Kommunen rechnen mit Klagewelle

Zahl der Gerichtsverfahren wegen Kita-Rechtsanspruchs in BW hat sich verdoppelt

Stand
Autor/in
Henning Otte

Berufstätige Eltern im Land bekommen immer öfter Probleme, weil sie für ihre Kinder keinen Kita-Platz erhalten. Besserung ist nicht in Sicht. Kommunen befürchten eine Klagewelle.

Immer mehr Eltern, die keinen Kita-Platz für ihre Kinder bekommen, ziehen in Baden-Württemberg vor Gericht. Nach einer Umfrage des SWR bei den zuständigen vier Verwaltungsgerichten hat sich die Zahl der Verfahren zum Kita-Rechtsanspruch zuletzt fast verdoppelt. Sie stieg von 55 in 2021 auf 102 im vergangenen Jahr. Mehr als die Hälfte der Verfahren (55) entfallen auf den Regierungsbezirk Stuttgart. Am wenigsten Klagen (7) gab es in Südbaden, wo das Verwaltungsgericht Freiburg zuständig ist. Allerdings bekamen längst nicht alle Eltern, die für ihre Kinder klagten oder Eilanträge stellten, Recht. Denn der Anspruch eines Kindes wird in jedem Einzelfall neu bewertet und hängt auch davon ab, ob beide Eltern berufstätig sind.

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Verwaltungsgerichtshof stärkt Familien den Rücken

Die Kommunen befürchten wegen des akuten Mangels an Erzieherinnen und Erziehern sowie zehntausender fehlender Betreuungsplätze in diesem Jahr eine wahre Klagewelle. Wie der SWR erfuhr, erwarten viele Stadt- und Landkreise, dass ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württembergs aus dem Dezember noch mehr Eltern ermutigen wird, den Anspruch für ihre Kinder juristisch durchzusetzen. Der VGH hatte zugunsten eines berufstätigen Paars aus Böblingen und ihrer Tochter entschieden, dass der Anspruch auf einen Kita-Platz selbst dann erfüllt werden muss, wenn der Landkreis das wegen des Fachkräftemangels für unmöglich hält.

Kultusministerium will in Mangellage gegensteuern

Die Landesregierung sieht das Kita-Problem und will mit Maßnahmen gegensteuern. Kultus-Staatssekretär Volker Schebesta (CDU) sagte dem SWR: "Dass sich die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zum Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz verdoppelt haben, ist ein weiteres Symptom des aktuell bestehenden Fachkräftemangels und des weiter zunehmenden Betreuungswunsches seitens der Eltern." Das Kultusministerium habe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Dabei gelte es, "die Balance zu halten zwischen der Belastung der Erzieherinnen und Erzieher sowie dem Betreuungsbedarf der Eltern. Denn es hilft uns nicht, wenn wir das belastete Personal zugunsten längerer Öffnungszeiten strapazieren und sie dadurch das Berufsfeld verlassen."

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Heftige Debatte um Lösungsansätze entbrannt

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Verständnis für die Eltern, sieht aber die Kommunen in der Pflicht, hier Lösungen zu suchen. "Es ist deren Aufgabe, nicht meine", hatte der Grünen-Politiker am Dienstag gesagt. Die Kommunen seien als Träger für Personal und auch die Öffnungszeiten der Einrichtungen zuständig. "Natürlich ist das dramatisch für Eltern, wenn das abgekürzt wird", sagte Kretschmann. Städte und Gemeinden müssten nun abwägen zwischen Quantität und Qualität der Betreuung.

"Ich kann mir die Erzieherinnen genauso wenig herbeizaubern wie irgendjemand anderes."

Die Kita-Plätze seien in den vergangenen zehn Jahren, seit der Rechtsanspruch besteht, um fast 80 Prozent erhöht worden, so Kretschmann. "Wir tun, was wir können, aber es sind mancherorts eben doch zu wenige." Er forderte die Kommunen auf, das Problem aber ernst zu nehmen.

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger wollte das offensichtlich nicht auf sich sitzen lassen. Er plädierte für einen "ernsthaften Dialog", wie man mit den verfügbaren Ressourcen die bestmögliche Lösung für Familien anbieten könne. "Ein einfaches Fingerpointing in Richtung der Kommunen hilft jedoch nicht. Vielmehr gilt auch für die Kinderbetreuung: Politik beginnt beim Betrachten der Realität", erklärte Jäger.

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