Ab Samstag rollen zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen wieder die Züge. Aber zahlreiche Baustellen kommen erst noch. Diese sind notwendig, sagt die Bahn - aber schlecht geplant, sagen Kritiker.
Das ist ungewöhnlich: Bockwürste am Bahnhof von Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) - kostenlos von der deutschen Bahn. Direkt in die Hand der Fahrgäste. 1.852 Bratwürste verteilt die Bahn hier am Freitagvormittag - eine Art Wiedergutmachung für 1.852 Stunden Streckensperrung zwischen Waiblingen und Stuttgart Bad Cannstatt. 11 Wochen Vollsperrung und weitere Wochen mit Einschränkungen sind endlich vorbei. Doch spricht man mit Verkehrsexperten, können die "Trostwürste" kaum darüber hinwegtäuschen, wie viele Probleme die Bahn zurzeit hat, wenn es um das Baustellenmanagement auf der Schiene geht.
- Diese Baustellen kommen auf die Baden-Württemberger zu
- Experten bescheinigen schlechte Baustellenkoordination
- Darum sind die Baustellen notwendig
- Generalsanierung der Bahn bis 2030
Von Baustelle zu Baustelle
Denn an ein Durchatmen dürfte für Pendlerinnen und Pendler im Großraum Stuttgart erst mal nicht zu denken sein. Direkt zum Ende der großen Baustelle zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen kommt nur wenige Kilometer weiter die nächste: Tunnelsperrung auf der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen. Das sind Fahrgäste schon gewohnt, diese Sperrung gibt es schon seit Jahren jeden Sommer. Wie bei Bad Cannstatt geht es auch im Tunnel um den Ausbau des digitalen Schienenknotens in Stuttgart.
Umfangreiche Fahrplanänderungen Stuttgart: S-Bahn-Stammstrecke in den Sommerferien erneut gesperrt
Die S-Bahn-Stammstrecke in Stuttgart wird während der Sommerferien erneut gesperrt. Damit verbunden sind weitreichende Fahrplanänderungen.
Dazu kommen noch Baustellen und Sperrungen zwischen Tübingen und Nürtingen (Kreis Esslingen), über einen Monat fahren dort keine Züge mehr. Eine große Einschränkung für Pendlerinnen und Pendler in Richtung Stuttgart. Eigentlich gibt es eine Alternativstrecke von Tübingen über Herrenberg (Kreis Böblingen) nach Stuttgart. Doch auch dort ist gesperrt. Denn die sogenannte Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen (Kreis Konstanz) wird ausgebaut. Die Folge: kein Zugverkehr zwischen Böblingen und Singen. Auf all diesen Abschnitten gibt es nur einen Ersatzverkehr mit Bussen. Und im Herbst folgen Bauarbeiten bei Untertürkheim, zwar keine Sperrung, aber zumindest mit Einschränkungen im Bahnverkehr. Von Baustellen im neuen Jahr bei Böblingen oder fünf Monate Sperrung zwischen Mannheim und Frankfurt ganz zu schweigen.
Die Bahn erklärt dazu gegenüber dem SWR: "Klar ist: Die aktuelle betriebliche Lage ist weder für uns, noch für Reisende und Eisenbahnverkehrsunternehmen akzeptabel." Aber die Bahn modernisiere und erneuere deutschlandweit 2023 rund 2.000 Kilometer Gleise, 1.800 Weichen, 200 Brücken und 650 Bahnhöfe.
Experten bescheinigen der Bahn schlechtes Baustellenmanagement
"Bei aller Sympathie für die Bahn und auch für die Deutsche Bahn: Man muss sich manchmal wirklich an den Kopf schlagen und sich fragen, wie eigentlich geplant wird, dass eben manchmal das Maximum an Beeinträchtigung gemacht wird, statt die Dinge aufeinander abzustimmen", ärgert sich Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und dort Abgeordneter des Wahlkreises Nürtingen/Fildern. "Man könnte, und man müsste da vielmehr bündeln, also mehr gleichzeitig machen."
Als Beispiel nennt er Baustellen auf der Gäubahnstrecke, über die man von Stuttgart nach Singen, aber auch nach Tübingen kommt. Dort hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Unterbrechungen gegeben. Einmal gab es eine Sperrung wegen Gleisarbeiten. "Dann war die Strecke wieder kurzzeitig offen, und dann kam DB Station und Service und hat die Strecke wieder gesperrt, weil sie einen Bahnsteig verlängert haben." Beide Maßnahmen auf dem gleichen Streckenabschnitt an der gleichen Strecke. Matthias Gastel hatte damals eine Anfrage an die Bahn gestellt, warum das nicht koordiniert stattgefunden hat. Die Antwort: "'Wir wussten jeweils nichts vom anderen'", zitiert Matthias Gastel. Seit Jahren kritisiert er, dass unterschiedliche Gewerke der Bahn unabhängig voneinander die Baustellen einrichten.
Werden Baustellen nicht untereinander koordiniert?
Die Bahn widerspricht dem: "Wenn wir Maßnahmen verschieben und mit anderen bündeln können, tun wir das", heißt es auf SWR-Nachfrage. Gleichzeitig setze man auf vorausschauende Instandhaltung ohne zusätzliche Einschränkungen für Reisende, so die Bahn weiter.
Aber auch Matthias Lieb, der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland in Baden-Württemberg, macht seine Beobachtungen zur Baustellenpolitik der Bahn. "Natürlich macht man in den Sommerferien Bauarbeiten, wenn der Pendler- und Schülerverkehr weg ist. Aber man stellt fest, dass Baustellen nicht übergreifend geplant werden."
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Bahn-Baustellen: Oft zu kurzfristig und tägliche Änderungen
Sowohl Matthias Lieb als auch Matthias Gastel stellen fest, dass die Baustellenplanung oft kurzfristig passiere. Im Fall der Baustelle zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen, die jetzt zu Ende geht, sei das besonders extrem gewesen. Aber auch sonst wäre "mit mehr Zeit eben viel möglich", erklärt Gastel. "Zum einen in der Organisation der Betroffenen, aber eben auch in der Abstimmung der Bautätigkeiten an sich." So würden Baustellen oft kurzfristig angekündigt werden, "sodass sich die Verkehrsunternehmen sowohl im Güterverkehr wie auch im Personenverkehr sich kaum darauf einstellen können."
"Man muss sich zurzeit jeden Tag erneut über den aktuellen Fahrplan informieren", bestätigt auch Matthias Lieb. "Man kann sich schlicht nicht auf gewohnte Muster verlassen." Denn nahezu wöchentlich werde irgendwo eine neue Baustelle mit veränderten Fahrplänen eingerichtet, die sich dann wieder auf die Fahrpläne im ganzen Land auswirken würden.
Alle sind sich einig: Baustellen sind notwendig
"Man hat viele Dinge schleifen lassen", so Lieb. Gewinne der Bahn seien jahrelang nicht reinvestiert worden. Stattdessen habe man Infrastruktur abgebaut, um Geld zu sparen. Trotzdem wurden noch mehr Züge auf die Strecke geschickt. "Jetzt fängt man erfreulicherweise an gegenzusteuern. Aber natürlich sind das die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte." Das bestätigt auch Gastel. "Das führt zu Verspätungen, weil einfach die Strecken überlastet sind. Und es ist auch eine enorme Herausforderung, Baustellen zu organisieren, weil Ausweichstrecken praktisch nicht verfügbar sind, weil die eben auch sehr stark ausgelastet sind."
Auch die Bahn erklärt auf SWR-Nachfrage: "Nachdem jahrelang zu wenig Mittel dafür geflossen sind, haben wir jetzt so viele Baustellen wie noch nie, bis zu 1.000 sind es an Spitzentagen." Denn die Nachfrage im Personen- als auch im Güterverkehr sei in den letzten Jahren stark gestiegen. Zum anderen baue man im Schienenenetz "auf Rekordniveau. Beides zusammen, Nachfrage und hohes Bauvolumen, schafft das Schienennetz nicht mehr."
Generalsanierung der Bahn bis 2030
Die Bahn will das überlastete Schienennetz in diesem Jahrzehnt zu einem Hochleistungsnetz ausbauen. Modernere Anlagen sollen die Anzahl der infrastrukturbedingten Störungen deutlich reduzieren und zusätzliche Überholmöglichkeiten für Züge sollen für mehr Flexibilität im Betriebsablauf sorgen. Dafür sollen die jeweiligen Strecken mit einer Generalsanierung innerhalb weniger Monate modernisiert werden. 2024 wird die Riedbahn in der zweiten Jahreshälfte zwischen Frankfurt am Main und Mannheim für rund fünf Monate gesperrt.
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