In den vergangenen Nächten lagen die Temperaturen teilweise im zweistelligen Minusbereich. Für Obdachlose kann das lebensgefährlich werden. In Koblenz sei die Lage der Obdachlosen angespannt, berichtet ein Sozialarbeiter.
Jürgen Michel arbeitet seit über 20 Jahren beim Verein "Die Schachtel e.V." in Koblenz, wo er Sozialarbeiter und Ansprechpartner für wohnungslose Menschen ist. Zweimal in der Woche ist der Verein mit dem Kältebus unterwegs, doch einigen Menschen kann der Verein kaum helfen.
SWR1: Was tut Ihnen am meisten in der Seele weh, wenn Sie Obdachlose in dieser Kälte sehen?
Jürgen Michel: Mir tut besonders weh, dass wir für die Menschen einfach keine menschenwürdige Unterbringung haben. Dass Wohnraum fehlt, dass Übernachtungsmöglichkeiten fehlen. Das ist das große Problem. Aber ich denke, das ist nicht das, was wir nur hier in Koblenz haben. Ich denke, das ist bundesweit so.
SWR1: Wie heftig ist die Situation aktuell in Koblenz?
Michel: Durch die momentane Kälte ist die Situation schon recht angespannt. Ich war abends erst wieder mit dem Kältebus unterwegs, konnte allerdings feststellen, dass ein paar Schlafplätze verlassen waren. Das macht mir ein bisschen Hoffnung, dass die Leute jetzt bei der extremen Witterung vielleicht irgendwo unterkommen konnten, bei Bekannten, Verwandten oder Freunden.
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SWR1: Was heißt, es macht Ihnen Hoffnung? Können Sie das nicht mitkriegen oder nachprüfen?
Michel: Nein, wir wissen nicht, wo die Leute sind, die geben uns auch nicht Bescheid. Ich sehe nur den verlassenen Schlafplatz. Es kann natürlich sein, dass die Leute noch in der Stadt unterwegs sind, versuchen sich irgendwo aufzuwärmen und dann erst später wieder zum Schlafplatz zurückkommen. Aber wir haben nicht die Möglichkeit, das die ganze Nacht durch zu kontrollieren.
SWR1: Und das ist dann aber gefährlich...
Michel: Natürlich! Die Gefahr besteht bei der Witterung, dass Menschen draußen erfrieren. Daher sind wir froh, dass wir zumindest zweimal die Woche mit dem Kältebus unterwegs sind, verschiedene Plätze in Koblenz anfahren und nach den Leuten gucken und fragen, ob sie gut versorgt sind.
Keine Unterbringung für Menschen mit Rollstuhl möglich
SWR1: Sie haben im Kältebus warme Getränke dabei. Sie versorgen auch gegebenenfalls die Menschen und bringen sie in eine Notunterkunft. Nutzen das eigentlich viele Menschen?
Michel: Viele nicht, nein. Es sind immer noch einige, die die Straße vorziehen, weil sie gewohnt sind, alleine zu sein, weil sie Schwierigkeiten haben, sich vielleicht auch in der Gemeinschaftsunterkunft an die Regeln zu halten, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, aber auch andere Sachen.
Wenn zum Beispiel jemand einen Hund hat, besteht keine Möglichkeit, irgendwo unterzukommen hier in Koblenz. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, können sie nicht in die Notunterkünfte, weil die nicht barrierefrei sind. Das haben wir leider nicht. Oder Leute, die ein massives Suchtproblem haben, was wir jetzt nicht verleugnen können, das ist bei dem einen oder anderen einfach vorhanden.
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SWR1: Wo klemmt es denn da, Herr Michel? Warum haben Sie sowas wie Barrierefreiheit nicht? Also im Rollstuhl draußen bei der Kälte ist ja noch schlimmer.
Michel: Wir versuchen das immer wieder anzusprechen in den Treffen mit der Stadt und so weiter. Sie zeigen sich immer gesprächsbereit, aber es hängt letztendlich auch natürlich immer an den Kosten.
In seltenen Fällen wir die Polizei eingeschaltet
SWR1: Was machen Sie, wenn Menschen nicht in eine Notunterkunft können wegen eines Rollstuhls, wegen eines Hundes oder weil sie einfach nicht wollen?
Michel: Dann versuchen wir mit denen natürlich ins Gespräch zu kommen. Wir versuchen, sie so weit mit Soforthilfematerial, das heißt Schlafsack und Isomatte, auszustatten, dass die Möglichkeit einer Schädigung relativ gering ist. Wir gucken natürlich, können diese Personen ihre Situation einschätzen? Ist dies der Fall, gehen wir wie besprochen vor.
Haben wir aber die die Wahrnehmung, dass derjenige seine Situation aufgrund verschiedener Möglichkeiten nicht einschätzen kann, dann holen wir uns das Ordnungsamt oder auch die Polizei an die Seite, um dann gemeinsam zu entscheiden, ob derjenige eventuell eingewiesen wird. Aber das sind dann wirklich so die allerletzten Zwangsmaßnahmen, die eine große Hürde besitzen. Das ist auch sehr gut so. Aber sie kommen vor, wenn auch selten.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.
Die vollständige Version des Interviews können Sie oben im Audio nachhören.
Zur Homepage vom Verein schachtel-koblenz.de
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