Auch in Heilbronn spürte man bei den jüngsten Wahlergebnissen einen "Rechtsruck". Während das manchen Migranten Sorgen macht, sind andere wiederum gelassen, wählen selbst die AfD.
Nach den Europa- und Kommunalwahlen war in vielen Medien von einem "Rechtsruck" in Deutschland die Rede. Auch in Heilbronn deckt sich das Wahlergebnis mit dem Bundestrend. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in Heilbronn liegt bei rund 60 Prozent. Wie sehen sie diese Entwicklung und woran könnte es liegen, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund rechte Parteien wählen? Eine mögliche Antwort: Die Politik während der Corona-Pandemie, glaubt Evangelos Goros, Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft "Diaphania". Das zeigten zumindest seine Gespräche mit vielen Migranten.
Hoffnung, die Menschen zurückzugewinnen
Mesut Kavalli hat seine Kindheit in der Türkei verbracht, kam in den 90er-Jahren nach Deutschland und lebt in Heilbronn. Er selbst sagt, in seiner Kindheit sei er in der Türkei religiös und nationalistisch erzogen worden. "Ich war kein Demokrat", gibt er im SWR-Gespräch zu, als er davon spricht, mit welchen Gedanken er nach Deutschland kam. Es habe Jahrzehnte gedauert, dieses "Gift", wie er es nennt, loszuwerden. Doch gerade seine eigene Entwicklung stimmt ihn heute optimistisch.
Inzwischen arbeitet er antidemokratische Geschehnisse in der Türkei auf und setzt sich aktiv mit der NS-Vergangenheit der Stadt auseinander, in der er lebt: Heilbronn. Damals habe auch hier der "reine rassistische Gedanke" vorgeherrscht. Doch auf lange Sicht habe er sich nicht durchsetzen können und, so glaubt Kavalli, werde das auch künftig nicht können.
Er glaubt daran, dass man die Menschen zurückgewinnen könne. Wie das geht? Vor allem durch Empathie. Die Menschen müssten sich untereinander wieder verstehen lernen, die Lebensumstände des jeweils anderen verstehen. Trotzdem sieht er in den jüngsten Wahlergebnissen deutschlandweit eine Gefahr für die Demokratie, für die er sich einzusetzen versucht.
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Die Gesellschaft hat sich verändert – die Politik muss handeln
Auf Empathie setzt auch Evangelos Goros. Er ist der Vorsitzende der Europäischen Gesellschaft "Diaphania", die sich seit 20 Jahren für Völkerverständigung und Integration einsetzt. Auch er kam in seiner Jugend aus Griechenland nach Deutschland und lebt inzwischen in Heilbronn. Ihn stimmen die Wahlergebnisse traurig, sagte er dem SWR. Seit Jahrzehnten setze er sich für Begegnung und Austausch ein, doch das werde immer schwieriger.
Einerseits glaubt er, "die Wohlstandsgesellschaft wird egoistischer". Es fehle der Blick über den Tellerrand hinaus zu den Mitmenschen. Hier spiele die schon von Mesut Kavalli angesprochene Empathie eine wichtige Rolle. Doch auch die Schulen müssten seiner Ansicht nach mehr für die Integration tun. Denn laut Goros hat das Thema Integration hier in der Vergangenheit einen höheren Stellenwert gehabt. Er wünscht sich wieder mehr Integrationsarbeit an den Schulen. Denn würden die Kinder nicht integriert - egal ob Migrantinnen und Migranten oder Deutsche am Rande der Gesellschaft - würden ihnen andere die Hand reichen, beispielsweise extremistische Religionsgruppen sowie rechtsradikale Organisationen.
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Zu guter Letzt kritisiert Goros aber auch die amtierende Regierung. Diese müsse für die Probleme der Gesellschaft Lösungen finden und das gemeinsam mit der Gesellschaft. Dann hätten die politischen Ränder, die Extremen, keine Chance mehr, ist sich Goros sicher. Denn viele Migranten, die er kennt, die jetzt zum Beispiel die AfD gewählt haben, geben genau das als Grund für ihre Wahlentscheidung an: Unzufriedenheit mit der Politik.
Viele Migranten wählen AfD aus Unzufriedenheit mit der Regierung
Diese Unzufriedenheit, vor allem in Sachen Migrationspolitik, hat auch einen weiteren Heilbronner mit Migrationshintergrund bei seiner Wahlentscheidung maßgeblich beeinflusst - er möchte anonym bleiben. Der Mann ist im Ausland aufgewachsen und lebt seit den 80er-Jahren in Deutschland und in Heilbronn - viele Parallelen zu Kavalli und Goros also. Er habe früher die SPD gewählt, auch mal die Grünen, sagt er im SWR-Gespräch. Vor allem mit der aktuellen Migrationspolitik sei er aber überhaupt nicht zufrieden. Auch deshalb habe er diesmal der AfD seine Stimme gegeben und freue sich auch über das Wahlergebnis, erklärt er weiter.
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Er sieht vor allem im Islamismus eine Gefahr für Deutschland und nennt eine Demonstration in Hamburg im April als Beispiel, bei der die Demonstrierenden zum Teil auch ein Kalifat forderten. Sorgen, dass auch er irgendwann beispielsweise von Abschiebung oder weiteren Folgen einer potenziell rechten Regierung betroffen sein könnte, hat er nicht. Er beruft sich auf Aussagen der AfD, die nur kriminelle Migrantinnen und Migranten oder die, die sich nicht an das Grundgesetz halten oder ausschließlich von Sozialleistungen lebten, abschieben will. Das betreffe ihn und seine Familie nicht, erklärt er seinen Standpunkt.
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