe des Tatorts, dem Mannheimer Marktplatz in der Innenstadt, gibt es viele türkische und arabische Geschäfte: Juweliere, Läden für Hochzeitsmoden, Restaurants und Bäckereien. In Mannheim heißt das Viertel "Klein-Istanbul". Keine 200 Meter vom Marktplatz entfernt stehen Hassan und Mekin auf der Straße beisammen. Beide sind Muslime, in Mannheim geboren und aufgewachsen. Sie sind sofort bereit, mit dem SWR über den Messerangriff zu sprechen. Es sprudelt förmlich aus ihnen heraus. Hassan ist selbständiger Kaufmann, er betreibt ein kleines Geschäft. Der 26-jährige war bei der tödlichen Messerattacke am Freitag ganz in der Nähe, für das Verhalten des fast gleichaltrigen Afghanen hat er überhaupt kein Verständnis.
Messerangriff in Mannheim: Muslim vermutet, Täter sei "ein Psychopath"
Auch sein Freund Mekin (25) findet klare Worte für das Geschehen. Der Angreifer sei wohl "ein Psychopath", vermutet er, es sei "die Tat eines Einzelgängers". Normalerweise würden die Menschen in seiner Generation doch alle zusammenhalten, egal ob sie nun Deutsche, Türken oder Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak seien. Man kenne und respektiere sich.
Riss in der Stadtgesellschaft? Nach Messerangriff in Mannheim: Pfarrerin vertraut auf Austausch der Religionen
Bei einem Messerangriff durch einen mutmaßlichen Islamisten kam am Freitag ein Polizist ums Leben. Was heißt das für das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen in der Stadt?
Mekin hat Videos von der Messerattacke des tatverdächtigen Afghanen in den sozialen Netzwerken im Internet gesehen und mit Freunden darüber gesprochen. Der Mann sei radikal, sagt Mekin. Und genau diese Radikalität lehne er grundsätzlich ab, egal ob sie nun "in Fußballvereinen oder in Glaubensgemeinschaften" ausgelebt werde.
Muslima befürchtet, wegen Messerangriff unter Generalverdacht zu geraten
Einige Meter weiter schlendern zwei junge Frauen über den Bürgersteig, schieben ihre Sprösslinge im Kinderwagen vor sich her. Es sind die Schwestern Fatma und Yasemin (Namen von der Redaktion geändert). Beide tragen Kopftuch. Auch sie sind in der Rhein-Neckar-Region fest verwurzelt. Beide wurden in Mannheim geboren, haben hier studiert und ihre Ausbildung gemacht. Mit ihren Familien leben sie in der Innenstadt. Bei ihren täglichen Besorgungen kämen sie immer am Marktplatz vorbei, erzählt Fatma. Ihr Blick falle dann auf das Blumenmeer am Marktplatzbrunnen, mit dem die Menschen in der Stadt ihre Trauer zum Ausdruck brächten. Das stimme sie sehr traurig. Fatma plagen aber auch Ängste. Sie befürchtet, dass die Tat ein negatives Schlaglicht auf ihre Glaubensschwestern und -brüder werfen könne. Viele Menschen sähen sich doch jetzt in ihren Vorurteilen gegenüber Muslimen bestätigt, sagt sie.
"Islam soll doch eigentlich Frieden statt Terror bringen"
Ihre Schwester Yasemin ist ähnlicher Meinung. Auch Yasemin hat der Tod des jungen Polizisten zutiefst bewegt. Die 29-Jährige hat sich viele Gedanken über die Tat gemacht. Der Islam solle doch eigentlich Frieden statt Terror bringen, erklärt die junge Mutter. Das zu betonen, sei ihr sehr wichtig. Dabei könne sie es irgendwie verstehen, wenn Bürger jetzt mit Unbehagen reagierten. Was Yasemin außerdem bewegt:
Yasemin will nicht missverstanden werden. Ihr sei Solidarität mit Menschen in Not durchaus wichtig, sagt sie, aber es seien eben einfach "zu viele".
Muslim: "Pax Europa"-Stand auf Marktplatz "eine Provokation"
Ein junger Muslim, der in einem Bekleidungsgeschäft unweit des Marktplatzes arbeitet und unerkannt bleiben will, bringt ebenfalls seine tiefe Betroffenheit zum Ausdruck. Aber er äußert auch Kritik. So habe er es als "Provokation" empfunden, dass ausgerechnet auf dem Marktplatz im türkischen Viertel ein islamkritischer Stand der umstrittenen "Pax Europa"-Bewegung (BPE) habe aufgebaut werden dürfen.
Gedenkminute auf dem Marktplatz in Mannheim
Am Freitag haben Tausende Menschen auf dem Mannheimer Marktplatz an einer Schweigeminute für den getöteten Polizisten Rouven Laur teilgenommen, darunter auch die Familie des Opfers, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sowie Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU). Alle auf dem Marktplatz Versammelten hielten um 11:34 Uhr in stiller Trauer inne. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich vor einer Woche das Verbrechen ereignet.
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