Wer krank ist, verzichtet lieber auf Sport. Aber wie sollte man nach der auskurierten Grippe wieder damit anfangen? Wir haben mit Dr. Müller-Wohlfahrt über Bewegung direkt nach einem Infekt gesprochen.
Dr. med. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist Sportmediziner und war viele Jahre Mannschaftsarzt des FC Bayern München und der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Nach Erkrankung erst langsam wieder mit Sport anfangen
SWR1: Wenn ich krank war, wie fange ich dann am besten wieder an?
Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Dosiert. Nicht die Leistungsgrenzen überschreiten. Man muss sich herantasten, steigern, und dann merkt man, dass es ganz schnell aufwärts geht. Also beim Gehen oder vielleicht auch Joggen, fängt man mit kleineren Einheiten an, um dann die Strecke zu verlängern und das Tempo zu erhöhen. Und dann kommt der Spaß. Der kommt, wenn man auf seine Leistungen stolz sein kann und darauf, dass man sich überwunden hat, bei Wind und Wetter raus gegangen ist und was Gutes für seinen Körper getan hat.
SWR1: Also wenn ich jetzt zum Beispiel zu Hause so ein Minitrampolin habe und gerade frisch aus der Erkältung rauskomme, gehe ich da nicht am nächsten Tag schon gleich drauf, sondern ich mache erst mal langsam?
Müller-Wohlfahrt: Ja, genau. Also man muss dann den Körper zurückführen. Die Muskeln müssen wieder angesprochen werden, die müssen wieder zu Kräften kommen. Die Koordination, die beim Trampolinspringen ganz wichtig ist, die muss auch geübt werden. Das muss alles wieder zurückgeholt werden durch Üben. Immer wieder üben, üben, üben. Dann kommt das auch bald wieder. Und dann fühlt man sich wieder sicher.
Dauerhaftes Training macht Freude
SWR1: Jetzt ist das mit der Motivation ja immer so eine Sache. Wenn man anfangs noch schnell außer Atem ist, macht es ja auch nicht so wirklich Spaß, sich so richtig zu bewegen. Gibt es da einen ganz tollen Tipp von ihnen?
Müller-Wohlfahrt: Genau das ist der Punkt. Man verliert wirklich den Spaß, wenn man merkt, dass es der Körper nicht mehr bringt. Das hat jeder schon durchgemacht: Mal eine längere Erkrankung hinter sich gebracht und dann gesehen, dass der Körper kolossal abgebaut hat. Die Muskeln sind dann so schwach geworden. Das geht nach ein oder zwei Wochen dramatisch schnell und dann muss man dem Körper helfen, da wieder hinzukommen.
Das geht nur durch einen Aufbau, indem man ganz sachte anfängt, dann mehr und mehr macht und dem Körper mehr und mehr abverlangt. Es geht dann auch relativ schnell, bis man wieder an der alten Leistungsgrenze ankommt und das befriedigt einen sehr. Das macht ein Wohlgefühl.
Wenn man das dann weiter vorantreibt, bildet sich bekanntermaßen Serotonin. Das macht diese positive Energie im Kopf. Der Körper ist dann leistungsfähiger. Man kommt nicht mehr aus der Puste, das Herz ist leistungsfähiger und die Lunge nimmt mehr Sauerstoff auf, man ist nicht mehr kurzatmig. Das macht Freude.
Trotz stressigem Alltag Zeit für Sport nehmen
SWR1: Es gibt ja immer wieder neue Erkenntnisse darüber, wie oft und wie lange man in der Woche Sport machen soll. Was sagen Sie als Experte?
Müller-Wohlfahrt: Also einmal ist keinmal. Zweimal ist absolut notwendig und gut. Dreimal ist ideal. Es könnten auch vier Einheiten sein. Aber wenn ich von mir sprechen darf: Dreimal muss sein. Egal was am Tag war und egal wie spät es abends ist. Es muss sein, damit ich meine Leistungsfähigkeit und mein Wohlbefinden erhalte.
Ich schlafe besser, die Verdauung ist besser. Der ganze Körper profitiert davon. Die Gelenke, die Muskeln, die Wirbelsäule. Allen geht's besser mit der Bewegung. Bequemlichkeit und Faulheit, insbesondere wenn man nach der Arbeit nach Hause kommen, die Beine hochlegt und fernsieht, das tut nicht gut. Oder lange Autofahrten und lange sitzen.
Da gibt es ja diesen Ausdruck: "Sitting Disease", den hat ein Kollege aus der Mayo Clinic geprägt. Der hat gesagt, dass sitzen gefährlicher ist als rauchen. Gut, darüber kann man diskutieren. Aber das Sitzen selbst schadet sehr den Wirbeln, den Bandscheiben und den Wirbelgelenken. Das will man ja vermeiden.
SWR1: Wir haben alle einen stressigen Alltag und wenig Zeit. Wenn man Sport doch noch irgendwie mit reinquetscht in diesen Alltag, was ist dann Ihrer Ansicht nach wichtiger: Ausdauersport, also zum Beispiel Laufen, oder eher Muskeltraining?
Müller-Wohlfahrt: Also ich bin der totale Läufertyp. Für mich ist es laufend das A und O. Ich könnte nicht in Maschinen sitzen und dann eindimensional irgendwelche Muskelgruppen trainieren. Ich möchte dreidimensional unterwegs sein und laufen. Meine Lunge spüren, mein Herz trainieren. Das Herz braucht ja auch Ausdauertraining, damit es leistungsfähiger wird.
Die Muskeln werden kräftiger, das Herz braucht weniger oft zu schlagen, es schlägt mehr Blut in Umlauf. Also man muss das ja systemisch sehen und nicht nur einen Muskel, der in einer Maschine trainiert wird. Ich bin kein Freund von Maschinen-Training. Das Laufen ist durch nichts zu ersetzen. Wenn ich eine Dreiviertelstunde oder eine Stunde laufe, dann weiß ich, was ich getan habe. Um denselben Effekt zu erzielen, müsste ich stundenlang Fahrradfahren.
SWR1: Wie viel Bewegung gönnen Sie sich in der Woche?
Müller-Wohlfahrt: Ich bin den ganzen Tag auf den Beinen und versuche wenig zu sitzen. Ich untersuche ja Patienten und muss mich da mitbewegen, mitgehen und Gelenke testen. Also ich bin den ganzen Tag in Bewegung und gehe auch zu Fuß zur Arbeit und zu Fuß nach Hause und dennoch gehe ich eine Runde Laufen. Das ist das Geheimnis.
Ich fühle mich fit und belastbar. Ich denke manchmal: Wie fühlen sich andere in meinem Alter? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich jedenfalls aufgrund dieser Disziplin, die ich ein Leben lang geübt habe, topfit.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.
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