Es klingt kurios: Weil in Norddeutschland zu viel Windenergie erzeugt wird, sollte am Freitagmorgen in BW Strom gespart werden. Grund sind fehlende Stromtrassen in den Süden.
Zum dritten Mal in diesem Jahr waren die Menschen in Baden-Württemberg am Freitagmorgen zum Stromsparen aufgerufen. In der Zeit von 6 bis 8 Uhr sollten Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Stromverbrauch möglichst reduzieren, informierte der Netzbetreiber TransnetBW über die App "StromGedacht". Dann sollten etwa Laptops nur mit Akku benutzt und keine E-Autos geladen werden. Es bestand aber keine Gefahr von Stromabschaltungen, hieß es.
Warum immer wieder zum Stromsparen aufgerufen wird und ob die Aufrufe Erfolg haben, erklärt Claudia Halici von TransnetBW im SWR-Interview:
Zur Netzstabilisierung muss Strom importiert werden
Hintergrund für die immer wieder stattfindenden Aufrufe ist, dass zu viel Windenergie im Norden von Deutschland entsteht. Dadurch entsteht ein Druck auf das gesamte Netz, der ausgeglichen werden muss. Weil die Netze nach Süden nicht ausreichend ausgebaut sind, musste TransnetBW daher auch am Freitag mehrere Hundert Megawatt aus Reservekraftwerken und der Schweiz beziehen.
1.700 Megawatt zusätzliche Leistung wurden laut einer Sprecherin aus dem Nachbarland besorgt. Redispatch nennt man das. Die Kosten dafür werden am Ende auf die Verbraucher und Verbraucherinnen umgelegt. Zur Einordnung: Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 hat eine Leistung von 1.400 Megawatt.
Wird in Norddeutschland besonders viel Strom erzeugt, hat das Auswirkungen auf das gesamte Stromnetz in Deutschland - und somit auch auf Baden-Württemberg. Das Netz muss stabilisiert werden. Wie genau das abläuft, wird hier erklärt:
TransnetBW rief am Sonntag zum Einsparen auf Wieso BW Strom sparen soll, wenn im Norden der Wind weht
Am Sonntag gab es eine kritische Situation bei der Netzstabilität im Land. Das Kuriose: Der Grund war zu viel Windenergie in Norddeutschland. Die Gefahr eines Stromausfalls habe jedoch nicht bestanden.
FDP kritisiert schleppenden Ausbau der Stromnetze
Bislang hatten solche Sparaufrufe keine signifikante Auswirkung auf den Stromverbrauch, heißt es in einer Antwort des Umweltministeriums auf einen Antrag der FDP-Fraktion. Die fordert statt Spar-Appellen mehr Tempo beim Ausbau der Stromnetze. Grün-Schwarz überlasse den Netzbetreibern Sensibilisierungsmaßnahmen und den Verbrauchern die Stromnetzstabilität, monierte der energiepolitische Sprecher der Fraktion, Frank Bonath. "StromGemacht statt StromGedacht muss die Devise der Stunde sein", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Anspielung auf die TransnetBW-App. Gerade wenn die Warnungen keinerlei Einfluss auf den Stromverbrauch gehabt hätten.
Eingriffe zur Netzstabilisierung haben zugenommen
Die Zahl der Eingriffe für das Engpass-Management habe zugenommen, heißt es vom Ministerium. TransnetBW habe 2021 für Redispatch-Maßnahmen 2.787 Gigawattstunden bereitgestellt. Das sei im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um mehr als 400 Gigawattstunden beziehungsweise fast ein Fünftel. Zur Einordnung: In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2020 insgesamt laut Statistischem Landesamt 65.800 Gigawattstunden Strom verbraucht.
Grund für den Anstieg sei unter anderem der Ausbau der Windkraftanlagen in Norddeutschland. Die bundesweiten Kosten für solche Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen beliefen sich den Angaben nach 2021 auf mehr als 2,2 Milliarden Euro. In den zehn Jahren davor lagen sie jeweils deutlich darunter.
App soll das Stromnetz stabil halten
Erst vor zwei Wochen und Mitte Januar hatte es ähnlich große Redispatch-Maßnahmen gegeben, in deren Zuge TransnetBW die Verbraucher zum Stromsparen aufrief. Über die App "StromGedacht" bekommen Nutzerinnen und Nutzer dann einen Hinweis. Inzwischen nutzten rund 170.000 Menschen die App, die Zahl steige. Fast 5.000 Mal sei am Freitagmorgen ein Teilnahme-Button angeklickt worden, der während der Sparphase aktiv ist. So bekommt der Konzern etwas Rückmeldung zu seinem Sparaufruf. Mitmachen kann sich lohnen, denn die Kosten für Stromzukäufe werden auf die Verbraucher umgelegt.
In Deutschland geht etwa ein Viertel des Stromverbrauchs aufs Konto der Privathaushalte. Vergleichbare Aufrufe für Industrie und Handel zum Sparen gibt es nicht.