Adipositas ist eine ernstzunehmende, eigenständige Erkrankung und zugleich ein Risikofaktor für Folgeerkrankungen, von der auch immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen sind.
Betroffene erkennen oftmals selbst nicht, dass sie erkrankt sind. Ein Besuch beim Arzt ist deshalb immer ratsam, findet Dr. Johannes Oepen. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Vorsitzender des Adipositasnetzwerk Rheinland-Pfalz.
SWR1: Sie sagen, Adipositas wird wahrscheinlich die teuerste Krankheit, die wir haben. Warum ist das so?
Dr. Johannes Oepen: Weil es nicht nur um Übergewicht geht. Wenn das Übergewicht sehr hoch ist, werden alle Organe verändert und es kommt zu Herzinfarkt, Hirnschlag, Atemnot und zu Entzündungen in den verschiedensten Organen. Was viele Leute auch nicht auf dem Schirm haben: es ist auch seelisch belastend.
Teuer wird das Ganze dadurch, dass nicht nur eine kleine Minderheit davon betroffen ist, sondern mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Bei Menschen zwischen 50 und 70 Jahren, gibt es nur noch sehr wenige, die nicht betroffen sind. Das andere ist, dass es nur eine einzige Richtung kennt: in Richtung schwerer.
Betroffene erkennen Adipositas nicht sofort
SWR1: Wenn Ihnen jemand adipöses sagt, ich bin doch aber gesund. Glauben Sie es ihm?
Oepen: Zunächst mal glaube ich ihm, dass er sich damit gut genug fühlt. Es gibt halt einige Erkrankungen, die man so nicht merken kann und die man schon untersuchen sollte. Wenn die Leber sich verändert, dann spürt man das nicht. Der Mensch lügt also nicht, aber er kann es nicht alles wissen, das heißt, er sollte untersucht werden.
SWR1: Wie viele Erwachsene und wie viele Kinder in Rheinland-Pfalz sind schätzungsweise von Adipositas betroffen?
Oepen: Man schätzt, dass in Rheinland-Pfalz und auch in den anderen Bundesländern etwa 15 Prozent der Kinder betroffen sind. Und mit zunehmendem Erwachsenenalter ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung nach medizinischem Befund von Adipositas betroffen.
Folge der Corona-Maßnahmen Mehr übergewichtige Kinder in Deutschland
Während der Corona-Pandemie sind 16 Prozent der Kinder dicker geworden, gleichzeitig bewegen sie sich weniger, nutzen Handy und Computer sehr viel intensiver und essen mehr Süßes.
Gründe für Adipositas
SWR1: Weshalb steigen die Zahlen eigentlich immer weiter an?
Oepen: Es gibt Faktoren, die wir nicht genau kennen. Aber es gibt auch welche, die wir kennen. Zum Beispiel den Verlust der Bewegung im Alltag. [...] Ein weiterer Punkt ist das Nahrungsangebot mit viel Zucker. Zucker ist ein enormer Geschmacksverstärker, der noch eine blöde Folge hat: Wir wollen davon noch mehr haben. Ganz wichtig ist, dass wir tatsächlich auch mit Stress anders umgehen als früher. Und wir müssen unbedingt Werbung für Ungesundes zurückfahren, denn wir können der Werbung nicht gut widerstehen. Und wir brauchen mehr Bewegungsräume und mehr Fröhlichkeit in der Gesellschaft. Dann hätten wir die drei wichtigsten Treiber für Übergewicht schon mal etwas zurückgedrängt.
Hilfe für Betroffene
SWR1: Wie helfen Sie mit Ihrem Netzwerk Adipositas?
Oepen: Wir versuchen die öffentliche Diskussion anzustoßen. dass man nicht sagt, die Bösen sind selber schuld. Sondern dass man auf die Umstände, die uns krank machen, hinweist. Wir versuchen auch die Fachleute zu informieren und zusammenzubringen. Ärzte, Ernährungsfachleute, Bewegungsfachleute, psychologische Fachleute, [...], es ist ganz wichtig, dass sie nicht allein vor sich hin werkeln, sondern zusammenkommen. Das Dritte wäre, dass wir versuchen, die Gesundheitspolitik zu beeinflussen. In diesem Jahr gibt es ein Krankheitsprogramm. Es ist das erste Mal, dass ein Behandlungsprogramm für Übergewichtige offiziell in die Krankenkassenleistung aufgenommen ist.
SWR1: Welche neuen Therapien gibt es für adipöse Menschen?
Oepen: Relativ neu ist, dass man zum Beispiel tatsächlich mit Bewegung eine ganze Menge erreichen kann. Wir kriegen die Leute nicht dünn, aber fröhlicher, wenn wir wissen, dass Depression und Adipositas zusammengehören. Das Zweite ist, es gibt in den letzten Jahren immer mehr Medikamente, die auch wirksam sind. Da müssen wir über Nebenwirkungen reden. Und das Dritte sind Operationen, die aber auch nicht verherrlicht werden dürfen, denn sie verstümmeln zuerst einmal den Magen. Danach muss man dauernd für den Rest seines Lebens in Behandlung sein, damit die Operation nicht zu schädlich ist. Aber wenn sie 150 Kilogramm wiegen und dann auf ein Gewicht kommen, was weniger gefährlich ist, kann die Operation eine Rettung sein.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.
Weitere Informationen finden Sie beim Adipositasnetzwerk Rheinland-Pfalz e.V.
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